Die deutsche Geschichte ist nicht reich an Freiheitskämpfern, die ihr Leben zugleich für Demokratie, Parlamentarismus und Nationalstaat eingesetzt haben. Es muss deshalb überraschen, dass Robert Blum im bundesdeutschen Traditionshaushalt lange keinen entsprechenden Platz erhalten hat. Damit Bundesrepublik und Historiker endlich damit begannen, Blums außergewöhnliche Lebensleistung angemessen zu würdigen, bedurfte es mit seinem 200. Geburtstag erst eines bedeutenden erinnerungspolitischen Anlasses. Während Österreich dem in Wien standrechtlich erschossenen Revolutionär eine Sonderbriefmarke widmete, veranstaltete das deutsche Bundesarchiv eine großangelegte Wanderausstellung zu seinen Ehren, deren hervorragender Begleitband die Blumforschung um einige neue Ansätze bereicherte. [1] Daneben erschienen gleich zwei neue biographische Darstellungen, die den Lebensweg des gebürtigen Kölners mit reichlich Sympathie schildern: Während jedoch der Frankfurter Historiker Ralf Zerback bemüht ist, eine umfassende Biographie vorzulegen, beschränkt sich der Hamburger Politikwissenschaftler Peter Reichel auf einen ganz auf den Politiker Robert Blum zugeschnittenen "biographischen Essay" (11). [2]
Chronologisch schildert Reichel Blums Weg von Köln über Leipzig nach Frankfurt und Wien und skizziert - was nicht unbedingt zu erwarten wäre, aber umso erfreulicher ist - abschließend die erinnerungspolitischen Auseinandersetzungen nach dessen Tod 1848 bis zum deutsch-deutschen "Streit der Erben". Abgerundet wird das Buch durch ein Personenregister, während ein Literaturverzeichnis mühsam aus den Endnoten erschlossen werden muss, was die Einsteigerfreundlichkeit des Buches stark schmälert. Dies ist bedauerlich, weil der Autor die Schwächen der bisherigen Blumbiographien im Großen und Ganzen überzeugend herausarbeitet, wenngleich man sicher Reichels Urteil bezweifeln kann, Wilhelm Liebknechts Deutung, Robert Blum sei ein "Vorläufer und Vorkämpfer der Socialdemokratie" gewesen, komme der Realität näher als die nationalliberale Stilisierung Hans Blums (203), handelt es sich doch in beiden Fällen um eindimensionale Instrumentalisierungen. Im Vergleich zu Zerback, dessen Recherchen in über 20 Archiven insbesondere zum Privatleben Blums einige unbekannte Quellen und Details zutage förderten, fällt die Quellenbasis deutlich schmaler aus.
Der Verfasser erklärt im Prolog, er wolle das Leben des "vergessenen Vorkämpfers für die Demokratie" schildern "und dabei den Kontext seiner Zeit und unserer Gegenwart soweit als möglich [...] beachten" (11); was er damit meint, wird bei der Lektüre schnell deutlich: Einerseits werden mit Friedrich Ludwig Jahn, Hoffmann von Fallersleben und Benedikt von Waldeck gleich drei Zeitgenossen Blums genannt, die mit ihm zu Unrecht das Schicksal der Geringschätzung teilen (27, 46, 111). Indem Reichel andererseits Blum als "frühe[n] Vorkämpfer für amnesty international" bezeichnet und ihn das Lüth-Urteil zur Meinungsfreiheit vorwegnehmen lässt, versucht er, dessen Wirken mit der Gegenwart zu verknüpfen (48, 71). Obwohl man solcherlei Aktualisierungen durchaus kritisch sehen kann, mögen sie angesichts der politisch-pädagogischen Intention des Buches erlaubt erscheinen. Insgesamt schwankt die beinahe durchgehend im Präsens gehaltene Darstellung wie bereits frühere Veröffentlichungen des Autors immer wieder zwischen objektiver Beschreibung und engagierter Anteilnahme. [3]
Die Schwerpunkte des Buches liegen einerseits auf dem kryptopolitischen Vereinswesen und der Festkultur des Vormärz, andererseits auf der Revolution von 1848 und dem Nachleben Robert Blums. Während man von der kargen Kindheit in Köln nur Anekdotenhaftes erfährt (12-21), arbeitet Reichel die Bedingungen der vormärzlichen Opposition, die sich in Leipzig in Schillerverein, Kegelgesellschaft und Redeübungsverein formierte, plastisch, aber unsystematisch heraus, wobei er allerdings den Begriff "Camouflagepolitik" überstrapaziert (33-72). Obwohl sich zwar beinahe die Hälfte des Buches mit der Revolution beschäftigt und Blums Stellung im Vorparlament, in der Nationalversammlung, in der Polenfrage und hinsichtlich der Septemberaufstände ausführlich dargestellt werden, sorgt gerade dieser