sehepunkte 10 (2010), Nr. 7/8

Claudia Lichte / Heribert Meurer (Bearb.): Die mittelalterlichen Skulpturen

Unbestritten bilden Bestandskataloge ein Rückgrat der Sammlungserschließung. Viele Objekte wären ohne diese Arbeitsinstrumente gar nicht bekannt und zugleich zeichnen sie einen Querschnitt des jeweiligen Forschungsstandes. Glücklicherweise sind in den beiden letzten Jahrzehnten zu zahlreichen wichtigen Komplexen aktuelle Publikationen erschienen. [1]

Besprechungen von Bestandskatalogen stellen für den Rezensenten aber eine zusätzliche Herausforderung dar, da dort zumeist ein sehr heterogenes Material zusammengetragen ist, das sich einer übergreifenden Behandlung entzieht. So kann man beispielsweise auf Details der Bewertung und Einordnung der Objekte eingehen, läuft damit aber Gefahr, sich in Einzelheiten zu verlieren. Bestandskataloge können aber auch beispielhaft für Forschung an Museen stehen. Dies gilt für die vorliegende Publikation, den Katalog der mittelalterlichen Skulpturen des Landesmuseums Württemberg, in besonderem Maße: Nach einem ersten Band zu den Skulpturen bis 1400 von 1989 [2] wurde hier nun der Zeitraum zwischen 1400 und 1530 in der Reichsstadt Ulm und im südlichen Schwaben behandelt. Darin flossen die Erkenntnisse zahlreicher wegweisender Forschungs- und Ausstellungsprojekte ein, an denen die Bearbeiter maßgeblich beteiligt waren. Beispielhaft sei hier nur auf die Ausstellung Meisterwerke massenhaft zu dem Ulmer Künstler Nikolaus Weckmann von 1993 hingewiesen. [3] Kurz gesagt: Dies ist die abschließende Frucht eines idealen Zusammenspiels zwischen Forschung und musealer Präsentation, nicht zuletzt verbunden mit den Namen Heribert Meurer und Hans Westhoff, die lange Jahre am Württembergischen Landesmuseum als Kunsthistoriker und Restaurator für die Betreuung der mittelalterlichen Bildwerke zuständig waren.

Blickt man auf die 174 Katalognummern, fällt auf, dass im Unterschied zu vielen anderen Beständen oft die Herkunft noch bekannt ist. So ist zu bedauern, dass die Texte zumeist zu sehr auf Forschungs-, Datierungs- und Stildiskussionen konzentriert sind, während der Herkunftszusammenhang nur dort eine Rolle spielt, wo es um die Datierung geht (zum Beispiel Kat.-Nr. 73, 149-150). Gern wüsste man mehr über Stifter, Aufstellungsorte etc., wo man sie noch greifen kann. Besonders schmerzlich ist auch das Fehlen übergreifender Überlegungen zu den technologischen Befunden, die zwar detailliert an den Objekten gemacht wurden, aber aus Sicht des Kunsthistorikers zu sehr dokumentarischen Charakter haben und nicht zusammengeführt sind. Auch ist eine Verbindung zwischen den technologischen und kunsthistorischen Beiträgen weitgehend unterblieben. Sie stehen einander gegenüber, ohne dass gemeinsame Fragestellungen deutlich werden.

Es bleibt bei einer Bestandsdokumentation auch kaum aus, dass man auf einem unterschiedlichen Forschungsstand agieren muss. So wurde in letzter Zeit viel über Ulm gearbeitet. Demgegenüber fällt die Kenntnis über die oberschwäbischen Zentren deutlich zurück, vielleicht vom Meister der Biberacher Sippe abgesehen (Kat.-Nr. 118-120). Die weiteren Zentren - neben Biberach sind hier Memmingen, Ravensburg oder Konstanz zu nennen - bedürfen durchweg noch weiterer Forschung.

Die Aufteilung der Publikation in zwei Bände - einen Text- und einen Tafelband - erscheint in dieser Form eher ungünstig, werden doch Bilder und Texte auseinandergerissen. Zudem wird mit der Anordnung der Abbildungen zum Teil viel Platz verschenkt. Gerne hätte man sich von zahlreichen hochrangigen Objekten mehr und vor allem größere Abbildungen gewünscht. Seitenansichten und Details sind nur punktuell zu finden.

Insgesamt handelt sich gleichwohl um das eindrucksvolle Resultat einer langjährigen fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Kunsthistorikern und Restauratoren. Nicht ohne Grund hat die Getty Foundation deshalb Erarbeitung und Publikation unterstützt. Dies zeigt nicht nur, welche Bedeutung man dort der Stuttgarter Sammlung selbst wie auch der überaus lebhaften Forschungstätigkeit beimisst, sondern vor allem, wie wichtig die kontinuierliche Erforschung und Präsentation eigener Bestände über die Grenzen der eigenen Sammlung hinaus ist.


Anmerkungen:

[1] So zum Beispiel: Reinhard Karrenbrock / Patricia Langen: Die Holzskulpturen des Mittelalters II 1400-1540. 1. Köln, Westfalen, Norddeutschland (= Sammlungen des Museum Schnütgen; 5), Köln 2001.

[2] Heribert Meurer / Hans Westhoff: Die mittelalterlichen Skulpturen 1. Stein- und Holzskulpturen 800-1400, Stuttgart 1989.

[3] Meisterwerke massenhaft. Die Bildhauerwerkstatt des Niklaus Weckmann und die Malerei in Ulm um 1500. Erschienen zur Ausstellung im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart, Altes Schloss, vom 11. Mai - 1. August 1993, Stuttgart 1993.

Rezension über:

Claudia Lichte / Heribert Meurer (Bearb.): Die mittelalterlichen Skulpturen. 2. Stein- und Holzskulpturen 1400-1530. Ulm und südliches Schwaben, Ostfildern: Thorbecke 2007, 2 Bde., 335 S. + 208 S., 159 Abb., ISBN 978-3-7995-8038-0, EUR 59,00

Rezension von:
Gerhard Lutz
Dom-Museum Hildesheim
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Lutz: Rezension von: Claudia Lichte / Heribert Meurer (Bearb.): Die mittelalterlichen Skulpturen. 2. Stein- und Holzskulpturen 1400-1530. Ulm und südliches Schwaben, Ostfildern: Thorbecke 2007, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 7/8 [15.07.2010], URL: https://www.sehepunkte.de/2010/07/13723.html


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