Im Frankenreich existierte bis in die späten 670er Jahre hinein eine Metropolitanordnung, die einzelne Diözesen zu Provinzen unter der Leitung eines Metropoliten zusammenfasste. Danach scheint diese Ordnung binnen ein, zwei Generationen zerfallen zu sein, ohne dass wir das Geschehen in der quellenarmen Zeit genauer fassen könnten. Zu der Reforminitiative des Bonifatius in den 740er Jahren gehörte dann der Versuch, eine Metropolitanordnung wieder einzuführen. In einem langen Prozess, der bis zum frühen 9. Jahrhundert andauerte, ist die Neuordnung schließlich gelungen: Als Karl der Große im Jahr 811 sein Testament machte, konnte er darin 21 Metropolitansitze aufführen, davon fünf in Italien, die übrigen 16 nördlich der Alpen. So wichtig dieses Metropolitansystem für die politische Ordnung des Frankenreichs der Karolingerzeit auch war - eine neuere, umfassende Studie zum Thema fehlte bisher. Die Münchener Dissertation von Daniel Carlo Pangerl füllt diese Lücke nun in sehr erfreulicher Weise.
Wie es angesichts des desolaten Forschungsstands angemessen ist, widmet sich die Arbeit über weite Strecken der Bestandsaufnahme. Sie bleibt dabei stets bewundernswert quellennah und auf Vollständigkeit ausgerichtet. Im Einzelnen gliedert sich das Buch in vier größere Abschnitte: Der erste zeichnet den Prozess der Ausbildung einer Metropolitanordnung vom so genannten "Concilium Germanicum" bis weit ins 9. Jahrhundert hinein nach. Das Herzstück dieses Teils bildet eine minutiöse Erörterung, wann für welchen Metropolitansitz jeweils zum ersten Mal (wieder) ein Metropolit nachweisbar ist. Die Ergebnisse verweisen für die meisten Fälle auf den - einigermaßen breiten - Zeitraum zwischen 779 und 811. Für Arles, Bordeaux, Besançon und Vienne allerdings lässt sich nicht einmal 779 als terminus post quem sichern; und auch nach 811 wurden noch einige wenige Metropolitansitze eingerichtet (so zum Beispiel Aix-en-Provence, Hamburg und Auch).
Anschließend wendet sich Pangerl in zwei weiteren großen Abschnitten den Provinzialsynoden und den Bischofsweihen zu. Das liegt insofern nahe, als gerade mit der Einberufung und Leitung von Provinzialsynoden und der Bischofsweihe die beiden wichtigsten Kompetenzen angesprochen sind, die die Metropoliten ihren Suffraganen voraushatten. Auch in diesen beiden Abschnitten bietet Pangerl wieder eine gründliche Bestandsaufnahme: Alle 31 Provinzialsynoden, die zwischen 814 und 911 für das Frankenreich nachweisbar sind, werden aus den Quellen heraus sauber dokumentiert; anschließend entwirft Pangerl, gestützt sowohl auf normative als auch auf dokumentarische und erzählende Quellen, ein Bild vom Ablauf, von den Verhandlungsgegenständen und dem Stellenwert der Synoden. Im Kern gelangt er dabei zu dem Ergebnis, dass die Provinzialsynoden in der Praxis weniger Bedeutung gehabt hätten, als es das Kirchenrecht vorsah: Sie traten beileibe nicht in allen Provinzen regelmäßig zusammen, sondern tagten wohl meist aus konkreten Anlässen. Analog argumentiert Pangerl im Abschnitt über Bischofsweihen: Wiederum werden sämtliche überlieferten Fälle präzise zusammengestellt. Im Ergebnis ist hier jedoch eine größere Nähe zu den Vorgaben des Kirchenrechts zu beobachten.
