Die Analyse der politischen Kultur stellt inzwischen einen Schwerpunkt innerhalb der Forschungen zum Alten Reich dar. Dabei prägt die hohe Bedeutung, welche schon die Zeitgenossen politischen Ritualen, Zeremoniell und anderen Formen der Herrschaftsrepräsentation im Rahmen politischer Kommunikationsabläufe zuwiesen, in zunehmendem Maße auch den Zugang zum Reich als Handlungsraum politischer Akteure ganz unterschiedlicher Art. Das Reich erscheint nicht mehr allein als ein durch Rechtsbeziehungen determinierter Herrschaftsverband, sondern auch als kulturelle Figuration sich aufeinander beziehender Zeichen und Symbole, welche nicht allein als Ausdruck bestehender Herrschaftsverhältnisse, sondern vielmehr als Mittel zu deren Herstellung, Legitimierung und Stabilisierung zu verstehen ist.
Die hier anzuzeigende, von Barbara Stollberg-Rilinger und Gerd Schwerhoff betreute Dissertation über "Reichsstädte in der Fürstengesellschaft", entstand im Rahmen des Münsteraner Graduiertenkollegs "Gesellschaftliche Symbolik im Mittelalter" und ordnet sich ein in den dort auch im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches forcierten Untersuchungsgegenstand über die Bedeutung von Zeremoniell und Ritual bei politischen Verfahren in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Sie untersucht die Formen des politischen Zeichengebrauchs nicht höfischer, sondern reichsstädtischer Akteure am Beispiel der vier Reichsstädte Frankfurt am Main, Köln, Bremen und Schwäbisch Hall anhand exemplarischer Analysen von bestimmten Konfliktfeldern und Fallbeispielen, welche den gesamten Zeitraum der Frühen Neuzeit mit einem gewissen Schwerpunkt auf der zweiten Hälfte dieser Epoche abdecken, die als Phase einer starken Zunahme des Zeichengebrauchs gekennzeichnet wird. Ausgewertet wurden primär so genannte Zeremonialakten, politische und staatsrechtliche Publizistik sowie die reichsstädtische Chronistik.
Die zentrale und überzeugende These der Arbeit ist die, dass die Reichsstädte sich bei den von ihnen angewandten Formen der symbolischen Kommunikation an den höfischen Praktiken einer Fürstengesellschaft orientierten, die sich auf diese Weise als der dominante, Normen und Werte der Herrschaftsrepräsentation setzende Akteur erweist. Die argumentative Stoßrichtung der Arbeit richtet sich damit gegen die lange Zeit die historische Forschung prägende Vorstellung, das Selbstverständnis der Reichsstädte habe spezifisch republikanische Züge aufgewiesen, die sich dann in bewusst von höfischen Repräsentationspraktiken abweichenden Formen reichsstädtischer Selbstdarstellung dokumentiert hätten - eine Sichtweise, die inzwischen auch durch neuere kunsthistorische Arbeiten konterkariert wird.
Vielmehr kann der Autor an konkreten Beispielen nachweisen, dass die Orientierung am politischen Zeichengebrauch von Reichsfürsten und Kaiser eine wesentliche Voraussetzung dafür darstellte, überhaupt Geltungsansprüche artikulieren und die (begrenzten) Möglichkeiten eigener politischer Handlungsfähigkeit auf Reichsebene sowie bei Konflikten mit benachbarten Reichsfürsten nutzen zu können.
Sieht man von der hier als "Präliminarien" bezeichneten Einleitung und der Zusammenfassung ab, gliedert sich die Arbeit in drei Kapitel unterschiedlicher Länge, wobei das zweite Kapitel über "Medien, Praktiken, Akteure und symbolische Profite reichsstädtischer Statuspolitik" den eigentlichen Kern der Arbeit ausmacht und auch den größten Raum einnimmt. Aber der Reihe nach: Das erste Kapitel widmet sich dem Auftritt der Reichsstädte auf dem frühneuzeitlichen Reichstag. Auf diesem "Forum politisch-sozialer Repräsentation" (81) rangierten die Reichsstädte im Vergleich zu allen anderen hier vertretenen Reichsgliedern auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter. Dies wurde ihnen durch vielfältige Strategien der symbolischen Degradierung - wie etwa die Positionierung hinter einer Schranke - immer wieder vor Augen gehalten, sodass die symbolischen Kosten reichsstädtischer Auftritte auf Reichstagen insgesamt als hoch erscheinen. Akzeptierten die Reichsstädte ihre zeremonielle Unterordnung unter die Fürsten weitgehend, so entbrannte jedoch um die Mitte des 17. Jahrhunderts ein auch publizistisch ausgetragener Präzedenzstreit zwischen Reichsstädten und Reichsrittern als mindermächtigen Reichsständen, wobei die Reichsstädte ihren "Anspruch auf adelige Ebenbürtigkeit" (94) durch den Verweis auf ihren Status als freie Städte und Wappenträger zu untermauern suchten.
Das zweite Kapitel widmet sich den von den Reichsstädten angewandten symbolischen Praktiken und stellt mit dem Syndikus einen städtischen Amtsträger vor, der im Rahmen der reichsstädtischen Außenpolitik eine maßgebliche Rolle spielte und somit auch für den Erwerb und die Zurschaustellung symbolischen Kapitals durch zeremonielles Handeln verantwortlich war. Die hohe Bedeutung, welche die Reichsstädte dem diplomatischen Zeremoniell zuwiesen, zeigt sich in der Entwicklung eigener Aufschreibesysteme (114), denen eine handlungsorientierende wie auch repräsentative Funktion zukam. Festgehalten wurden darin die aktuell gewählten Formen im persönlichen Umgang, bei schriftlichem Verkehr oder bei Schenkvorgängen - jene drei Handlungsformen, die an dieser Stelle schwerpunktmäßig betrachtet werden.
