sehepunkte 9 (2009), Nr. 11

Martina Dobbe: Fotografie als theoretisches Objekt

Seit wenigen Jahren wächst die kunsthistorisch anspruchsvolle Literatur über die künstlerische Fotografie seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Dennoch sind momentan noch viele "Leerstellen" im Blick auf eine grundlegende Reflexion dieses Phänomens auszumachen. Nicht zuletzt deshalb kann ein Buch neugierig machen, dass "Fotografie als theoretisches Objekt" in den Fokus nimmt. Martina Dobbe will jedoch, wie sie im Vorwort sogleich einschränkt, keine "Theorie mit dem Anspruch auf Überschau, umfassende Geltung, Grundbegriffe und (letzte) Gewißheiten" vorstellen, sondern vielmehr "die pluralen Theorie-Debatten um die Fotografie bzw. das Fotografische in der anschaulichen Auseinandersetzung mit Kunstwerken [...] erden, um dabei zugleich für die bildtheoretische Erneuerung eines traditionell eher theorieresistenten Faches, der Kunstgeschichte, zu plädieren" (9).

Diesem hohen Anspruch folgt die Verfasserin jedoch nicht auf einem sukzessiv und einheitlich verlaufenden Argumentationsweg, sondern in Gestalt einer Textsammlung, die vielfach bereits publizierte Aufsätze beinhaltet. Sie datieren zwischen 1999 und 2007, ein Aufsatz wurde sogar bereits 1994 publiziert. Die sich somit aufdrängende Frage nach dem roten Faden dieser Publikation, dessen sehr weit gefasster Untertitel etwas irritiert, wird in der Einleitung sogleich beantwortet. In der Frage nach der Fotografie als theoretischem Objekt knüpft Dobbe terminologisch an Rosalind Krauss an. Dabei variiert sie die Topoi ihrer amerikanischen Vorgängerin in der Wende von der Fotografie zum Fotografischen. Das Ende der Fotografie wird hier positiviert als Beginn des Interesses an Fotografie als theoretischem Objekt (11), wobei Dobbe glücklicherweise nicht mehr als dieses eine Motiv von Krauss' grundsätzlich problematischer Sichtweise adaptiert. [1] Gleichwohl ist auch Dobbes Interesse immer mit der Frage nach dem Stellenwert des Fotografischen im Kontext der Debatte von Moderne, Modernismus und Postmoderne verbunden - ein Erkenntnisinteresse, das sich bereits in ihrer Dissertation über den Kontext der Malerei von Cy Twombly wiederfindet. [2]

Es sei an dieser Stelle gestattet zu erwägen, ob dieses hegelianische Denkmotiv nicht wissenschaftsgeschichtlich etwas überholt ist. Das gilt auch für die Frage nach dem Erhabenen und Sublimen bei Lyotard und Baudrillard (147-168) oder die Diskussion des gerade in den Neunzigerjahren gerne verhandelten Topos der "Simulation" (178-180), der von Dobbe im Kontext der Appropriation Art eingeführt wird. Gerade in jenem Zusammenhang wäre es aus heutiger Perspektive viel interessanter zu fragen, inwieweit die mittlerweile verblichene Konjunktur der Denkfigur Baudrillards nicht wirkliche Parallelen in der künstlerischen Praxis besitzt - ohne dass man diese Perspektive wieder auf die letztlich verfängliche Frage fokussiert, wer denn der "Erfinder" sei.

Von den Leerstellen zurück zum Inhalt des Buches: Dobbe ordnet ihre Beiträge zum Fotografischen zu vier Kapiteln, in denen es (1.) um den Paragone zwischen Skulptur (nicht: Malerei!) und Fotografie, (2.) um den Kontext der Reproduktion, (3.) um Medienspezifik und (4.) um das Fotografische als Dispositiv geht. Bei aller Verschiedenartigkeit der einzelnen Texte ist ihre Argumentationsweise in jedem Fall sehr konsequent und nachvollziehbar aufgebaut: Ausgehend von einer allgemeinen kunst- oder bildtheoretischen Explikation der jeweiligen Fragestellung, die bisweilen etwas weitschweifend erscheint, sich mitunter auch wiederholt, mündet jeder Beitrag in eine konkrete Werkanalyse, aus der sie abschließende Konsequenzen für den Status des Bildes zieht. Dabei kommt die Qualität der hermeneutischen Frage nach Bildlichkeit des Bildes in der Folge von Imdahl, Winter und Boehm in überzeugender Weise endlich auch einmal in der Auseinandersetzung mit Fotografie zum Tragen. Wie diese so geht auch Dobbe unabhängig von traditionellen Gattungsgrenzen aus von einem "phänomenologisch grundlegende[n] Status des Bildes, Medium anschaulicher Erkenntnis zu sein" (152).