Abschnitt für einiges Unbehagen, weil der Hamburger Politikwissenschaftler dazu neigt, die Komplexität der Revolution zu unterschätzen (72-148). Einseitig bis parteiisch identifiziert sich Reichel dabei zunehmend nicht länger mit der Position Blums, sondern mit den Radikalen um Friedrich Hecker und Gustav Struve. Dies führt zu einigen diskutablen bis fragwürdigen Behauptungen: So habe die Mehrheit des Vorparlaments "die Radikalen halten müssen - und können"; da dies nicht geschehen war, sei deren Weg in die Gewalt "nur konsequent" gewesen (88) - eine Einschätzung, die nicht nur Robert Blum nicht teilte. Darüber hinaus habe sich die Nationalversammlung "de[m] Auftrag des souveränen Wahlvolks" widersetzt, ein "konstitutionell-revolutionäres Organ zu sein" (103). Tatsächlich "nicht auszudenken" wäre allerdings gewesen, "wie die weitere Geschichte verlaufen wäre, wenn das Vorparlament der allgemeinen Erwartung entsprechend gehandelt hätte, also wie eine revolutionäre Versammlung eben, die auf konstitutionellem Weg aus einer Monarchie eine Republik macht", weil in Deutschland ebenso wenig eine einheitliche "allgemeine Erwartung" an die Revolution existierte, wie überhaupt eine (einzelne) Monarchie bestand, die man einfach in eine Republik umwandeln hätte können (87). Anstatt vor dem Hintergrund der gewaltsamen Revolutionsversuche der Radikalen im April und September die grundlegenden Differenzen zwischen den radikalen und den gemäßigten Demokraten herauszustellen, nivelliert Reichel die vorhandenen Unterschiede, indem er Blums eindeutige Beurteilungen durch den Hinweis relativiert, dieser sei Monate später ebenfalls den Weg in die Gewalt gegangen (90). Was Blums Weg von dem Heckers und Struves unterschied, erfährt der Leser nicht.
Viel differenzierter argumentiert der Politikwissenschafter Reichel hingegen, wenn er sich der Rezeptionsgeschichte Blums und damit der zahlreichen Mythisierungs- und Instrumentalisierungsversuche seit 1848 annimmt (178-199). Zwar kann der Autor dazu nur eine Problemskizze bieten, weil die bisherige Blumforschung diesem Aspekt bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt hat, er umreißt damit jedoch erstmals dieses bedeutende Forschungsfeld. Wenngleich man einwenden muss, dass die Ikonisierung des Revolutionärs insbesondere in der Reichsverfassungskampagne, also noch in der Revolution, vorangetrieben wurde und Blums Tod nicht immer für den Bruch des freiheitlichen Deutschlands mit Österreich stand (191), skizziert er den historisch-politischen Diskurs umsichtig und zutreffend. [4] Darüber hinaus müssten weitere Untersuchungen über den engen Raum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung hinaus unter anderem auch die zahlreichen außerakademischen Popularisierungsversuche in der DDR in den Blick nehmen.
Fazit: Peter Reichels engagierter ganz auf den Politiker zugeschnittener biographischer Essay bietet der Mängel zum Trotz einen gut lesbaren Einstieg in das Leben und Nachleben Robert Blums. Wer dagegen etwas über das facettenreiche Leben des Literaten, Theatermenschen, Deutschkatholiken und nicht zuletzt Privatmannes Robert Blum erfahren will, sollte zu Zerbacks umfassender Biographie greifen.
Anmerkungen:
[1] Martina Jesse / Wolfgang Michalka (Bearb.): "Für Freiheit und Fortschritt gab ich alles hin." Robert Blum (1807-1848). Visionär, Demokrat, Revolutionär, [Begleitbuch zur Ausstellung des Bundesarchivs], Berlin 2006.
[2] Ralf Zerback: Robert Blum. Eine Biographie. Leipzig 2007. Vgl. hierzu die Rezension von Wolfram Siemann in dieser Ausgabe (http://www.sehepunkte.de/2008/05/13738.html)
[3] Peter Reichel: Schwarz-Rot-Gold. Kleine Geschichte deutscher Nationalsymbole nach 1945. München 2005.
[4] Veit Valentin forderte etwa 1928 aus 'großdeutscher' Perspektive ein Nationaldenkmal für den in Wien Hingerichteten. Veit Valentin: Ein Nationaldenkmal für Robert Blum, in: Will Schaber (Hg.): Perspektiven und Profile. Aus Schriften von Veit Valentin. Frankfurt a.M. 1965, 150-154.
Peter Reichel: Robert Blum. Ein deutscher Revolutionär 1807-1848, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007, 232 S., ISBN 978-3-525-36136-8, EUR 19,90
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