Habent sua fata libelli. Christopher Pelling, Regius Professor of Greek am Oxforder Christ Church College, beginnt sein hier anzuzeigendes Buch mit "a terrible warning for any young scholar": "I began it in October 1970; I finished it in August 2010. It therefore took me one more year to write it than Caesar, 16 at the beginning of Plutarch's narrative and 55 at his death, to live it" (V). Zwischen dem Beginn der Arbeit am vorliegenden Kommentar zu Plutarchs Caesar-Biographie und seiner Publikation liegen 40 Jahre, in denen der Autor sich intensiv mit Plutarch und kaiserzeitlicher Historiographie insgesamt beschäftigt hat. Die dabei gewonnenen Kenntnisse und Einsichten sind vielfach in das nunmehr vollendete Werk eingeflossen, das eine Fundgrube an Informationen, subtilen Beobachtungen und Forschungsimpulsen darstellt. Dabei überzeugen nicht zuletzt diejenigen Passagen, in denen der Autor Überlegungen darüber anstellt, warum Plutarch bestimmte Dinge nicht angesprochen hat (z.B. S. 60 zum Tyrannen-Motiv, das von Sueton weitaus exzessiver behandelt wird als von Plutarch) - gerade an diesen Stellen erweist sich die vertraute Kenntnis der antiken Literatur, über die der Autor verfügt, als besonders nützlich.
Der Band folgt der klassischen Dreiteilung eines Kommentars: "Introduction" (1-76), "Translation" (77-128), "Commentary" (129-501). Die Einleitung wartet zunächst mit grundsätzlichen Beobachtungen und Überlegungen zum Schrifttum Plutarchs auf und versucht dieses - namentlich mit Blick auf die Caesar-Biographie - in einem größeren Zusammenhang zu verorten. Besonderes Gewicht legt Pelling dabei auf die Ianusgesichtigkeit Caesars, der sich im frühen 2. Jahrhundert sowohl als Abschluss der Republik wie auch als Beginn der Kaiserzeit interpretieren ließ. So ist es in der Tat auffällig, dass der Dictator in Suetons Kaiserviten die Reihe der Principes eröffnet, während Plutarchs Biographie ihn als eine der letzten Persönlichkeiten der Republik zeichnet - mit entsprechend veränderter Deutungsperspektive: "Plutarch's Caesar looks backward just as Suetonius' looks forward" (5). Pelling erklärt diesen Befund mit einem spezifisch griechischen Publikum Plutarchs, das weniger am Prinzipat als politischer Organisationsform als an kakopoliteia und ihren Folgen, also Erfahrungen, die man auch im griechischen Bereich gemacht habe, interessiert gewesen sei. In anderem Kontext spricht er treffend von "the Greekness of all [...] categories" Plutarchs (61).
Im Folgenden werden die klassischen Themen der Plutarch-Forschung angesprochen und souverän abgearbeitet: In der alten Diskussion über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Historiographie und Biographie in der Antike verweist Pelling auf die bekannten Schwierigkeiten, bestimmte Texte einer der beiden Gattungen klar zuzuordnen, und hebt die Nähe der Biographien Plutarchs zu "narrative historiography" hervor, ganz so, wie auch zeitnahe Historiographie starke biographische Züge aufweisen konnte (z.B. Tacitus, Annalen, vgl. 15). Im Kontext seiner Überlegungen zur bekanntermaßen streng moralisierenden Haltung Plutarchs betont Pelling das in der Tat auffällige Faktum, dass der Biograph sich ausgerechnet im Falle Caesars mit entsprechenden Wertungen und Kommentaren zurückhält, obwohl moralisch eingefärbte Diskussionen insbesondere über die Rechtmäßigkeit der Ermordung des Diktators schon seit Cicero zum Inventar einer literarischen Auseinandersetzung mit Caesar gehörten (18f.). Auch an anderen Stellen, an denen sich moralisch aufgeladene Exkurse angeboten hätten, konstatiert Pelling ein signifikantes Schweigen Plutarchs: "Caesar is simply not that sort of Life" (21).
