Das seit einigen Jahren zu beobachtende zunehmende Interesse an der lateinischen Literatur der Spätantike hat auch den aus Afrika stammenden Epiker Coripp (so die traditionell geläufige Namensform; Riedlberger plädiert mit guten Gründen für Goripp) mehr und mehr in das Blickfeld der Forschung gerückt. [1] Im Kontext dieser allmählichen Erschließung eines bisher nicht nur aus philologischer, sondern auch historischer Perspektive viel zu wenig beachteten Autors ist auch die im Winter 2009/10 abgeschlossene und bereits kurz darauf publizierte Kieler Dissertation Peter Riedlbergers anzusiedeln, der mit dieser Arbeit einen wichtigen Meilenstein der zur Zeit erst in den Anfängen befindlichen Coripp-Forschung markiert.
Riedlbergers Arbeit ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Zum einen erweitert er das bisher vorwiegend philologisch geprägte Interesse an Coripp (es gibt nur wenige Ausnahmen, so etwa die Studien Averil Camerons) um einen historischen Zugriff; zum zweiten liefert er in der umfangreichen Einleitung wichtige Bausteine zur Erschließung der Biographie des Dichters, zu seiner zeithistorischen Einordnung sowie zu zentralen Aspekten, die das Werk (als Ganzes) betreffen; und schließlich wird mit der Edition, Übersetzung und ausführlichen Kommentierung des abschließenden achten Buches der Johannis nicht nur ein überaus wichtiges Hilfsmittel für weiteres Arbeiten geboten, sondern zugleich eine neue Form der Präsentation erprobt: Edition, Übersetzung und Kommentar werden ineinander verwoben, dadurch dass jeweils einzelne Verse blockartig ediert, übertragen und kommentiert werden, was die Orientierung zwischen Text und Kommentar erheblich erleichtert.
In einer ausführlichen Einleitung (11-96) nähert sich der Verfasser dem spätantiken Epiker und seinem Werk. Die Studie setzt ein mit Überlegungen zur handschriftlichen Überlieferung und zu den bisher existierenden Editionen (15-27). Riedlberger weist auf den schlechten Erhaltungszustand und die in zahlreichen Punkten schlampige Kopie des Johannis-Textes hin, der nur in einer einzigen, von Giovanni De Bonis in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts angefertigten Handschrift erhalten ist und bereits die früheren Herausgeber vielfach zu reichhaltigen Emendationen und Konjekturen zwang. Unter der Überschrift "Der historische Kontext" werden der Lebensweg des Autors sowie die Situation Nordafrikas im sechsten Jahrhundert behandelt (28-63). Wichtig sind hier die bereits erwähnten Überlegungen zum Namen des Epikers, den Riedlberger in Flavius Cresconius Gorippus korrigiert (29-33). Der nachfolgende Versuch, biographische Anhaltspunkte über den Autor zu gewinnen, muss aufgrund des fehlenden Materials nahezu zwangsläufig in eine allgemeine Darstellung der Geschichte des vandalischen und römischen Nordafrikas seit ca. 500 einmünden (34-45). Riedlberger hält dabei fest, dass für Goripp "an die Stelle der Vandalenherrschaft, die zumindest während seiner Lebenszeit nicht einmal mehr in religiöser Hinsicht drückend war, [...] Krieg, Zerstörung und Pest" traten (40). Die römische Rückeroberung des Gebietes muss sich für den Epiker also nicht unbedingt als grundsätzlich vorteilhaft erwiesen haben, zumal auch für die Vandalenzeit, wie Riedlberger beiläufig anmerkt, durchaus eine beachtliche literarische Kultur auszumachen ist. Ob Goripp auch selbst schon vor der Abfassung der Johannis literarisch tätig wurde, ist nicht gesichert; die in einem mittelalterlichen Handschriftenkatalog genannten drei Titel religiöser Gedichte eines Cresconius könnten Riedlberger zufolge von Goripp stammen, wohingegen die Concordia canonum (eine Kanonessammlung eines Cresconius) aus der Mitte des sechsten Jahrhunderts ihm eher nicht zuzuweisen sei - allerdings aus anderen Gründen, als zuvor von Klaus Zechiel-Eckes angeführt (41-43). Die Entstehung der Johannis wird von Riedlberger präzise in den Zeitraum 546/48-552 gesetzt (44); mit Goripps Konstantinopel-Aufenthalt im Jahr 565 und der dort erfolgten Abfassung des Panegyricus anlässlich der Thronbesteigung Justins II. sowie der Verse an den hohen Amtsträger Anastasios verlieren sich die Spuren des Dichters.
