sehepunkte 8 (2008), Nr. 2

Jens Ruppenthal: Kolonialismus als "Wissenschaft und Technik"

"Wir nicht, die Anderen auch" [1] - so resümieren Andreas Eckert und Albert Wirz lapidar und treffend die Haltung, die deutsche Politik und Öffentlichkeit prägt, wenn es um Deutschlands koloniale Vergangenheit geht. In den Geschichts- und Kulturwissenschaften hingegen ist in den vergangenen Jahren ein regelrechter Trend zur ernsthaften und kritischen kolonialen Spurensuche zu verzeichnen. Dabei führen die Recherchen zunehmend von den (ehemals) kolonisierten Gebieten weg, hin zur so genannten Metropole, um Schnittpunkte mit kolonialen Welten zu erkunden. Als solche sind Kolonialausstellungen und Völkerschauen untersucht worden [2], Berlin hat als "Kolonialmetropole" [3] besondere Beachtung gefunden, schließlich wird neuerdings die koloniale Geschichte wissenschaftlicher Einrichtungen sowie einzelner wissenschaftlicher Disziplinen entdeckt. [4]

Jens Ruppenthals Studie ist in diesen Kontext einzuordnen. Sie kombiniert Stadt-, Institutions- und Kolonialgeschichte - und erinnert daran, dass Letztere sich nicht nur in Berlin aufspüren lässt. Seine 2006 an der Philosophischen Fakultät der Universität Kiel als Dissertation angenommene Arbeit verfolgt die Geschichte des Kolonialinstituts in Hamburg, von seiner Gründung 1908 bis zu seinem Aufgehen in der neu geschaffenen Hamburger Universität im Jahre 1919. Am Institut wurden so genannte Kolonialwissenschaften gelehrt, Fächer, die für all diejenigen als relevant erachtet wurden, die sich auf einen Aufenthalt in den Kolonien vorbereiten wollten oder sollten - sei es als Beamte oder Kaufleute. Hervorgegangen war das Institut einerseits aus dem Anliegen von Reichsbehörden und kolonialinteressierten Kreisen, die Ausbildung von Kolonialbeamten zu verbessern, andererseits aus der Hoffnung Hamburger Bildungspolitiker, mit der Institutionalisierung von Kolonialwissenschaften in der Stadt den ersten Schritt in Richtung Gründung der lang ersehnten Universität zu tun.

Das Lavieren zwischen diesen beiden Interessen bildet den roten Faden, der sich durch Ruppenthals Studie zieht. Wie kolonial war das Kolonialinstitut - angesichts der Tatsache, dass für einige der an seiner Gründung beteiligten Personen das langfristige Ziel in der Einrichtung einer Hochschule bestand? Dies ist die zentrale Frage Ruppenthals. Um sie zu beantworten, rekonstruiert er Geschichte und Aktivitäten des Instituts sowie die Debatten um dessen Gründung und Existenz. Er zieht dafür aus Hamburger und Berliner Archiven umfangreiche Aktenbestände zum Kolonialinstitut heran, außerdem gedruckte Quellen wie die Berichte des Professorenrats, Vorlesungsverzeichnisse und die Memoiren Werner von Melles, der als Präsident der Hamburger Oberschulbehörde maßgeblich an der Gründung des Instituts beteiligt war. Seine Ergebnisse präsentiert Ruppenthal in vier Hauptkapiteln, von denen sich die ersten beiden mit Kontext und Vorgeschichte der Institutsgründung befassen, während die letzteren der Organisation der Einrichtung selbst gewidmet sind.

Zunächst benennt Ruppenthal das, was er als gesellschaftspolitische Vorbedingungen für die Idee des Kolonialinstituts begreift: die Annäherung zwischen Wissenschaften und Kolonialismus am Ende des 19. Jahrhunderts sowie die Kritik kolonial engagierter Kreise am Fehlen einer spezifischen Ausbildung für Kolonialbeamte. Der Hauptteil von Ruppenthals Ausführungen freilich wendet sich von allgemeinen Entwicklungen im Reich ab und der Stadt zu. Der Autor schlägt vor, Hamburg in Anlehnung an Felix Driver und David Gilbert als "imperial city" [6] zu betrachten, denn auch in Hamburg hätten sich koloniale und urbane Erfahrungen verbunden - durch Handelsaktivitäten, Schifffahrt, prominente Hamburger Forschungsreisende, durch die Präsenz des Völkerkundemuseums und des Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten und nicht zuletzt durch die in der Stadt stattfindenden und äußerst populären Hagenbeckschen Völkerschauen. Dieser koloniale Charakter Hamburgs war es, auf den Hamburger Wissenschaftskreise verwiesen, um die Stadt als Standort für das Kolonialinstitut stark zu machen, nachdem ihnen im Frühjahr 1907 vertraulich Meldung über Pläne der Reichsregierung zur Einrichtung eines solchen gemacht worden war. Sie ergriffen die Chance, unter dem Deckmantel eines Kolonialinstituts ihre Hochschulpläne voranzutreiben, ohne den Widerstand der Hamburger Kaufmannschaft fürchten zu müssen, die eine Universitätsausbildung ohne erkennbaren Praxisbezug ablehnte.

