Zu den fundamentalen herrschaftsorganisatorischen Strukturen der Vormoderne gehörte zweifelsohne die Grundherrschaft. Doch während diese 'Herrschaft über Land und Leute' in der Mediävististik einen prominenten Rang einnimmt, führt sie in der frühneuzeitlichen Forschung ein eher stiefmütterliches Dasein. Weniger eine schwindende Bedeutung der grundherrschaftlichen Strukturen dürfte hierfür der Grund sein, als vielmehr deren Überformung durch den sich herausbildenden Staat, dem sich das Interesse der Forschung in besonderer Weise zuwandte. Die Überblicksliteratur zur fürstlichen, adeligen oder kirchlichen Herrschaft der Frühen Neuzeit interessiert sich wenig für das Phänomen der Grundherrschaft.
Erfreulich ist es deshalb, dass James Lowth Goldsmith, emeritierter Professor für Geschichte an der University of Oklahoma, eine handbuchartige Überblicksdarstellung über die Grundherrschaft im frühneuzeitlichen Frankreich vorgelegt hat. "Lordship in France 1500-1789" schließt dabei nahtlos an dessen 2003 erschienenes Werk "Lordship in France 500-1500" an und folgt der dort bereits vorgegebenen klaren inhaltlichen Strukturierung: Einem einführenden systematischen Kapitel, das sich mit den wirtschaftlichen, administrativen und rechtlichen Strukturen der Grundherrschaft befasst und rund ein Viertel des Gesamtumfangs ausmacht ("Lordship under the Old Regime"), folgen vier Kapitel, in denen die unterschiedlichen regionalen Formen der Grundherrschaft skizziert werden ("Regional Patterns of Lordship"). Ein abschließendes Kapitel widmet sich der Entwicklung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die zu einer Erosion und schließlich zur Aufhebung der mehrhundertjährigen grundherrschaftlichen Strukturen führte ("1750-1789"). Dieses Nebeneinander eines strukturellen, regionalen und chronologischen Zugangs funktioniert äußerst gut und ist der Vielschichtigkeit des Themas angemessen.
Gerade die allgemeine Beschreibung des komplexen Themas Grundherrschaft weiß zu gefallen. Goldsmith versteht das Abgabenwesen als ökonomische Basis der Grundherrschaft ebenso knapp und anschaulich zu beschreiben wie das Nebeneinander von Renteneinkünften und stärker profitorientierter Eigenwirtschaft. Zahlreiche statistische Angaben bereichern die Beschreibung, die der zentralistische Verwaltungsapparat in Frankreich in stärkerem Maße hervorgebracht hat als etwa im Reich. Die rechtliche und administrative Abhängigkeit der Bevölkerung von den Grundherren komplettiert den Überblick. Es zeigt sich, dass die Organisation von lokaler Herrschaft ungeachtet mancher jurisdiktioneller und exekutiver Einflussmöglichkeiten des Königs weithin von den Grundherren und ihren Amtsträgern abhing und dabei personell und regional stark differieren konnte. Auch in Frankreich, lange als Idealfall absolutistischer Herrschaft betrachtet, war die königliche Macht auf der lokalen Ebene nur schwach präsent und trat hinter den dominanten Einfluss der adeligen und kirchlichen Grundherren zurück.
Diese grundlegenden Strukturen fanden sich überall in Frankreich, passten sich aber den regionalen Besonderheiten an. So bestanden beispielsweise in der Ile-de-France als politischem und wirtschaftlichem Zentrum des Landes groß dimensionierte Grundherrschaften in hochadeliger Hand, die ihren Besitzern nicht nur wichtige Titel und hohes Prestige einbrachten, sondern auch finanziellen Gewinn - wurde von hier aus doch die stetig wachsende Hauptstadt Paris ernährt. Ähnlich waren die Verhältnisse in der Normandie, und auch in Aquitanien wurde in großen Grundherrschaften für den Markt produziert. Andernorts sorgten ökonomische Besonderheiten für eine Modifikation der Grundherrschaft: Im Bordelais rückte der Weinbau in das Interesse der Grundherren, während in den südlichen Niederlanden die städtische Protoindustrie für eine sukzessive Auflösung grundherrlicher Strukturen sorgte.
