Die Österreichische Legion ist wohl die sagenumwobenste Organisation der österreichischen Nationalsozialisten. Sagenumwoben deshalb, weil es bis dato - mit Ausnahme einiger Aufsätze von Hans Schafranek selbst - keine ausführlicheren Untersuchungen zu dieser 15.000 Mann umfassenden paramilitärischen Formation gab, die ursprünglich für die frühzeitige Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland konzipiert war. Mit der nunmehr vorliegenden Darstellung, die sich auf eine überwältigende Fülle bislang unbearbeiteten Archivmaterials stützt, gelingt es dem Verfasser, sowohl die Organisationsstruktur dieser Gruppe als auch ihre Geschichte und die ihrer Angehörigen umfassend zu rekonstruieren. Als Instrument reichsdeutscher NS-Politik unterlag sie in ihrer fünfjährigen Existenz einem mehrfachen Bedeutungswandel, dessen Anfangs- und Endpunkte sich so zusammenfassen lassen: von der paramilitärischen Speerspitze zum bedeutungslosen Veteranenverein, dessen Mitglieder sich nach dem Anschluss auf individuelle Art und Weise im Machtgefüge des Nationalsozialismus zurechtfinden mussten. Doch zu keinem Zeitpunkt waren sie Söldner, die gegen Sold angeworben und mit einem zeitlich befristeten Vertrag ihre Dienste anboten, sondern hoch motivierte Nationalsozialisten, die aus politischen Gründen Österreich verließen oder flüchten mussten.
Die statistische Auswertung der vom Autor mit 150.000 biografischen Angaben zu knapp 15.000 Legionären angelegten Datenbank belegt, dass es sich dabei um eine nahezu ausschließliche SA-Truppe handelte: 98% waren SA-Männer, die restlichen 2% Hitlerjungen, die man als Nachwuchspersonal tolerierte. Das nahezu vollständige Sample der Österreichischen Legion ermöglicht auch interessante Aussagen über das Verhältnis der Mitgliederentwicklung von SA und NSDAP. So gibt es eine unerwartet enge personelle Verknüpfung von NSDAP- und SA-Mitgliedschaften, die erst mit dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 endet. Der enorme Zuwachs der Parteimitgliedschaft 1931 bis Mitte 1933 war zumeist auch mit dem Beitritt zur SA verbunden. Erst in der Illegalität ändert sich dieses Verhältnis. Während die Beitritte zur NSDAP erheblich zurückgingen, konnte die SA im Verhältnis dazu wesentlich höhere Zulaufzahlen verzeichnen. Trotz dieser Entkoppelung der Beitritte gehörten insgesamt über 81% der Legionäre auch der NSDAP an. Der Autor zieht daraus den nahe liegenden Schluss, dass der Verselbstständigungsprozess der SA nach dem Parteiverbot, das - insbesondere beim missglückten NS-Putsch im Juli 1934 ersichtliche - Neben- und Gegeneinander von SA-Führung (Hermann Reschny) und politischer Leitung (Theo Habicht) nicht nur auf der Führungsebene stattfand, sondern sich bei den Mitgliedern fortsetzte.
Interessant sind auch die Ergebnisse zur regionalen Herkunft der Mitglieder. So sind Legionäre mit Wohnort Salzburg gegenüber dem österreichischen Durchschnitt um mehr als das Zweieinhalbfache überrepräsentiert, während die Wiener nur etwa ein Drittel des österreichischen Durchschnitts ausmachten. Die Legionäre aus dem Bezirk Wolfsberg (Ostkärnten) lagen sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zur Bevölkerungszahl österreichweit an der Spitze. Nicht weniger als elf Prozent der 20 bis 24-jährigen Männer aus Wolfsberg flüchteten ins Deutsche Reich und traten der Legion bei.
Auch auf organisationssoziologischer Ebene wird der Wert des vom Autor bearbeiteten innerorganisatorischen Quellenmaterials deutlich, das - im Unterschied zu den bislang von der Wissenschaft verwendeten austrofaschistischen Polizei- und Justizunterlagen - viel genauere Aufschlüsse über interne organisatorische Entwicklungen gibt und damit in manchen Bereichen die österreichische Geschichte des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1938 erheblich korrigiert. Mit den aus parteiinternen Quellen stammenden biografischen Eckdaten hat der Autor nicht nur nahezu alle österreichischen Legionäre, sondern - wegen der Doppelmitgliedschaften bei SA und NSDAP - auch etwa 14 Prozent der insgesamt 68.465 österreichischen NSDAP-Mitglieder (Stand: Juni 1933) erfasst. Damit verfügt er über einen Datensatz, der für die Auswertung von Fragestellungen jenseits der Österreichischen Legion auch in Zukunft von großer Bedeutung sein wird.