Im Folgenden widmet sich der Autor den nordafrikanischen Berbern sowie der Art ihrer Darstellung in der Johannis (45-54). Seine Aussage, dass es seit dem Gildo-Aufstand 397/98 keine Auseinandersetzungen mit den Berbern mehr gegeben habe (48), wäre allerdings dahingehend zu präzisieren, dass wir zumindest für die östlicher gelegene Kyrenaika durchaus noch von schweren Unruhen zu Beginn des fünften Jahrhunderts wissen, über die die Schriften des Synesios von Kyrene informieren. Generell hätten Riedlbergers Ausführungen zu den Berbern von der Heranziehung aktueller Forschungen zu nomadisierenden Gruppen und ihrer Rezeption in der antiken Literatur noch profitieren können. Bei der Behandlung der römischen Truppen und Offiziere (54-60) betont Riedlberger mit guten Gründen die Flexibilität, mit der die Römer bei der Organisation ihrer Provinz(en) auch in der Spätantike noch vorgingen. Dem magister militum Johannes Troglita - dem Held der Johannis - sowie seinen Offizieren, insbesondere seinem Adjutanten Ricinar, sind die anschließenden Überlegungen gewidmet (60-63), bevor Riedlberger sich "Sprache und Stil" Goripps zuwendet (64-74). Er diagnostiziert zunächst "zahlreiche Abweichungen von der Ausdrucksweise des traditionellen Epos" (64), möchte dies aber zu Recht nicht als Folge einer 'Vulgarisierung' des Lateins (im Sinne einer Entwicklung in Richtung der romanischen Sprachen) interpretieren, sondern betont demgegenüber, dass die meisten der betreffenden Sprachelemente sich bereits im traditionellen Epos ebenso wie in der zeitgenössischen Prosa fänden (64). Ein eigenständiges Kunstwollen des Dichters sei jedenfalls unzweifelhaft erkennbar. Es manifestiere sich u.a. im "Willen zur Innovation" im Vokabular: "Unser Autor schafft sich also [...] einen eigenen, nie dagewesenen Wortschatz" (66), darunter Wörter, deren Bedeutung noch heute unklar sind (tarua). Viele dieser Neuschöpfungen stehen, so Riedlberger, eher für eine gezielte variatio, weniger für sprachliches Unvermögen. Letzteres wurde dem Dichter hingegen immer wieder vorgeworfen, insbesondere im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als sein Werk als Ausdruck von "Servilität in echt byzantinischer Weise" galt (so Joseph Partsch im Jahr 1875, vgl. Riedlberger 68). Wichtigster Referenzautor Goripps war offenkundig Vergil ("omnipräsent", 68), gefolgt von Lucan, der Grundmuster für die Ausgestaltung von Einzelszenen bot. Riedlberger weist auf die Dichte und Häufigkeit der Bezüge hin, die bereits einem Cento nahekämen, allerdings mit dem Unterschied, dass Goripp zumeist leichte Variationen vornehme, vor allem dadurch, dass ein oder mehrere Wörter durch Synonyme ausgetauscht werden. Riedlberger spricht in diesen und ähnlichen Fällen von "Baukastenjunkturen" (71), die er zusammen mit "Überbeanspruchungen" (Wiederholungen bestimmter Elemente), Wiederholungen und Selbstzitaten in zweierlei Richtung deutet: Zum einen als Hinweis auf das Bemühen des Dichters, Gelehrsamkeit zu demonstrieren, zum anderen als Indiz für eine recht zügige Abfassung des Gesamtwerks (74).