Im Nachzeichnen dieses Taktierens liegt die besondere Stärke von Ruppenthals Arbeit: Seine genaue Lektüre der Quellen macht die Verhandlungen zwischen Hamburger Universitätsbefürwortern, dem Reichskolonialamt und Hamburger Kritikern der Universitätspläne in all ihrer Subtilität nachvollziehbar, und hebt insbesondere die geschickten Strategien der beiden Universitätsbefürworter Georg Thilenius, Direktor des Völkerkundemuseums, und Werner von Melle hervor. Ruppenthal arbeitet heraus, wie beide nachträglich die Verbindung zur Kolonialpolitik als schon immer vorhandenen und integralen Bestandteil ihrer Pläne präsentieren und andererseits bei der Besetzung von Professuren darauf achteten, dass das Curriculum auch allgemeine, nicht-koloniale Themen abdeckte. Von den insgesamt zwölf am Institut vertretenen Fächern, u.a. Geschichte, Nationalökonomie, Tropenmedizin, Völkerkunde und Geologie, handelte es sich keineswegs nur um so genannte Kolonialwissenschaften, noch waren alle Lehrkräfte ausgesprochene Kolonialbefürworter. Deshalb und auch weil die Zentralstelle, die als Teil des Instituts eingerichtet wurde und aus den Kolonien kommende Anfragen wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Natur nur wenig in Anspruch genommen wurde, kommt Ruppenthal zu dem Schluss, dass das Kolonialinstitut nur begrenzt kolonialen Charakter hatte. Dass im März 1919 ein relativ glatter Übergang vom Kolonialinstitut zur Universität vollzogen werden konnte, erscheint aus dieser Perspektive wenig überraschend: Deutschland hatte seine Kolonien verloren, das Institut damit seine Legitimation, und es erschien in dieser Situation nur konsequent, der ohnehin nicht allzu spezifisch kolonial ausgerichteten Wissenschaftseinrichtung eine breitere institutionelle Basis zu verleihen.

Die Stärke der Studie ist auch ihre Schwäche: Ruppenthals Ausbeute aus dem Quellenmaterial, seine präzise Darstellung unterschiedlicher Akteure und Positionen im Rennen um das Kolonialinstitut sind ohne Zweifel beeindruckend. An einigen Stellen aber verstellen detaillierte Ausführungen den Blick für das Wesentliche. Die ein oder andere thesenhaftere Formulierung hätte den Text beleben können. Ein wenig irreführend ist auch der Titel der Arbeit, der längere Abhandlungen über Konzepte von kolonialer Praxis als wissenschaftlich fundierter Methode der "Weltbeherrschung" [6] verspricht. Freilich tut dies dem großen Verdienst der Studie keinen Abbruch: Sie rollt erstmals ausführlich die Geschichte einer bisher in der Kolonialgeschichtsschreibung kaum beachteten Einrichtung auf und macht zugleich deutlich, dass in Deutschland neben Berlin andere "imperial cities" existierten. Selbst wenn das Kolonialinstitut inhaltlich und organisatorisch nur bedingt als koloniale Einrichtung gelten kann, macht die Geschichte seiner Entstehung deutlich, dass Kolonialismus immerhin so wirkmächtig war, dass es auch Nicht-Kolonialengagierten geboten schien, sich den damit verbundenen Diskurs anzueignen, um ihre Ziele zu erreichen.


Anmerkungen:

[1] Andreas Eckert / Albert Wirz : "Wir nicht, die Anderen auch. Deutschland und der Kolonialismus". In: Sebastian Conrad / Randeria Shalini (Hgg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2003, 373-393.

[2] Etwa Robert Debusmann / János Riesz: Kolonialausstellungen, Begegnungen mit Afrika?, Frankfurt/Main 1995.

[3] Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hgg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche, Berlin 2002.

[4] Siehe z.B. die Beiträge in Andreas Eckert (Hg.): Universitäten und Kolonialismus (= Jahrbuch für Universitätsgeschichte; Bd. 7), Stuttgart 2004: so Jürgen Zimmerer: 'Im Dienste des Imperiums. Die Geographen der Berliner Universität zwischen Kolonialwissenschaften und Ostforschung', 73-100; Holger Stoecker: "Afrikanistische Lehre und Forschung in Berlin 1919-1945", 101-128.

[5] Felix Driver / David Gilbert: "Imperial Cities. Overlapping Territorries, Intertwined Histories". In: Imperial Cities. Landscape, Display and Identity (Studies in Imperialism), Manchester / New York 1999, 3.

[6] Wolfgang J. Mommsen zitiert in Ruppenthal, 11.

Rezension über:

Jens Ruppenthal: Kolonialismus als "Wissenschaft und Technik". Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919 (= Historische Mitteilungen. Beihefte; Bd. 66), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, 273 S., ISBN 978-3-515-09004-9, EUR 56,00

Rezension von:
Manuela Bauche
Universität Leipzig
Empfohlene Zitierweise:
Manuela Bauche: Rezension von: Jens Ruppenthal: Kolonialismus als "Wissenschaft und Technik". Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 2 [15.02.2008], URL: https://www.sehepunkte.de/2008/02/13133.html


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