Der Islamwissenschaftler Omar Kamil untersucht in seinem Werk die Beziehung zwischen arabischen und europäischen Juden mithilfe einer politikwissenschaftlichen, ideologiekritischen Analyse. Er geht von der These aus, dass arabische Juden in Israel von zwei Ideologien instrumentalisiert wurden bzw. werden: dem politischen Zionismus einerseits und der religiösen Ideologie der Schas Partei andererseits. Des Weiteren behauptet Kamil, dass in Israel eine aschkenasische Hegemonie herrscht.
Als theoretische Grundlage verwendet Kamil dabei den Hegemoniegedanken und Gesellschaftsbegriff von Gramsci. Insbesondere greift der Autor auf Gramscis Konzept von Arbeit sowie auf seine Vorstellung zurück, dass Ideologien der 'Zement' sind, der eine Gesellschaft zusammenhält.
Im Hinblick auf den Forschungsstand ist festzuhalten, dass es zwar viele Werke zu den Juden in Israel, zum Zionismus oder zu dem israelisch-arabischen Konflikt gibt, aber keine ausführliche Darstellung zum inner-jüdischen Verhältnis. Insofern stellt Kamils Studie Neuland dar, sie ist die erste fundierte Untersuchung zur Stellung der arabischen Juden in Israel. Als Arbeitsgrundlage haben dem Forscher verschiedene Textquellen gedient, wie Briefe der Parteiführer, Radiosendungen der Schas Partei und Interviews mit Betroffenen.
Insgesamt gliedert sich die Studie in sechs Abschnitte. Der erste Abschnitt stellt das Verständnis des gesellschaftlichen Herrschaftsmodells bei Antonio Gramsci als konstruierte kulturell-soziale Realität dar, wie sie der Autor in seinem Werk nutzen bzw. verstanden haben will. Im zweiten Kapitel präsentiert Kamil den historischen Hintergrund. Er beschreibt zunächst, wie und wo sich innerhalb des jüdischen Glaubens die zwei Rechtsschulen, Aschkenasim und Sephardim, entwickelt haben; dann erklärt er die modernen Einflüsse, die Grundlage für die aktuelle Vorherrschaft der Aschkenasim sind. Der Autor zeigt, dass die in Europa sesshaften Aschkenasim durch die dortige Judenfeindlichkeit benachteiligt waren. Im Gegensatz dazu waren die im Orient ansässigen Sephardim in die sie umgebende islamische Gesellschaft integriert und bildeten daher bis zum 19. Jahrhundert die stärkere jüdische Gruppe. Dies änderte sich, wie Kamil nachweist, im Verlauf der jüdischen Aufklärung im Europa der Nationalbewegungen und während der Entstehung des Zionismus.
Auf letzteren Gedanken geht Kamil im dritten Abschnitt ausführlich ein, indem er erläutert wie die aschkenasische Ideologie entstand. Dabei präsentiert er David Ben Gurion als zentrale Figur für den Staat Israel und dessen sozialer Strukturierung im Sinne einer aschkenasischen Hegemonie. Der Autor stellt fest, dass Ben Gurion die Absicht hatte, eine neue Nation, einen rein jüdischen Arbeiterstaat, zu schaffen, der nach aschkenasisch-europäischen Werten und Vorstellungen aufgebaut sein musste. Zu diesem Zweck rief Ben Gurion seine eigene Partei Mapai sowie die Histadrut nach dem Modell des Sowjetsystems ins Leben. Im Hinblick auf das inner-jüdische Verhältnis ergab sich dadurch eine Außenseiterposition der arabisch-orientalischen Juden.
Auf diese Problematik geht Kamil im vierten Kapitel ein. Dabei legt der Wissenschaftler die These zugrunde, dass die arabischen Juden bis Mitte der 1970er Jahre von der aschkenasischen Arbeiterbewegung dominiert und von diesen als untergeordnete Arbeiter angesehen wurden. Laut Kamil ist die Ursache hierfür, dass in diesem Zeitraum die politische und die geistige Elite Israels eine stark rassistisch geprägte Einstellung gegenüber den arabischen Juden hatte. Entsprechend wurden sie von den staatstragenden Aschkenasim in erster Linie als günstige Arbeiter für die neu entstehende Wirtschaft eingestuft.
Der fünfte Abschnitt analysiert das Ende der aschkenasischen Hegemonie und das Erstarken der arabischen Juden. Kamil stellt die innen- und außenpolitischen Ursachen hierfür dar, wie die Kriege mit den arabischen Nachbarländern und den zunehmenden Revisionismus. Als Resultat dieses Prozesses betrachtet er den "Kulturkampf" zwischen den Bewegungen und leitet so zum letzten Kapitel über. In diesem präsentiert Kamil die Sephardim unter Führung von Ovadia Yosef und seiner Schas Partei als die neue Hegemonialmacht. Als Grundidee von Yosef stellt er das Streben nach einer Integration aller Israelis heraus, indem säkulare Elemente aus der Staatsideologie entfernt und durch religiöse ersetzt werden.
Positiv beim Aufbau der Arbeit ist, dass der Autor jedem Kapitel eine kurze Einleitung voranstellt, in der er die jeweils zugrunde gelegte Theorie Gramscis als Ausgangspunkt darstellt. Demgegenüber stören die vielen Fehler in der deutschen Grammatik und Rechtschreibung bei der Lektüre. Insgesamt ist die Studie von Kamil lesenswert für jeden, der sich über den bekannten Kontext des israelisch-arabischen/israelisch-palästinensischen Konflikts hinaus mit der Struktur des Staates Israels auseinandersetzen will.
Omar Kamil: Arabische Juden in Israel. Geschichte und Ideologie von Ben Gurion bis Ovadia Yosef (= Ex Oriente Lux; Bd. 9), Würzburg: Ergon 2008, XII + 345 S., ISBN 978-3-89913-633-3, EUR 45,00
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