Die österreichischen Legionäre erhielten ihre militärische Ausbildung von der bayerischen Landespolizei und Offizieren der Reichswehr. An einigen exemplarischen Fällen zeigt der Autor, dass die Legionäre im grenznahen Gebiet als Sprengstoffschmuggler und Verteiler von Propagandamaterial aktiv waren und insbesondere 1933/34 eine erhebliche Anzahl von politischen Gewalttaten an Heimwehr- und Exekutiv-Angehörigen durchführten. Dabei agierten sie mit der Unterstützung der staatlichen bayerischen Behörden, die sie als Instrument gegen die Zentralisierungstendenzen der deutschen Reichsbehörden benutzten. Obwohl es seit dem Sommer 1933 von Invasions- und Putschplänen wimmelte, kommt der Autor zu dem Schluss, dass erst zur Jahreswende 1933/34 konkrete Putschvorbereitungen der Legion in Verbindung mit einer Erhebung der illegalen österreichischen SA nachweisbar sind. Doch ein Veto Hitlers und die erfolgreiche Niederschlagung des Aufstands des Republikanischen Schutzbundes durch das Dollfuß-Regime im Februar 1934 ließen einen Putschplan scheitern. Hinsichtlich des gescheiterten SS-Putsches vom 25. Juli 1934 vertritt der Autor die schon in seinem Buch "Sommerfest mit Preisschießen" [1] aufgestellte These, dass die SA-Führung nicht trotz, sondern infolge des Wissens um das Scheitern des SS-Putsches die Initiative ergriff, um im Alleingang, ohne die SS-Konkurrenten, die Macht in Österreich an sich zu reißen. Der Einsatz der Legion kam aber aus außenpolitischen Gründen nicht mehr in Frage, nachdem Mussolini mehrere Divisionen am Brenner aufmarschieren ließ.
Die von Hitler nach dem Juli 1934 verfolgte Politik der Nichteinmischung in österreichische Angelegenheiten, bedeutete auch für die Österreichische Legion eine Zäsur. Nachdem sie den Großteil ihrer Waffenbestände an die Reichswehr abliefern musste, stand die Auflösung der Legion im Raum. De facto kam es im Februar 1935 aber nur zu einer Umbenennung in "Hilfswerk Nordwest" und zur Verlegung der Legionäre in verschiedene Lager, im gesamten Deutschen Reich. Die Entmachtung der deutschen SA-Führung, der gescheiterte Juliputsch in Österreich und das Ausbleiben des ständig angekündigten politischen Umschwungs in Österreich nagten am Selbstbewusstsein der potenziellen Bürgerkriegsarmee. Der luxuriöse Lebenswandel der Legionärsführung und die ständigen Intrigen zwischen den diversen österreichischen NS-Führern trugen ebenfalls nicht zur Hebung der Stimmung bei den Legionären bei. Neben den üblichen Wirtshausschlägereien zwischen Legionären und der örtlichen Dorfbevölkerung kam es auch zu politisch motivierten Übergriffen der Legionäre auf die überwiegend streng katholische bayerische Dorfbevölkerung, die mitunter sogar tödlich endeten.
Spätestens nach dem Juliabkommen 1936 war die Legion ein Auslaufmodell. Reschny gelang es zwar, deren Auflösung zu verhindern, doch sank der Gesamtstand der Legionäre bis kurz vor dem Anschluss auf 4354 Mann. Die Legionäre spielten in Hitlers Anschlusspolitik keine Rolle mehr. Sie waren zum Klotz am Bein geworden. Beim Anschluss im März 1938 war ihre Enttäuschung groß. Von ihren Konkurrenten (SS, Gauleitern, SD) von der politischen Macht ferngehalten, durften die Legionäre erst Ende März 1938 in Österreich "einmarschieren" und wurden auf geradezu demütigende Art mit der Vorbereitung der "Volksabstimmung" über den Anschluss beauftragt. Politisch bedeutungslos und ohne Perspektive versuchten sie zumindest materiell Fuß zu fassen. "Wiedergutmachung" durch "Arisierung" lautete hier das Schlagwort. An einigen Fallbeispielen zeigt Schafranek, mit welcher Raffgier und Verbitterung sie ihre enttäuschten politischen Ambitionen durch "Arisierungen" sozial und materiell zu kompensieren suchten.
Acht ausführliche Legionärsbiografien des Autors und 138 Kurzbiografien der Angehörigen des Führungskorps der Österreichischen Legion von Andrea Hurton ergänzen die auf immensem Quellenmaterial basierende Arbeit um einen wichtigen sozialgeschichtlichen Aspekt. Insbesondere die Kurzbiografien sind auch weiteres Basismaterial für eine eingehende Untersuchung über die Sozialstruktur der illegalen österreichischen SA.
Die Kombination von SA-Personalakten, von Unterlagen staatlicher Zentralinstanzen auf Ministerebene und von regionalen (insbesondere bayerischen) Behörden, ermöglichen eine Darstellung der Österreichischen Legion aus diversen Blickwinkeln. Ihre Rolle im Spannungsfeld bayerischer Partikularinteressen versus reichsweiter Zentralisierungsbemühungen gerät dabei ebenso in den Blick wie die Konkurrenz zwischen SA und SS sowie die diplomatischen Konflikte zwischen dem Deutschen Reich und Österreich, welche die Existenz dieser hoch-motivierten potenziellen NS-Bürgerkriegsarmee auslöste.
Schafranek ist es gelungen, einen bisher nur am Rande behandelten Forschungsgegenstand zur Geschichte des Nationalsozialismus umfassend und beeindruckend zu untersuchen. Darüber hinaus wird die vom Autor und seiner Mitarbeiterin Andrea Hurton mit enormen Arbeitsaufwand erstellte biografische Datenbank von nahezu 15.000 Legionärs-Angehörigen auch für zukünftige Forschungen über den Nationalsozialismus von grundlegender Bedeutung sein.
Anmerkung:
[1] Hans Schfranek: Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934, Wien 2006.
Hans Schafranek: Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933-1938, Wien: Czernin-Verlag 2011, 496 S., ISBN 978-3-7076-0331-6, EUR 29,90
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