Die Bravour gehört zu den spektakulärsten Konzepten der europäischen Kunsttheorie der frühen Neuzeit. Nicola Suthor hat ihr eine eigene Studie gewidmet. Sie erklärt die Brisanz des Begriffs aus einer ihm inhärenten Zweischneidigkeit: Einerseits leite er sich vom italienischen Adjektiv bravo (dt. "tüchtig", "redlich") ab. Als solcher diene er als Bezeichnung für eine außerordentliche, Hochachtung verdienende Kunstfertigkeit. Zugleich habe er jedoch eine seiner etymologischen Wurzeln im Substantiv bravo, das mit "Scherge" oder "Degenheld" zu übersetzen ist. Dieser zweiten Bedeutung verdanke der Begriff seine moralische Ambivalenz (9).
In diesem Sinne kann Suthor die bravura auch als Variante und zugleich Antithese der sprezzatura begreifen - einem Begriff aus dem Verhaltenskodex des Hofmanns, mit dem jene Ungezwungenheit benannt wurde, die dieser in allem seinen Tun an den Tag legen sollte. Der Begriff wurde alsbald von der Kunsttheorie übernommen, um mit ihm die - scheinbare - Mühelosigkeit zu bezeichnen, die der Künstler beim Ausführen seiner Werke zu zeigen hatte. Schon in Castigliones Il Cortegiano von 1528, der Prägestätte dieses Konzepts, wird der Höfling indes davor gewarnt, es mit der sprezzatura zu übertreiben, da sie demonstrativ zur Schau gestellt in Affektiertheit umschlage. Gerade in einem solch ostentativen Gebaren liegt nach Suthor nun das Wesen der Bravour, die sie konsequent als eine "auf forcierte Weise ausgestellte Kunstfertigkeit" definiert. Bravour buhlt stets um den Beifall des Publikums. So habe "Castigliones Gentleman" als Vorbild auch künstlerischer Tugend im sich als bravo gerierenden Künstler "ein provokantes Gegenüber" erhalten (7-11 u. 87-96, Zitat 9f.).
Als Terminus der Kunsttheorie diente das Konzept der sprezzatura der Nobilitierung der Malerei. Mittels eines locker hingeworfenen Pinselstrichs konnte der Künstler sich vom bloßen Handwerker distinguieren. Ähnliche soziale Ambitionen lassen sich auch für das bravura-Konzept aufzeigen, wenn diese sich auch in einem weniger kultivierten als martialischen Habitus kundtaten. Denn der bravouröse Künstler setzte seine Pinselstriche wie Schwertstreiche. Schon weil die Waffenführung als Privileg des Adels galt, artikulierte sich in dieser Metapher auch ein gesellschaftlicher Anspruch (13-40). Doch haftete diesem Anspruch - wie die Autorin immer wieder nachdrücklich herausstellt - stets etwas Verwegenes und Mutwilliges an. Die Bravour sei immer auch auf die Regelverletzung aus. Gerade wegen dieser subversiven Qualität der bravura hätte man in Suthors Buch gern mehr über ihre sozialen Ursachen und Motive erfahren: Verkörpert sich in ihr möglicherweise eine anti-höfische Haltung? Manifestierte sich in ihr vielleicht sogar ein Wertesystem einer patrizisch merkantil ausgerichteten Urbanität? Suthor insistiert jedenfalls auch auf den ökonomischen Vorteil einer malerischen Praxis, die Fleiß und Mühe verachtend die Schnelligkeit der Ausführung zu einem entscheidenden Qualitätsmerkmal erhob (zur Ökonomie der Praxis 141-163, speziell zur prestezza 141-153).
Eine solche Kontextualisierung der Bravour würden auch seine Ursprünge nahelegen, die Suthor überzeugend in Venedig verortet, genauer in Marco Boschinis La carta del navegar pitoresco von 1660. In dieser in derbem Dialekt und Dialogform verfassten Lobrede auf die Künstler der Lagunenstadt ist es die Auseinandersetzung mit der Malerei Tintorettos, in der das Konzept Gestalt annimmt. Boschini feiert Tintoretto als gran Guerieri, als heldenhaften Krieger, dessen Malerei in ihrer Gewaltsamkeit der Sprengkraft von Bomben gleichgesetzt wird (65ff.). In der Folge sollte Tintorettos Malstil in der Kunstliteratur zum Paradebeispiel für die Bravour avancieren, das allerdings nicht immer als Vorbild empfohlen, sondern mindestens ebenso oft zur Abschreckung eingesetzt wurde. Insbesondere Boschinis Vergleich zwischen Malerei und Fechtkunst aber sollte zum topischen Moment des bravura-Diskurses werden (66-86).
