Eine kaum in Frage gestellte Prämisse der meisten akademischen Analysen der deutschen Außenpolitik nach 1990, ihrer Grundstrukturen, Ziele und Methoden, lautet: Erst mit der deutschen Vereinigung und der Entlassung Deutschlands aus der Verantwortung der Vier Alliierten für "Deutschland als Ganzes" habe sich für die Bundesregierungen die Möglichkeit eröffnet, in der internationalen Politik und speziell den westlichen Bündnissen eine führende Rolle zu übernehmen. Dafür spricht in der Tat einiges. Jedoch darf nicht übersehen werden, dass während des Ost-West-Konflikts auch die "alte" Bundesrepublik auf bestimmten Feldern der internationalen Politik beträchtlichen Einfluss besaß und den Gang der Ereignisse nachhaltig mit zu gestalten verstand.
Die auf eine Dissertation an der Oxford University zurückgehende Studie von Petri Hakkarainen hat die westdeutsche KSZE-Politik während der Vorbereitungsphase dieser für den weiteren Verlauf der Ost-West-Beziehungen so wichtigen Konferenz zum Thema. Gestützt auf reichhaltiges Material aus Archiven acht verschiedener Länder und eine Reihe von Interviews mit den damals handelnden Personen, illustriert seine Arbeit die erfolgreiche Entschlossenheit der sozial-liberalen Regierungen unter den Bundeskanzlern Willy Brandt und ab 1974 Helmut Schmidt bzw. den Außenministern Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher, ihre Beziehungen zur Sowjetunion und deren Verbündeten, einschließlich der DDR, in einen multilateralen Entspannungsrahmen zu stellen. Diesem Ziel dienten auch die bilateralen Verhandlungen mit Moskau, Warschau, Prag und Ost-Berlin. Die zwischen 1970 und 1973 abgeschlossenen Ostverträge und das Vier-Mächte-Abkommen über Berlin machten die Bundesrepublik Deutschland außenpolitisch handlungsfähiger. Zugleich gaben sie das prioritäre nationale Interesse, nämlich die Überwindung der Teilung Deutschlands, nicht preis, obwohl das damals in der innenpolitischen Auseinandersetzung um diese Politik von vielen anders gesehen wurde.
Für Hakkarainen steht insbesondere der multinationale Rahmen der westdeutschen Ostpolitik im Mittelpunkt. Er fragt nach den institutionellen Gegebenheiten und der schrittweisen Entwicklung gemeinsamer westlicher Positionen für das Projekt einer Europäischen Sicherheitskonferenz, das spätestens seit 1967 nicht mehr nur als "sowjetische Propaganda" abgetan werden konnte. Seine Ausgangsthese lautet: Die Bundesrepublik war in der Ausbildungsphase der westlichen KSZE-Politik ein ganz entscheidender Akteur. Das lag nicht zuletzt daran, dass in westdeutscher Perspektive das Ergebnis einer solchen Konferenz nicht ein die bestehenden Grenzen und ideologischen Trennlinien in Europa starr festzurrender Ersatz-Friedensvertrag sein durfte.
Hakkarainens Darstellung ist chronologisch geordnet und beginnt mit einer Schilderung der ostpolitischen Konfliktlinien in der Großen Koalition zwischen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und Außenminister Brandt sowie zwischen Bundeskanzleramt und Auswärtigem Amt. Weil das Jahr 1968 wegen der Niederschlagung des "Prager Frühlings" einen klimatischen Rückschlag im Ost-West-Verhältnis brachte, gingen die diplomatischen Vorbereitungen der Konferenz erst 1969 richtig los. Die mit knapper Mehrheit gebildete sozial-liberale Koalition machte die Ostpolitik sofort zu einem Hauptprojekt ihrer Außenpolitik. Freilich gab es jede Menge Abstimmungsschwierigkeiten wegen der Ostverträge, nicht nur zwischen Regierungslager und Opposition, sondern auch innerhalb des westlichen Lagers und nicht zuletzt innerhalb des Auswärtigen Amts zwischen ostpolitischen Erneuerern und Traditionalisten. Diese Konflikte und die verschiedenen formellen und nicht ganz so formellen Konsultationen auf nationaler, bilateraler und multilateraler Ebene zu ihrer Abmilderung werden vom Autor detailfreudig, aber übersichtlich nachgezeichnet. So schält sich das Bild einer behutsam und klug agierenden, das nationale Interesse der Überwindung der deutschen Teilung nie schrill und aggressiv verfolgenden deutschen Diplomatie heraus, die den eigenen Handlungsspielraum bilateral und multilateral nicht nur geschickt auszunutzen, sondern auch zu erweitern wusste.
Das alles ist mit viel Überzeugungskraft vorgebracht und kann somit als ein sehr gelungener Beitrag zur Vertiefung unserer Kenntnisse der westdeutschen Außenpolitik im Kontext ihrer Eingebundenheit in westliche Bündnisse gelten. Kritisch anzumerken bleiben zwei Dinge. Erstens stößt der Autor mit etwas zu kräftigen intellektuellen Rippenstößen die vorhandene Literatur zur KSZE beiseite, um seinen eigenen Platz zu erobern. Was nach 1989 über die KSZE geforscht worden sei, falle meistens in die "Rückblicks-Falle", schreibt er (6), und sei oft nicht frei von Triumphgehabe. Dieser Vorwurf trifft nur eine kleine Zahl von Studien. Zweitens, und das zieht einem politologischen Leser seiner Studie zuweilen die Augenbrauen steil nach oben, hat Hakkarainen einen Hang zum Gebrauch unklarer Konzepte. Aussagen wie die Bonner Politik habe die KSZE zunächst nur instrumentalisieren wollen, aber später ein "echtes Interesse" an ihr entwickelt (68), sie sei ursprünglich nach den Mustern "altmodischer Realpolitik" abgelaufen und später durch "mehr Idealismus" geprägt gewesen (99), beruhen auf Begriffen, die nur scheinbar eindeutig sind. Eine klare analytische Begrifflichkeit hätte seine Argumente geschärft.
Aber das stört letztlich nur ein wenig. Denn die sehr dicht aus den Quellen gearbeitete Studie vertieft nicht nur unsere Einsicht in die Innenseite der westdeutschen Außenpolitik jener Jahre, sondern gibt auch viele lehrreiche Einblicke in das diplomatische Gefüge der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Westalliierten.
Petri Hakkarainen: A State of Peace in Europe. West Germany and the CSCE, 1966-1975 (= Studies in Contemporary European History; Vol. 10), New York / Oxford: Berghahn Books 2011, XIII + 280 S., ISBN 978-0-85745-293-1, USD 95,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.