Blickt man auf das gesamte halbe Jahrhundert seines Bestehens, so hat der Deutsche Bund innerhalb des britischen diplomatischen Corps nur wenig Begeisterung hervorgerufen: im Vormärz als Instrumente einer repressiven, reformfeindlichen Politik Metternich'scher Provenienz abgelehnt, wurden der Staatenbund und seine Frankfurter Institutionen von den Vertretern des Inselstaats 1848/49 rasch und ohne Wehmut aufgegeben. Die Wiederberufung des Bundestags, auf die man sich im Verlauf der Dresdner Konferenzen von 1851 nach den Wirren von Revolution und Gegenrevolution, von Erfurter Union und 70-Millionen-Reich als einzig gangbare Möglichkeit geeinigt hatte, verwarf der weithin geschätzte britische Generalkonsul in Leipzig, John Ward, dementsprechend als "miserable consummation" [1]. Auch Lord Cowley, der beim Bundestag akkreditierte Gesandte, sprühte bald geradezu vor Pessimismus. Diejenigen, die sich einen echten Nutzen für Deutschland erhofft hatten, müssten nun beginnen, die Erfolgschancen zu bezweifeln, meldete er nur wenige Wochen nachdem das Frankfurter Gremium seine Beratungen wieder aufgenommen hatte: "The task of reconciling the conflicting interests of above thirty different Governments [...] seems impracticable" (30).
Vor diesem Hintergrund mag der elegisch-nostalgische Ton überraschen, in dem der letzte britische Gesandte beim Deutschen Bund dem Foreign Office im August 1866 das Ableben des Bundes anzeigte: "With all its defects [...]", stellte Sir Alexander Malet fest, "the Confederation has been a bond of pacific union, and has in that sense largely contributed to the [...] well being of all of its members, so long as they submitted to its provisions" (90-91). Noch merklich unter dem Eindruck der kriegerischen Schrecken der zurückliegenden Wochen entbot der Diplomat dem verflossenen "tranquil half century" ein beinahe zärtliches Adieu und fragte sich sorgenvoll, ob die Zukunft "another fifty years of peaceful progress" bergen würde.
Malets Schlussworte, mit denen die Herausgeber des vierten Bandes der "British Envoys to Germany" die diplomatische Berichterstattung ausklingen lassen, verweisen auf eines der zentralen und konstanten Anliegen britischer Deutschlandpolitik in der Zeit zwischen Wiener Kongress und Reichsgründung: Krieg im Herzen Europas zu vermeiden und dabei das zu befördern, was in Großbritannien als politischer und wirtschaftlicher Fortschritt verstanden wurde; ein Fortschritt, so glaubte man mit selbstzufriedener Zuversicht, der britischen Interessen unweigerlich dienen musste. Dass diese Haltung auch während der hier ins Auge gefassten letzten fünfzehn Jahre des Deutschen Bunds Bestand hatte, illustrieren die ausgewählten Dokumente ebenso, wie sie - einmal mehr - die Kenntnisfülle, den Nuancenreichtum, die charakteristischen Grundüberzeugungen und die Aussagekraft der Beschäftigung der britischen Außenpolitik mit den deutschen Staaten, ihrer Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft eindrucksvoll belegen. Diese aufschlussreiche Perspektive editorisch mustergültig zugänglich gemacht zu haben, ist das große Verdienst des am Londoner DHI beheimateten Editionsprojekts, das mit diesem Band ein wichtiges Etappenziel erreicht hat.
Wie bereits in den Vorgänger-Bänden haben Markus Mösslang, Chris Manias und Tosten Riotte die ausgewählten Berichte der britischen Vertreter nach Akkreditierungsorten (Frankfurt, Berlin, Hamburg, Hannover, Dresden, Stuttgart, München, Wien) gegliedert und durch kenntnisreiche Kommentare ergänzt. Ein detailliertes biographisches Personenregister und ein Sachregister erlauben einen effektiven - und mitunter überraschend-facettenreichen - Zugriff auf den Text. Zum Beispiel führen die unter "universities and professors" gegebenen Verweise den Leser unter anderem zu einer Charakterisierung von Gervinus' "Einleitung in die Geschichte des 19.Jahrhunderts" als "of a highly German philosophical character" (348) durch den britischen Gesandten in Stuttgart, zu einen Hinweis auf die konfessionelle Dimension des "Nordlichterstreits" durch seinen Kollegen in München (402), bis zu einer nachdrücklichen Empfehlung des nun aus südamerikanischen Rindern herausgekochten Liebig'schen Fleischextrakts durch Lord Loftus in Berlin (437-38).