Indem der Maler sich Mut, die Gewandtheit und die Schnelligkeit aneignet, gerät die Ausübung der Malerei zunehmend zu einem performativen Projekt. Suthor ist sich indes bewusst, dass dieser performative Aspekt bei den bildenden Künsten nicht im selben Maße gegeben ist wie etwa bei einer Aufführung eines musikalischen Werkes. [1] Zwar listet Suthor im Kapitel "Kunststücke" eine Reihe von Beispielen auf, in denen Künstler eine Probe ihres Könnens auch vor Zeugen darboten (113-139). Gleichwohl waren dies doch Ausnahmesituationen. Bravour hatte sich vielmehr im Gemälde selbst auszuprägen - etwa in gewagten Verkürzungen (46-60), in gewaltsamen chiaro-scuro-Kontrasten oder in kecken, kühnen Pinselhieben. [2] Wenn Suthor allerdings in ihren eigenen Bildbeschreibungen gern von "Pinselhieben" oder noch häufiger "Pinselschlägen" redet, läuft die Autorin Gefahr, die kunsttheoretische Ekphrasis für bare Münze zu nehmen. Zwar handelt es sich bei diesen Worten ganz offensichtlich um eine Übersetzung der italienischen Worte colpi und battute, doch wird mit ihnen zugleich suggeriert, der Künstler habe gleich einem Haudegen auf seine Leinwand eingedroschen. Wer indes Boschinis Panegyrik als ein vertrauenswürdiges Abbild historischer Malpraxis begreift, müsste in Tintoretto wohl den Erfinder des action painting sehen.
Suthors Buch verfolgt das Konzept der bravura von seinen Anfängen bis ins 18. Jahrhundert. Damit ist sicherlich die Zeitspanne sinnvoll eingegrenzt, in dem die Bravour ihre höchste Wertschätzung erfuhr. Dass sie im Zeitalter der Aufklärung zunehmend in Verruf geriet, scheint in Anbetracht ihrer aristokratischen Konnotierung naheliegend. Im bürgerlichen Tugendkodex des 19. Jahrhundert hat die Bravour keinen Platz. [3] Nicht Probe hoher Kunstfertigkeit, sondern Ausdruck der künstlerischen Ehrlichkeit (franz. sincérité) soll der Pinselstrich fortan sein.
Zugleich lässt sich jedoch fragen, ob Suthor nicht in der Wahl des zeitlichen und geografischen Rahmens den Bogen überspannt hat. Die Unzahl der Künstler [4] und Theoretiker, die bei ihr für das Konzept der Bravour einstehen müssen, erzeugen eine solche Vielstimmigkeit, dass es bisweilen schwerfällt, einen Generalbass herauszuhören. Gewiss lassen sich etwa Tintoretto und Frans Hals - um hier nur zwei Namen herauszugreifen - beide als furioseste Virtuosen ihres Fachs bezeichnen. Doch eine kontextbezogenere Studie hätte stärker nach den Bedeutungsverschiebungen fragen müssen, die sich bei dem Transfer des Konzepts der bravura aus der italienischen in die niederländische Kunsttheorie ergaben. Eine stärkere Engführung hätte der Analyse zum Vorteil gereicht.
Nicola Suthors Buch ist zwar selbst kein Bravourstück, wohl aber eine fundierte, quellengesättigte und äußerst anregende Studie zu einem zentralen und bislang in der Forschung unterbelichteten Begriff der europäischen Kunsttheorie. Anstatt lärmenden Beifalls verdient es daher, oft konsultiert und zitiert zu werden.
Anmerkungen:
[1] Etwas überraschend spielt das musikalische Bravourstück, auf das Suthor gleich zu Beginn ihrer Einleitung zu sprechen kommt (7f.), im weiteren Verlauf der Untersuchung keine Rolle mehr. Dabei steht zu vermuten, dass der Vergleich zur "bravura" in der Musik die Konturen des kunsttheoretischen Begriffs hätte schärfen können.
[2] Vgl. dazu auch den brillanten Aufsatz der Autorin "Il pennello artificioso". Zur Intelligenz der Pinselführung, in: Helmar Schramm u.a.: Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert, Berlin 2006, 114-136.
[3] Das heißt nicht, dass im 19. Jahrhundert nicht mehr auf das Konzept der "bravura" rekurriert worden wäre. Man denke nur an Ernest Meissonier, der den "bravo" auch zum Sujet mehrerer seiner Bilder gemacht hat - oder auch an Hans Makart, der die Bravour am Wiener Hof zu einer letzten späten Blüte trieb.
[4] Allein über vierzig, denen Abbildungen eingeräumt wurden. Gerade angesichts dieser Fülle ist das Fehlen eines Namensregisters bedauerlich.
Nicola Suthor: Bravura. Virtuosität und Mutwilligkeit in der Malerei der Frühen Neuzeit, München: Wilhelm Fink 2010, 316 S., ISBN 978-3-7705-4836-1, EUR 34,90
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