Vorgestellt werden darüber hinaus die unterschiedlichen Arten des symbolischen Profites, den die Reichsstädte im Ergebnis ihres am höfischen Vorbild orientierten zeremoniellen Handelns erlangen konnten. Hierbei werden etwa die punktuelle Inklusion in die höfische Gesellschaft bei Hoffesten, zeremonielles Entgegenkommen durch sozial höherrangige Akteure oder auch Fürstenbesuche angeführt, welche die Reputation der Stadt erhöhten. Die Integration der Reichsstädte in das diplomatische Zeremoniell im 18. Jahrhundert wird nicht als Folge von durch das Völkerrecht garantierten Formen des diplomatischen Umgangs, sondern als Ergebnis eines längerfristigen Prozesses der gezielten Akkumulation von symbolischem Kapital durch "fürstengleiches" zeremonielles Handeln gesehen.
Das dritte Kapitel konzentriert sich auf den Herrschereinzug als Strategie des Erwerbs von symbolischem Kapital, der am spezifischen Beispiel der Einzüge des Kölner Erzbischofs in die Reichsstadt Köln behandelt wird. Aufgrund der Herrschaftskonflikte zwischen Erzbischof und Reichsstadt handelte es sich in Köln zunächst um ein stark konfliktbelastetes Ereignis, wie dies die Forschung bereits herausgearbeitet hat. Krischer zeigt nun für den Zeitraum ab dem 17. Jahrhundert, dass auf beiden Seiten das Bemühen vorherrschte, Konflikte bei öffentlichen Repräsentationsakten zu vermeiden. Stabilisierend wirkte sich dabei die Praxis der Wahl eines Koadjutors aus, wobei die glanzvolle Inszenierung des Begräbnisses des Amtsvorgängers den zeremoniellen Auftakt des eigenen Herrschaftsantrittes bildete, in den die Stadt einbezogen wurde. Die zeremonielle Zurückweisung des städtischen Anspruchs auf Reichsunmittelbarkeit, etwa durch die Ablehnung des Geleits durch die Erzbischöfe, lässt sich jedoch auch im 17. Jahrhundert noch beobachten, wenngleich die Einzugsinszenierungen ihre rechtsbildende Kraft schon weitgehend eingebüßt hatten.
Im Kontext der Kaisereinzüge, die am Beispiel Schwäbisch Halls analysiert werden, geht es auch um die Huldigungsakte der Reichsstädte, wobei vor allem deren Versuch bemerkenswert erscheint, die in der Lokalhuldigung vor dem kaiserlichen Kommissar öffentlichkeitswirksam herausgestellte Unterordnung unter den Kaiser zu vermeiden und vielmehr die weniger öffentliche Huldigung vor dem Reichshofrat anzustreben. Der Ansicht des Autors, dass das Einzugszeremoniell bei den seltenen Kaisereinzügen in Reichsstädte im 18. Jahrhundert sich nicht wesentlich von jenen anderer Fürsten unterschieden habe (375), kann die Rezensentin allerdings nicht zustimmen, zumal der in diesem Zusammenhang genauer betrachtete Einzug Josephs I. 1702 in Schwäbisch Hall kein Einzug eines amtierenden Kaisers war.
Die Statuspolitik der Reichsstädte charakterisiert Krischer insgesamt als defensiv (371), was für die hier ausgewählten Beispiele zweifellos zutrifft. Eine aufschlussreiche Ergänzung wäre vielleicht noch die Frage nach der Rolle der Reichsstädte als Inventoren von Repräsentationsformen gewesen, die aufgrund der ihnen zugeschriebenen Wirkungsmacht erst im Nachhinein von den Fürstenhöfen adaptiert wurden. Dies lässt sich etwa für große und bedeutende Reichsstädte wie Nürnberg im 16. Jahrhundert oder für spezifische Festelemente wie das zuerst von Reichsstädten durchgeführte Feuerwerk zeigen. [1]
Wenn es am Schluss etwas versöhnlich mit Blick auf die lange Zeit vernachlässigte Perspektive des politischen Zeichengebrauchs heißt, dass sich Historiker bei der Untersuchung politischer Kommunikationsabläufe je nach Fragestellung durchaus auch gegen diese entscheiden könnten (369), so scheint dies für das Verständnis der politischen Kultur in der zeichenfixierten Epoche der Frühen Neuzeit doch fraglich und für zukünftige Forschungen nicht empfehlenswert, zumal der Autor gerade in sehr plausibler Form den Gegenbeweis geführt hat. Auf jeden Fall empfehlenswert, nicht nur für jene Historiker, die sich ohnehin der Erforschung politischer Zeichensysteme widmen, ist dagegen die Lektüre dieses anregenden und an Ergebnissen reichen Buches, das die hohe Bedeutung des Zeremoniells für das politische Handeln der Reichsstädte sowie für deren Selbstverständnis als Mitglieder der Fürstengesellschaft des Alten Reiches dokumentiert, auch wenn ihnen dies gelegentlich Hohn und Spott einbrachte.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu demnächst Harriet Rudolph: Das Reich als Ereignis. Formen und Funktionen der Herrschaftsinszenierung bei Kaiserauftritten im Reich (1558-1618), Habilitationsschrift Trier 2007.
André Krischer: Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit (= Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2006, VII + 460 S., ISBN 978-3-534-19885-6, EUR 79,90
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