All diese Überlegungen münden schließlich in eine neue Sichtweise der Caesar-Vita als einer in besonderem Maße 'historisch' angelegten Biographie (22f.). Mit dieser Deutung gewinnt Pelling dem Text ein besonderes Proprium ab, das ihn z.B. gegenüber der Antonius-Vita in spezifischer Weise abhebt, ihn als Besonderheit innerhalb der Biographiensammlung Plutarchs konturiert und auch die weiteren Interpretationen der Caesar-Vita mitbestimmt (z.B. die Beobachtung, dass Plutarchs Caesar "has thought in resolutely secular terms", 31). Die Nähe von Historiographie und Biographie, wie sie in der Caesar-Biographie zutage trete, könne, so Pelling, sogar dafür verantwortlich sein, dass am Ende der Vita der eigentlich erwartbare Caesar-Alexander-Vergleich ausgeblieben ist: "Might it be that history and biography in Caesar's case each come so near to the other that each genre momentarily takes over the other, so that by the end of Plutarch's Life a biographical conclusion no longer feels so apposite? " (32f.).
Einen hilfreichen Überblick bietet die nachfolgende Zusammenstellung sicherer und möglicher Quellen, auf die der Biograph für seine Caesar-Vita (die Pelling um 110 n.Chr. ansetzt, vgl. 36) zurückgegriffen haben dürfte (36ff., bes. 42-56). Pelling betont in diesem Zusammenhang besonders den durchaus vorhandenen Gestaltungswillen Plutarchs bei der Zusammenstellung seines Materials, stellt dabei aber auch interessante Überlegungen zu rein technischen Problemen bei dessen Bewältigung an. Insgesamt ergibt sich das Bild eines gewissenhaften, belesenen, auf eigene Aufzeichnungen rekurrierenden, mitunter aber auch aus dem Gedächtnis arbeitenden (und dabei vereinzelt Fehler machenden) Kompilators, der es verstand, die ihm vorliegende (auch mündliche, vgl. 53f.) Überlieferung den eigenen Sichtweisen und Ansprüchen anzupassen. Wie Plutarch dabei im Einzelnen vorging, erläutert Pelling, indem er die wichtigsten Techniken der Materialverarbeitung rekapituliert und analysiert (56-58).
Plutarch war kein genuin römischer Historiograph, sondern betrachtete römische Geschichte durch eine griechische Brille. Seiner Beschreibung der inneren Verhältnisse Roms liegt ein typisch griechisches Zwei-Parteien-Modell zugrunde (59f.); das Klientelwesen, römische equites und andere 'ungriechische' Elemente des römischen Alltags interessieren ihn nur wenig (61). Beobachtungen wie diese finden sich an verschiedenen Stellen des Kommentars und tragen dazu bei, die Besonderheit des Textes gegenüber anderen antiken Auseinandersetzungen mit Caesar schärfer herauszuarbeiten.
Erfreulich ist, dass Pelling auch der Rezeption der Caesar-Vita in Shakespeares Julius Caesar (1599) ein eigenes Kapitel gewidmet hat (64-76), in dem er insbesondere die Zeitgebundenheit des Dramas herausarbeitet.
An die gut lesbare, flüssige Übersetzung des griechischen Textes schließt sich - als Kernstück des Buches - der umfangreiche Kommentar an, der keine Wünsche offenlässt. Pelling schaltet inhaltlich zusammenhängenden, mehrere Kapitel umfassenden Texteinheiten jeweils einleitende Anmerkungen voran (hier werden grundsätzliche Informationen gegeben, u.a. mögliche und wahrscheinliche Quellen Plutarchs, vgl. z.B. S. 450 zu den Ereignissen an den Lupercalia des Jahres 44 v.Chr.), bevor der eigentliche Kommentar folgt, der - materialgesättigt (insbesondere mit Blick auf antike Parallelstellen) und auf dem aktuellen Stand der Literatur (erfreulicherweise auch unter Berücksichtigung nicht englischsprachiger Titel) - jeweils philologische und historische Erläuterungen sowie Interpretationsangebote und weiterführende Gedanken bietet.
Alles in allem ein höchst willkommenes, umfassendes und zuverlässiges Arbeitsinstrument, das alle Anforderungen an einen modernen Kommentar erfüllt.
Christopher Pelling (ed.): Plutarch Caesar. Translated with Introduction and Commentary (= Clarendon Ancient History Series), Oxford: Oxford University Press 2011, XIX + 520 S., 6 maps, ISBN 978-0-19-960835-5, GBP 35,00
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