Seymour Drescher ist seit 1969 Professor an der Universität Pittsburgh und seit dem Ende der 1970er-Jahre einer der bedeutendsten Forscher zur Geschichte der Sklaverei. Bekannt geworden ist er mit dem Buch Econocide (1977) [1], in dem er die zuvor fast hegemoniale Theorie widerlegte, dass die britische Abschaffung der Sklaverei daraus resultierte, dass sich das britische System der Sklavenplantagen im ökonomischen Niedergang befand. Drescher konnte vielmehr zeigen, dass die Abolitionisten sich durchsetzen konnten, obwohl die Sklaverei gerade in der britischen Karibik nach wie vor hoch profitabel war; eine These, die in der heutigen Forschung weitgehend unumstritten ist. Seine folgenden Monographien kreisten weiterhin vor allem um die Abschaffung der Sklaverei [2], während in zahllosen Aufsätzen auch das ökonomische System der Sklaverei untersucht wurde.
Das hier zu besprechende Buch ist vom Fokus her deutlich weiter gefasst als die vorherigen Werke. Der Haupttitel "Abolition" signalisiert zwar eine Schwerpunktsetzung, die im Buch auch durch das umfangreichste Kapitel bestätigt wird, doch Aufstieg und Krise der Sklaverei werden ebenso untersucht. Zudem ist das Buch nicht auf den atlantischen Sklavenhandel konzentriert, sondern in seiner Anlage global. Es werden auch die Verhältnisse unfreier Arbeit in Asien und islamischen Regionen in den Blick genommen. Nichtsdestotrotz bleiben der atlantische Sklavenhandel und seine Bekämpfung in den ersten drei Kapiteln des Buches das Hauptuntersuchungsfeld.
Die Arbeit ist in vier Hauptkapitel mit folgenden Titeln unterteilt: Ausbau (3-90), Krise (91-244), Abschwung (245-414) und Wiederkehr (415-462). Das erste Kapitel untersucht vor allem die Motive und Abgrenzungen der europäischen Mächte beim Ausbau des atlantischen Sklavensystems von etwa 1500 bis Mitte des 18. Jahrhunderts. Zum einen betont Drescher dabei die Bedeutung religiöser Deutungsmuster für die Frage, wer versklavt werden konnte. Zum anderen verweist er auf den großen Einfluss von Epidemien. Während die Europäer gegen afrikanische Krankheiten in der Frühen Neuzeit nicht gewappnet waren und dadurch nur einzelne Hafenstützpunkte errichten konnten, erwiesen sich die europäischen Epidemien für die amerikanischen Ureinwohner als besonders tödlich. Die zum Teil fast vollständige Ausrottung der Ureinwohner trug ihren Teil zum Ausbau des Transportes afrikanischer Sklaven in die beiden Amerikas bei.
Im zweiten Kapitel werden die Amerikanische und die Französische Revolution, die lateinamerikanischen Revolutionen und der Aufstieg der britischen Abolitionisten im Zeitraum von 1770 bis 1820 untersucht. Drescher konstatiert in allen vier Fällen einen deutlichen Bedeutungsgewinn des Terminus "Freiheit" und eine zunehmende Kritik an Zuständen der Unfreiheit. Allerdings blieben die Auswirkungen vorerst häufig gering, so nahm etwa die Zahl der Sklaven in den amerikanischen Südstaaten deutlich zu. Zudem konzentrierten sich die praktischen Versuche zur Beendigung von Sklaverei noch vorwiegend auf Christen bzw. Europäer. So etwa beim Angriff einer britisch-holländischen Flotte auf den Hafen von Algier 1816. Dieser hatte laut Drescher das einzige Ziel, christliche Sklaven zu befreien, weil die britische Seemacht zu diesem Zeitpunkt weitgehend unumstritten war und keiner Machtdemonstration bedurfte. Schließlich führte der verlustreiche Angriff zum Ziel: 3.000 christlich-europäische Sklaven wurden vom Dey von Algier freigelassen.
Im dritten Kapitel werden dann die Wege zur Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert geschildert. Die regionalen Schwerpunkte bilden dabei erneut die beiden Amerikas sowie der europäische Kontinent. Drescher betont, dass zwar das ökonomische Argument von der größeren Produktivität freier Lohnarbeit immer wieder fiel, letztlich aber moralische Vorstellungen für die Durchsetzung die zentrale Rolle spielten.
Im vierten und deutlich kürzeren Kapitel untersucht Drescher dann die Wiederkehr der Sklaverei im Europa des 20. Jahrhunderts. Konkret geht es dabei um das sowjetische Gulag-System und die unterschiedlichen Formen von Zwangsarbeit unter dem Nationalsozialismus. Während in den ersten drei Kapiteln Dreschers Verzicht auf Definitionen und trennscharfe Begrifflichkeiten durch die hohe Detailgenauigkeit der Schilderung aufgewogen wird, so kommen hier die Nachteile deutlicher zum Tragen. Drescher hat zwar die neueste Literatur zum Thema zur Kenntnis genommen, aber über langjährige Forschungserfahrung verfügt er auf diesem Feld nicht, so dass sich doch einige Fehleinschätzungen und Detailfehler einschleichen. Diese wären verzeihlich, würde Drescher den Leser mit komparativen Einsichten entschädigen, doch gerade darauf wird verzichtet. Weder erfährt man, warum Drescher es für sinnvoll erachtet, KZ-Häftlinge, Gulag-Häftlinge oder ost- wie westeuropäische zivile Zwangsarbeiter als Sklaven zu bezeichnen, noch wie sich deren Schicksal von dem der Sklaven in den Amerikas unterschied. So bleibt das letzte Kapitel eine mit dem Rest des Buches wenig verbundene Episode, die auch in der englischen Forschungsliteratur schon vielfach überzeugender geschildert wurde.
Auch wenn das Kapitel zum 20. Jahrhundert damit hinter den Möglichkeiten zurückbleibt, so gehört Dreschers Buch für das atlantische Sklavereisystem im Zeitraum von 1500 bis 1900 zu den überzeugendsten Überblickswerken schlechthin. Es bietet hier eine verlässliche Zusammenfassung einer inzwischen nahezu unüberschaubaren Zahl von Arbeiten, die in Deutschland bisher nur in geringem Umfang zur Kenntnis genommen wurden.
Anmerkungen:
[1] Seymour Drescher: Econocide. British Slavery in the Era of Abolition, Pittsburg: University Press, 1977. Aktuelle Neuauflage: Chapel Hill: University of North Carolina Press 2010.
[2] Seymour Drescher: Capitalism and Antislavery, Oxford 1986; ders.: From Slavery to Freedom: Comparative Studies in the Rise and Fall of the Atlantic System, New York 1999; ders.: The Mighty Experiment. Free Labor versus Slavery in British Emancipation, Oxford 2002.
Seymour Drescher: Abolition. A History of Slavery and Antislavery, Cambridge: Cambridge University Press 2009, XI + 471 S., ISBN 978-0-521-60085-9, GBP 15,99
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