In The Bride and the Dowry beschäftigt sich der israelische Historiker Avi Raz mit den unmittelbaren Nachwirkungen des israelisch-arabischen Sechs-Tage-Krieg im Jahr 1967. Der Titel des Buches bezieht sich auf eine Aussage des damaligen israelischen Premierministers, Levi Eschkol, wonach Israel die Mitgift (d.h. die im Krieg eroberten Gebiete) gerne nehme, die Braut (nämlich die auf diesem Gebiet lebenden Menschen) aber nicht heiraten wolle - eine Aussage, die bis heute im Wesentlichen gültig ist.
Raz' Untersuchung folgt der Chronologie der Ereignisse im Zeitraum zwischen Juni 1967 und Oktober 1968, in welchem die Grundlagen für die bis heute andauernde Besatzung der palästinensischen Gebiete gelegt wurden. Seinen Schwerpunkt legt der Autor auf das Westjordanland, der Gaza-Streifen und die Golan-Höhen spielen nur eine untergeordnete Rolle.
Grundlage des Buches sind vorwiegend israelische Akten, die in den letzten Jahren freigegeben wurden. Bereits im Vorwort weist Raz darauf hin, dass viele Aussagen von Palästinensern Akten des israelischen Geheimdiensts entnommen sind, sodass ihre Zuverlässigkeit nicht immer klar ist. Eine hilfreiche Ergänzung bilden hier die zahlreichen Berichte ausländischer Beobachter, zum Beispiel von Diplomaten, Kirchenleuten und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen.
Bereits am 10. Juni 1967, dem letzten Kriegstag, legte eine Gruppe palästinensischer Politiker einen Plan für die Bildung eines unabhängigen palästinensischen Staates vor, der Elemente enthielt, die bis heute Teil der Verhandlungsmasse zwischen Israelis und Palästinensern sind, z.B. Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines palästinensischen Staates.
Auf der israelischen Seite reichten die Vorstellungen von einer Annexion des Westjordanlandes oder dessen Rückgabe an Jordanien bis zur Möglichkeit einer palästinensischen Selbstbestimmung. Da es keine einheitliche Position gab, beschloss man auf Zeit zu spielen und sich alle Optionen offen zu halten.
Die Annexion des arabischen Teils Jerusalems am 11. Juni 1967 machte deutlich, dass Israel nicht bereit war, auf Forderungen der Verlierer des Krieges einzugehen, sondern selbst die Bedingungen eines Abkommens festlegen wollte. Auch ihre potentiellen Verhandlungspartner wollte die israelische Seite selbst bestimmen. Deshalb untersagte die Militärverwaltung die Gründung politischer Organisationen in den besetzten Gebieten, entgegen der Zusage der Regierung, wonach die Palästinenser dort Meinungsfreiheit und politische Freizügigkeit genießen sollten.
Um dennoch Gesprächspartner auf palästinensischer Seite zu bekommen, machte sich Israel auf "die Suche nach einer gefügigen Führung" - so der Titel des dritten Kapitels. Man versuchte, Führungspersönlichkeiten heranzuziehen, die Israel gegenüber konziliant waren und halfen, den aufkeimenden Unmut unter der palästinensischen Bevölkerung einzudämmen. Erste friedliche Proteste Ende Juli 1967, u.a. gegen die Annexion Jerusalems, wurden unterdrückt und missliebige Palästinenser als vermeintliche Hintermänner verhaftet.
Israels vorrangiges Bestreben war es, die Erfolge im Sechs-Tage-Krieg für Grenzkorrekturen zu nutzen, die dem Land mehr Sicherheit bringen sollten. Avi Raz nennt eine Reihe von Beispielen, wie Dörfer entlang der Waffenstillstandslinie von 1949 zerstört und deren Bewohner vertrieben wurden. Die internationale Kritik an diesem Vorgehen, ausgelöst durch Fernsehbilder von palästinensischen Flüchtlingen, konterte die israelische Regierung mit einer Propaganda-Kampagne, in der behauptet wurde, die Menschen würden freiwillig und aus rein wirtschaftlichen Gründen Palästina verlassen, um in ihre eigentliche Heimat Jordanien zu gehen.