Unberührt von intensiver Landwirtschaft blieben dagegen etwa die bukolischen Schlosslandschaften an der Loire. Überhaupt waren agrarisch weniger profitable Regionen der Normalfall, in denen kleine Grundherrschaften das Land überzogen und deren Herren von ihren Renteneinkünften lebten. Burgund oder die Dauphiné können ebenso als Beispiele genannt werden wie die Bretagne oder das Elsass. Schließlich schwankte die Bedeutung der Kirche stark zwischen den einzelnen Regionen; während in der Normandie oder im Lyonnais Bistümer und Abteien zu den größten Grundherren gehörten, befand sich im Languedoc oder in der Provence nur wenig Land in ihrem Besitz. Grundherrschaft in Frankreich zeichnete sich damit - parallel zum übrigen vormodernen Europa - durch eine vielgestaltige Heterogenität aus, die in den unterschiedlichen agrarischen und sozialen Bedingungen der einzelnen Regionen wurzelte und im jeweiligen Gewohnheitsrecht ihren rechtlichen Ausdruck fand.
Naturgemäß ist diese Heterogenität schwer darzustellen und auch Goldsmith fällt eine Zusammenfassung der vielfältigen Erscheinungsformen nicht immer leicht. Einerseits wiederholen sich manche Aussagen, andererseits sind in manchem regionalen Kapitel Probleme angesprochen, die doch eher allgemeiner Natur sind: Wenn etwa für die Normandie skizziert wird, dass die Kirchspiele der organisatorische Kern der ländlichen Lebenswelt waren und nicht die Grundherrschaft (137), dann trifft dies sicherlich genauso auf alle Regionen Frankreichs zu wie das ambivalente Miteinander von Grundherren und Parlamenten, wie es für die Auvergne beschrieben wird (162/63).
Bisweilen befremdet das Buch allerdings durch manche Wertung, die dem analytischen Blick auf die vielfältigen grundherrschaftlichen Strukturen wenig angemessen ist: Beispielsweise wird die Rolle von Bistümern und Abteien zur Versorgung von adeligen Nachkommen als "the evils of the pre-revolutionary aristocratic Catholic church" (138) abqualifiziert oder die kirchliche Besitzakkumulation - etwa in den Händen des Kardinals Mazarin - mehrfach als "shameless" (68, 73, 113) verurteilt. Die nüchterne Skizzierung kirchlich-grundherrschaftlicher Praxis wäre an solchen Stellen wünschenswerter gewesen als moralische Entrüstung. Überhaupt erscheinen Kirche und Adel mehrfach als selbstsüchtige Ausbeuter, während der König dagegen im milden Licht als Wahrer des Gemeinwohls dasteht. So muss Goldsmith gerade das Elsass mit seinen im Reichsrecht wurzelnden grundherrlichen Strukturen als problematisch erscheinen: "Whereas the payment of new taxes to the King of France eventually resulted in the establishment of peace, law and order, in Alsace the new seigneurial taxes [...] simply financed endless petty feudal warfare that diminished rather than enhanced the security of the region" (116). Leider werden hier Geschichtsbilder von einer stets konfliktträchtigen Kleinstaaterei und dem friedensstiftenden absolutistischen Herrscher unkritisch tradiert.
Dennoch kann das vorliegende Buch als gelungener Überblick über ein zentrales Phänomen vormoderner Herrschaftsorganisation betrachtet werden, nicht nur für Frankreich, sondern auch allgemein für die Frühe Neuzeit. Gerade die Darstellung der allgemeinen Strukturen der Grundherrschaft überzeugt und bietet ein wichtiges Fundament in der bisweilen verwirrenden Vielfalt unterschiedlicher regionaler Ausprägungen.
James Lowth Goldsmith: Lordship in France 1500 - 1789, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, VIII + 334 S., ISBN 978-0-8204-7869-2, EUR 67,70
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