Vor diesem Hintergrund zählen Dobbes Betrachtungen der Arbeiten von Künstlern wie Sherrie Levine, Jan Dibbets, Jeff Wall, Andreas Gursky oder Sol LeWitt zu den eindringlichsten Analysen der neueren Foto-Literatur überhaupt. Auch der Beitrag zur Fotografie von Bernd und Hilla Becher (101-126) ist mit Rücksicht auf die ansonsten eher deskriptive Literatur zum Werk der deutschen Foto-Pioniere herausragend. [3] Denn Dobbe betrachtet diese Fotos nicht primär unter sozialgeschichtlichen Prämissen im Hinblick auf ihre Motive, sondern auf das Fotografische selbst, nimmt also die bildkünstlerische Konstruktion der Dokumentation (106 ff.) in den Blick.

Gleiches gilt für die erstmals 1999 publizierten Ausführungen zur Bildwerdung des Abbildlichen am Beispiel der Portraits von Thomas Ruff (129-146). Dieser Text zählt zu den überzeugendsten Beiträgen zu Ruffs Frühwerk, wird aber in der Sekundärliteratur in der Regel übersehen - vermutlich weil Dobbes Aufsatztitel zu unspezifisch ausgefallen ist und die Bezugnahme auf Ruff unterschlägt. An dieser Stelle macht sich jedoch ebenfalls bemerkbar, dass es sich um einen älteren, nicht weiter aktualisierten Text handelt, der die seit 1999 publizierten Überlegungen nicht berücksichtigt, obwohl sie nun mitunter zu ähnlichen Ergebnissen kommen. [4]

Als Textsammlung ist das Buch von Martina Dobbe also ausgesprochen lesenswert. Ihre Werkanalysen sind durchweg eindringlich und lehrreich. Leider aber fügen sich die Texte inhaltlich nicht durchgängig dem vorgegebenen thematischen Rahmen des Fotografischen ein. Selbst mit Rücksicht auf die unspezifischen Kapitelüberschriften lässt sich nicht kaschieren, dass die Aufsätze zur Rezeption Warhols bei Baudrillard und Lyotard (147-168), zur Debatte um die Minimal Art (189-209), zur frühen Videokunst (257-274) oder zur Spaltung des Blicks in der neueren Installationskunst (297-310) nicht das Geringste mit der angekündigten Auseinandersetzung mit dem Fotografischen zu tun haben: Thema verfehlt! Immerhin wird der Leser entschädigt durch das gleichbleibend hohe Niveau von Dobbes bildtheoretischen Reflexionen und erhält exemplarische Anaylsen zu wichtigen Werken der Sechziger- und Siebzigerjahre von Peter Campus, Vito Acconci, Dan Graham oder Bruce Nauman.


Anmerkungen:

[1] Vgl. zuletzt: Peter Geimer: Theorien der Fotografie zur Einführung, Hamburg 2009, 30 f.

[2] Vgl. Martina Dobbe: Querelle des Anciens, des Modernes et des Postmodernes. Exemplarische Untersuchungen zur Medienästhetik der Malerei im Anschluss an Positionen von Nicolas Poussin und Cy Twombly, München 1999.

[3] Weitere Ausnahmen in der umfangreichen Literatur zu den Bechers sind ansonsten: Rolf Sachsse: Hilla und Bernhard Becher. Silo für Kokskohle, Zeche Hannibal, (Bochum-Hofstede, 1967). Das Anonyme und das Plastische der Industriephotographie, Frankfurt / M. 1999; Armin Zweite: Bernd und Hilla Bechers "Vorschlag für eine Sehweise". 10 Stichworte, in: Bernd Becher / Hilla Becher: Typologien industrieller Bauten, München 2003, 13-41 sowie Susanne Lange: Was wir tun, ist letztlich Geschichten erzählen....Bernd und Hilla Becher. Eine Einführung in Leben und Werk, München 2005.

[4] Vgl. Patricia Drück: Das Bild des Menschen in der Fotografie. Die Porträts von Thomas Ruff, Berlin 2004.

Rezension über:

Martina Dobbe: Fotografie als theoretisches Objekt. Bildwissenschaft, Medienästhetik, Kunstgeschichte, München: Wilhelm Fink 2007, 344 S., ISBN 978-3-7705-4446-2, EUR 39,90

Rezension von:
Stefan Gronert
Kunstmuseum Bonn
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Gronert: Rezension von: Martina Dobbe: Fotografie als theoretisches Objekt. Bildwissenschaft, Medienästhetik, Kunstgeschichte, München: Wilhelm Fink 2007, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 11 [15.11.2009], URL: https://www.sehepunkte.de/2009/11/13884.html


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