Der letzte Abschnitt zeichnet schließlich die Bedeutung der Metropoliten für die Politik der Karolinger nach. Dazu wird in konzentrierter Form ihre Rolle auf allgemeinen Synoden ebenso beschrieben wie ihr Einsatz als Königsboten, ihr Einfluss in theologischen Fragen (Taufumfragen Karls des Großen) und ihre Tätigkeit in der Hofkapelle.
Die große Stärke des Buches ist seine konsequente Beschränkung auf Beschreibung und Dokumentation. Es erlangt damit geradezu Handbuchcharakter: Pangerl macht es dem Leser leicht, sich über eine einzelne Provinzialsynode, eine bestimmte Bischofsweihe oder die Erhebung eines Bistums zum Metropolitansitz zu informieren. Mancher könnte diese große Stärke des Buches allerdings auch als die - einzige - kleine Schwäche empfinden: Auf die Bildung von Thesen, ja überhaupt auf den Versuch, historische Entwicklungen und Strukturen nicht nur zu beschreiben, sondern auch zu erklären, hat Pangerl fast durchweg verzichtet. Dort aber, wo er ausnahmsweise von dieser Haltung abgewichen ist, hat er mich nicht restlos überzeugt: Seine Erklärung dafür, warum sich eine neue Metropolitanordnung im 8. und frühen 9. Jahrhundert ausbildete, scheint mir unterkomplex. Pangerl vertritt die Ansicht, dass Bonifatius mit seinem Reformversuch gescheitert sei; bis zum Ende der 770er Jahre habe im Frankenreich jeweils nur ein einziger Metropolit amtiert, und auch er ohne eigene Kirchenprovinz. Erst Karl der Große sei dann "der entscheidende Impulsgeber und Schirmherr bei der Errichtung des Metropolitansystems" gewesen (153). Und weiter: "Das Vorgehen des Frankenkönigs basierte dabei auf einer festen konzeptionellen Grundlage, der Notitia Galliarum" (324, vgl. 156).
Ich selbst habe 2008 vorgeschlagen, eine komplexere Gemengelage von Interessen anzunehmen. [1] Nehmen wir für den Moment an, seit 779 sei der Wille des großen Karl in der Tat der entscheidende Faktor gewesen - und dem Vorgehen des Königs habe außerdem mit der "Notitia Galliarum" ein festes Konzept zugrunde gelegen. Dann schließt sich eine ganze Reihe von Fragen an: Warum war es Karls Wille? Welche Interessen verband er damit? Warum begann der Prozess gerade 779? Und warum hat er sich derart zäh über mehr als drei Jahrzehnte hingezogen? Wenn Karl 779 der "entscheidende Impulsgeber" war - warum hatte der Bischof Lul von Mainz dann noch vor 779 eine Papsturkunde fabrizieren lassen, die ihn zum Metropoliten machte? Warum hören wir auf der Synode von Frankfurt 794 von Konflikten zwischen den Bischöfen von Vienne und Arles um ihre Stellung als Metropoliten und die Grenzen ihrer Kirchenprovinzen? Warum überließ Karl auf derselben Synode die Entscheidung über den Status von Aix-en-Provence, Tarentaise und Embrun dem Papst? Warum können wir parallel dazu jahrelang eine Konkurrenz zwischen Metz und Trier um die Metropolitanwürde beobachten? Mit Karls Willen und einem festen Konzept allein wird man diese Fragen kaum befriedigend beantworten können. Eher wird man neben Karl (und seinen Ratgebern bei Hof?) auch die nicht immer miteinander harmonisierenden Interessen einzelner Bischöfe in dem langen Prozess mitberücksichtigen müssen.
