Die sogenannten Langen Mauern, die Athen mit dem Peiraieus und mit Phaleron verbanden, zählten zu den eindrucksvollsten Festungsanlagen der Antike. Ihre Errichtung bedeutete einen Wendepunkt in der Kriegführung im Altertum, da dieses Festungssystem die Thalassokratie einer Großpolis gegen Angriffe von der Landseite her absicherte, diese Funktion aber nur erfüllen konnte, solange die athenische Flotte im östlichen Mittelmeer dominierte. Insofern bestand eine Korrelation zwischen der Hegemonie und der Sicherheitspolitik der Athener. Eine Gesamtdarstellung der 'Geschichte' der Langen Mauern lag bisher nicht vor. Conwell füllt daher mit diesem Buch eine Lücke.
In der langen Einleitung (Kapitel 1: 1-36) erörtert er Planung und Konstruktion der Mauern. Bemerkenswert ist sein Hinweis auf die Situation vieler Familien, die unmittelbar von der Errichtung der Anlagen betroffen waren (19). Bei der Planung des Projektes wurde offenbar keine Rücksicht auf die Belange jener Bauern genommen, deren Grundstücke von den Mauern gleichsam durchtrennt wurden. Zudem sahen sich viele Anlieger mit Sackgassen konfrontiert, die Verkehr und Kommunikation behinderten. Eine möglichst genaue Datierung des Beginns der notwendigen Vorbereitungen für den Mauerbau ist die Voraussetzung für eine Analyse der hiermit verbundenen Intentionen der Athener. Conwell nimmt zu diesem Problem im zweiten Kapitel (37-64) ausführlich Stellung und entscheidet sich für 462/61 v. Chr. Er beruft sich auf die Nachricht Plutarchs (Kimon 13,8), dass Kimon Mittel für die Befestigung der Fundamente der Mauern zur Verfügung gestellt habe. Hieraus sei zu schließen, dass die Arbeiten zwischen der Brüskierung Kimons durch die Spartaner in Messenien 462 v. Chr. und seiner Ostrakisierung im Frühjahr 461 begonnen wurden. Dies ist aber wenig wahrscheinlich, da Kimon wegen seiner Opposition gegen die Reformen des Ephialtes ostrakisiert wurde und vor seinem Exil sich schwerlich engagiert für die Durchführung des gewaltigen Mauerbauprojektes eingesetzt hat. Die Zeitangabe des Thukydides (1,107,1) lässt eher darauf schließen, dass die Entscheidung für die Errichtung der Mauern nach den Kämpfen zwischen den Athenern und den Korinthern in der Megaris getroffen wurde, als Kimon sich bereits im Exil befand. Aus athenischer Sicht schien gerade in dieser Zeit eine doppelte Absicherung erforderlich zu sein. Im Frühjahr oder Frühsommer 461 begannen die Kampfhandlungen des sogenannten ersten Peloponnesischen Krieges, und nach dem Hilfegesuch des Inaros und der Intervention der Athener in Ägypten schien sich für sie die Möglichkeit zu bieten, das Perserreich vom Meer abzudrängen und hierdurch die Kräfte Athens dauerhaft zu entlasten, wenn auch zunächst ein Zweifrontenkrieg in Kauf genommen werden musste. Gerade in dieser Phase hochgesteckter athenischer Pläne war es aus der Sicht der Führung und des Demos zweifellos dringend notwendig, permanent die Verbindung zwischen dem politischen Entscheidungszentrum und der Flottenbasis im Peiraieus zu sichern.
Im dritten Kapitel (65-78) skizziert Conwell die Situation in der Zeit der Errichtung der so genannten Mittleren Mauer, die parallel zur Peiraieus-Mauer verlief und nach seinen Überlegungen etwa 443/42 in aller Eile erbaut wurde. Nach seiner Überzeugung haben die Athener 446 erkannt, dass ihre Flotte nicht unbezwingbar ("not all-powered") sei und eine feindliche Landung an der Küste zwischen Phaleron und Peiraieus nicht ausgeschlossen werden könne. Die Mittlere Mauer habe dazu gedient, auf jeden Fall die Verbindung zum Peiraieus unangreifbar zu machen. Die athenische Flotte beherrschte indes nach wie vor den Saronischen Golf. Eine Landung an dem genannten Küstenabschnitt wäre zu diesem Zeitpunkt für potentielle Kriegsgegner der Athener ein Hasardieren mit unzulänglichen Mitteln gewesen. Gefahr für Athen hätte aber trotz des Dreißigjährigen Friedens mit Sparta nach dem Seitenwechsel Megaras von einem massiven spartanischen Vorstoß durch die Megaris ausgehen können. In diesem Fall wäre die Peiraieus-Mauer bedroht gewesen. Offenbar sollte die Mittlere Mauer notfalls als Auffangstellung dienen, wie dies auch Conwell in Erwägung zieht.
Im zentralen vierten Kapitel (77-107) sucht der Autor zu zeigen, dass die Langen Mauern im Peloponnesischen Krieg bis zur Niederlage bei Aigospotamoi ihre 'Bewährungsprobe' bestanden haben. Er ist überzeugt, dass die Athener in der Lage gewesen wären, feindliche Vorstöße nach Attika auf unbegrenzte Zeit hinzunehmen, wenn sie ihre Seeherrschaft behauptet und alle Angriffe auf ihr Festungsdreieck abgewehrt hätten (81). Nach Thukydides (1,141) soll Perikles freilich vor Kriegsbeginn in der Volksversammlung behauptet haben, dass die Spartaner wegen ihrer Mentalität und infolge ihrer fehlenden Ressourcen einen längeren Krieg nicht durchstehen könnten. Wenn Perikles tatsächlich diese Auffassung vertreten hat, wollte er schwerlich seinen Mitbürgern einen unabsehbar langen Krieg abverlangen. Letztlich enthielt der Kriegsplan des Perikles aber eine schwere strategische Fehlkalkulation. Er hatte eine katastrophale Niederlage der athenischen Flotte weder ernsthaft in Betracht gezogen noch versucht, mit allen Mitteln der Diplomatie eine Bewältigung der Krise vor Kriegsbeginn anzustreben.
In drei weiteren Kapiteln behandelt Conwell die 'Geschichte' der Langen Mauern von der Wiederherstellung der nach der Kapitulation Athens (404 v. Chr.) zerstörten Teile der Anlagen (395/94) bis in die achtziger Jahre des dritten Jahrhunderts v. Chr., als diese Befestigung ihre strategische Bedeutung verloren hatte.
Insgesamt gesehen ist es Conwell gelungen, die fortifikatorischen Maßnahmen der Athener zur Sicherung ihrer Verbindung zum Meer im größeren Rahmen der wechselnden Zielsetzung ihrer Politik paradigmatisch darzustellen.
David H. Conwell: Connecting a City to the Sea. The History of the Athenian Long Walls (= Mnemosyne. Supplements - History and Archeology of Classical Antiquity; Vol. 293), Leiden / Boston: Brill 2008, xiv + 267 S., ISBN 978-90-04-16232-7, EUR 99,00
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