Unter dem Titel "Formale Aspekte" (74-82) werden u.a. mögliche Vorbilder für die Johannis diskutiert; Riedlberger schlägt in diesem Zusammenhang vor, den Blick verstärkt auf die heute kaum noch konkret fassbare Gattung der bella-Dichtungen zu richten, so etwa das panegyrische Gedicht De bello Germanico, das Statius unter Domitian verfasst hat (78). Mit der wichtigen Beobachtung, dass die Bücher 1-5 der Johannis eine (wohl direkt nach 546 entstandene) Einheit bilden und die Bücher 6-8 "appendixartig angehängt" wirken (81), leitet der Autor über zu der Frage nach dem "Sitz im Leben" der Johannis (83-96). Sein Vorschlag, das Werk grundsätzlich als Auftragsarbeit anzusehen, die anlässlich der Siegesfeier über den Berber Antalas in Karthago vorgetragen werden sollte (84ff.), überzeugt; weniger glücklich erscheint es mir, wenn zur Charakterisierung solcher Siegesfeiern ausgerechnet der so genannte Triumph Belisars 534 in Konstantinopel herangezogen wird (85), den bereits Prokop in jeder Hinsicht als Sonderfall charakterisiert hat.
Mit einigen grundsätzlichen Überlegungen zur Funktion von Panegyrik schließt die Einleitung (90-96). Zu Recht wendet sich Riedlberger gegen unreflektierte Deutungen von Panegyrik als 'Propaganda', doch ist die Forschung in diesem Punkt mittlerweile weiter, als der Autor suggeriert. In Auseinandersetzung mit Alan Cameron möchte Riedlberger die Johannis als konventionellen Teil einer Siegesfeier deuten, vergleichbar einer Rede anlässlich des 60. Geburtstages eines Hochschullehrers, bei der das Publikum eine feste Erwartungshaltung besaß und Überraschungen selten waren. Neben solch generalisierenden Überlegungen wäre aber doch auch verstärkt nach der Rolle der jeweils individuellen Texte innerhalb derartiger zeremonieller Akte zu fragen; so bleibt die These, wonach die Johannis u.a. auch zur Fundierung der oströmisch-byzantinischen Herrschaft in Nordafrika dienen sollte, in meinen Augen weiterhin unwiderlegt.
Nach einer Übersicht über den Inhalt der Johannis bis Buch 8 (97-100) und "Vorbemerkungen zur Edition" (101-105) folgt der Kommentar mit integrierter Edition und Übersetzung. Er setzt einen philologischen Schwerpunkt, bezieht aber auch historische Fragen konsequent mit ein und wird von nun an ein unentbehrliches Hilfsmittel zur Erschließung der Johannis darstellen (107-454).
Anmerkung:
[1] Vgl. etwa V. Zarini: Rhétorique, poétique, spiritualité: la technique épique de Corippe dans la "Johannide", Turnhout 2003; Th. Gärtner: Untersuchungen zur Gestaltung und zum historischen Stoff der "Johannis" Coripps, Berlin / New York 2008; Th. Gärtner: Die "Johannis" Coripps. Kritische Edition mit Übersetzung, Berlin/New York 2010; C. Schindler: Per carmina laudes. Untersuchungen zur spätantiken Verspanegyrik von Claudian bis Coripp, Berlin / New York 2009.
Peter Riedlberger: Philologischer, historischer und liturgischer Kommentar zum 8. Buch der Johannis des Goripp nebst kritischer Edition und Übersetzung, Groningen: Egbert Forsten 2010, 503 S., ISBN 978-90-6980-157-5, EUR 85,00
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