Nicht minder wichtig scheint mir eine zweite Beobachtung: Pangerl geht davon aus, dass spätestens seit 779 alle Metropoliten den Titel eines archiepiscopus getragen hätten. Tatsächlich ist diese Annahme für seine Rekonstruktion der Chronologie der Einrichtung von Metropolitansitzen sogar zentral: Für die Etablierung des terminus post quem dient Pangerl nämlich regelmäßig die letzte Erwähnung eines Bischofs der betreffenden Sedes als episcopus; als terminus ante quem nutzt er dann die erste Erwähnung als archiepiscopus. Nun war die Metropolitanordnung im Frankenreich aber bis ins ausgehende 7. Jahrhundert im Wesentlichen ohne den Titel archiepiscopus ausgekommen: Die systematische Verbindung dieses Titels mit der Metropolitanwürde war also eine Neuerung, die erst die angelsächsischen Reformer in den 740er Jahren auf den Kontinent brachten. Ob der archiepiscopus-Titel ohne Weiteres als Sonde für die Suche nach Metropolitansitzen geeignet ist, scheint mir deshalb zumindest fraglich: Erstens trugen diesen Titel im 8. Jahrhundert jene Bischöfe, die einen Vorrang vor allen ihren Amtsbrüdern im Frankenreich beanspruchten. Zweitens trugen den Titel manche Bischöfe, die nachweislich keine Metropoliten waren (Pangerl selbst verweist etwa auf Angilram von Metz und Theodulf von Orléans). Und drittens schließlich wird - umgekehrt - mancher Bischof in unseren Quellen bloß als episcopus tituliert, obwohl er zweifellos als Metropolit amtierte (wie Weomad von Trier oder Ursus von Vienne).
Die Titel episcopus oder archiepiscopus eignen sich demnach bei einer isolierten Nennung eines Bischofs schlecht dazu, eine verlässliche Aussage über die Rechtsstellung der Sedes zu gewinnen. Angesichts der Tradition im Frankenreich wird man methodisch erst einmal den archiepiscopus-Titel und die Stellung als Metropolit auseinanderhalten. Dann freilich werden Aussagen über die Ordnung der Kirche im Frankenreich Mitte des 8. Jahrhunderts erheblich schwieriger. Und die weitere Ausformung einer Metropolitanordnung seit der Zeit Karls des Großen müsste man sich dann schon deshalb komplexer vorstellen, weil hier zwei verschiedene Entwicklungen in interessanter Weise ineinandergriffen, ohne einfach parallel zu verlaufen: zum einen die (fränkische Traditionen wieder aufgreifende) Hierarchisierung von Metropoliten und Suffraganen; zum anderen die (dem angelsächsischen Vorbild folgende) neue Bindung der Metropoliten an Rom durch Verleihung von Pallium und archiepiscopus-Titel.
Pangerls großes Verdienst ist es, ein schon seit langem nicht mehr systematisch beackertes Feld neu, tief und gründlich durchgepflügt zu haben. Seine Arbeit ist im besten Sinne des Wortes grundlegend. Sie nährt zugleich die Hoffnung, dass nach dieser Kärrnerarbeit die künftige Forschung zur Ausbildung der Metropolitanordnung noch weitere Erträge zu erzielen vermag. Denn um den jahrzehntelangen und höchst folgenreichen Prozess kirchlicher Restrukturierung und Institutionalisierung angemessen zu erklären, werden wir wahrscheinlich noch vielschichtigere Erklärungen brauchen als nur den festen Willen und ein festes Konzept des großen Karl.
Anmerkung:
[1] Steffen Patzold: Eine Hierarchie im Wandel. Die Ausbildung einer Metropolitanordnung im Frankenreich des 8. und 9. Jahrhunderts, in: Dominique Iogna-Prat / François Bougard / Régine Le Jan (éds.): Hiérarchie et stratification sociale dans l'Occident médiéval (400-1100) (= Collection Haut Moyen Âge; 6), Turnhout 2008, 161-184.
Daniel Carlo Pangerl: Die Metropolitanverfassung des karolingischen Frankenreichs (= Monumenta Germaniae Historica. Schriften; Bd. 63), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2011, XLVI + 345 S., ISBN 978-3-7752-5763-3, EUR 48,00
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