Diese Schlaglichter belegen bereits die thematische Vielschichtigkeit des hier dargebotenen Quellenmaterials, das vor allem durch seine Berücksichtigung der föderalen Multipolarität im Deutschen Bund und das beständige Interesse der britischen Diplomaten an der jeweiligen "public opinion" besticht. Mit Blick auf diesen politischen Faktor reiche es für an kleineren Höfen akkreditierte Diplomaten schlichtweg nicht aus, sich auf die Spitzen der Gesellschaft zu konzentrieren, befand Außenminister Lord Clarendon. Stattdessen hätte sich ein Gesandter zu befleißigen, "to get his information from the middle classes of society in Germany, which are very important" (5).
Clarendon erachtete die so gewonnenen Einsichten als durchaus wertvoll. Dennoch wird man den Herausgebern zustimmen können, wenn sie in ihrer im Vergleich zu den früheren Bänden erfreulich ausführlichen Einleitung eingestehen, dass das Material aus den kleineren deutschen Gesandtschaften für die heutigen Historiker relevanter sein mag, als das seinerzeit für die viktorianischen Regierungen der Fall gewesen war. Ein gutes Beispiel hierfür ist die überraschend ausführliche und engagierte Berichterstattung über Gründung und frühen Aktivitäten des "Nationalvereins." Welchen direkten Nutzen das Foreign Office zum Beispiel aus den zum Teil seitenlangen Schilderungen der bayerischen, württembergischen, hannoverschen, hamburgischen, preußischen und Frankfurter Reaktionen auf die Aktivitäten des Vereins ziehen konnte, ist nicht einfach zu ergründen. Die zeitgleichen Beobachtungen aus den Federn der von dort berichtenden britischen Gesandten bieten jedoch einen faszinierenden historischen Kommentar zur politischen Kakophonie im Deutschen Bund: Während George Lloyd Hodges aus Hamburg im Oktober 1859 optimistisch über "the intelligent and moderate section of the Party" (197) schrieb, bot George John Robert Gordon im darauffolgenden Jahr aus Stuttgart eine ganz andere Definition an: "The Republican Unitarian association for Germany, as it may be termed" (363). Auch in München sah man die Entwicklung der Dinge nicht ohne Sorge. "Notwithstanding this declaration of its moderate views," bemerkte John Ralph Milbanke im Frühjahr 1861, sei der Nationalverein erst zögernd, doch dann immer bestimmter von "earlier Republicans" unterwandert worden und unterscheide sich nunmehr von den "real Constitutionalists" (423).
Schließen möchte ich mit der Hoffnung, dass die Frucht der jahrelangen Editionsarbeit recht bald in digitalisierter Form zugänglich gemacht wird. Der Benutzbarkeit dieser faszinierenden Dokumente (gerade auch im universitären Unterricht) würde es immens dienen, wenn man das in den vier Bänden des "Envoys"-Projekts vorgelegte Quellenmaterial auch über chronologische Abschnitte und geographische Gliederungen hinweg nach einzelnen Themenstellungen bündeln könnte - zu "liberalism" etwa oder "press" oder "Protestants." Das DHI Washington hat mit "German History in Documents and Images" einen festen Platz auf den Favoriten-Listen zahlloser Browser errungen. Den britischen Diplomatenberichten aus dem Deutschen Bund ist eine ähnliche Verbreitung zu wünschen. Verdient haben es Cowley, Malet, Milbanke und ihre getreuen Herausgeber allemal.
Anmerkung:
[1] John Ward an Viscount Palmerston, Nr. 6 (draft), 25.4.1851, National Archives, FO299/5.
Markus Mösslang / Chris Manias / Torsten Riotte (eds.): British Envoys to Germany 1816-1866. Volume IV: 1851-1866 (= Camden Fifth Series; Vol. 37), Cambridge: Cambridge University Press 2010, VIII + 566 S., ISBN 978-1-107-00944-8, GBP 45,00
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