Eines der zentralen Ziele der israelischen Politik bezüglich der Palästinenser-Frage war, eine endgültige politische Lösung so lange wie möglich hinauszuzögern. Die Weigerung, Friedensverhandlungen mit Israel zu führen, die der Gipfel der Arabischen Liga im August 1967 beschlossen hatte, erlaubte es Israel, die arabische Seite für den Stillstand bei der Suche nach einer Lösung verantwortlich zu machen. Um diesen Stillstand aufrecht zu erhalten, betrieben die Israelis ein "Doppelspiel" (Avi Raz), indem sie dem jordanischen König Hussein damit drohten, mit den Palästinensern der Westbank über eine Autonomie zu verhandeln, ebenjenen aber gleichzeitig deutlich machten, dass ein Abkommen erst nach dem Abschluss eines Friedensvertrages mit den arabischen Staaten möglich sei.
Die Hinhalte-Politik der Israelis, ihr repressives Vorgehen und die Schaffung von Tatsachen in Form des beginnenden Siedlungsbaus schwächten die moderate Führung der Palästinenser und verhalfen den radikalen Kräften zu einem Aufschwung. Die von Jordanien aus operierende PLO war bis Sommer 1967 eine unbedeutende Organisation. Die Angriffe der in ihr vereinigten militanten Gruppen auf das israelische Kernland und die Vergeltungsschläge der Israelis steigerten ihr Ansehen und machten sie zur wichtigsten politischen Stimme der Palästinenser.
Um die palästinensische Führung gegen die Radikalen zu stärken und der internationalen Kritik am Verhalten der Israelis zu begegnen, erklärte sich Israel bereit, eine palästinensische Verwaltung in Teilen des Westjordanlandes zu ermöglichen. Darüber hinaus legte man als Zeichen seiner Verhandlungsbereitschaft den "Allon-Plan" vor, der vorsah, das westliche Jordan-Ufer als zukünftige israelische Grenze zu annektieren, den dicht besiedelten Norden des Westjordanlandes zu einem selbstverwalteten arabischen Kanton zu machen und gleichzeitig Siedlungen an strategisch wichtigen Punkten zu errichten. Husseins Ablehnung des Plans sowie die weiter anhaltenden terroristischen Angriffe erlaubten es Israel, weiter auf die fehlende Friedensbereitschaft der arabischen Seite hinzuweisen.
Im Epilog zitiert Avi Raz den Ausspruch des israelischen Außenministers Abba Eban, wonach die Araber nie eine Gelegenheit verpasst hätten, eine Gelegenheit zu verpassen, zeigt aber mit seiner Studie, dass dies noch mehr für Israel gilt. Er bestätigt den oft geäußerten Vorwurf, die Palästinenser hätten es nie geschafft, eine einheitliche Führung und damit eine konsistente Politik während der Besatzungszeit zu etablieren, macht dafür aber die Israelis verantwortlich, die die Moderaten schwächten und ungewollt die Radikalen stärkten.
Uneinigkeit gab es auch in der israelischen Regierung. Der kleinste gemeinsame Nenner war, soviel Land mit so wenig Bewohnern wie möglich zu behalten. Ein Teil des Kabinetts wollte dies auf sicherheitspolitische Aspekte beschränken, ein anderer hegte aus religiösen oder ideologischen Gründen Träume von einem Groß-Israel.
Avi Raz räumt ein, dass sein Buch übermäßig kritisch gegenüber der israelischen Politik erscheinen mag, rechtfertigt das aber damit, dass der Konflikt ein ungleicher ist, in dem Israel als stärkere Partei die Fäden in der Hand hält. Hier lässt sich ein Kritikpunkt an seinem Buch anbringen, der aber für viele Bücher zum Nahost-Konflikt gilt: Während es eine Vielzahl von israelischen Akten gibt, die ein detailliertes Bild der israelischen Politik ermöglichen, ist dies auf palästinensischer bzw. arabischer Seite aufgrund der schwierigen Zugänglichkeit (nicht nur der Sprache wegen) bisher kaum möglich. Auch Avi Raz kann den Friedenswillen Husseins und der Palästinenser und deren Glaubwürdigkeit nicht mit Primärquellen eindeutig belegen.
Dessen ungeachtet ist The Bride and the Dowry mit seiner Konzentration auf die 16 Monate nach dem Sechs-Tage-Krieg und der beinahe minutiösen Darstellung jener Ereignisse, die heute noch grundlegend für die verfahrene Situation im Nahen Osten sind, eine einzigartige, eindringliche und erhellende Studie.
Avi Raz: The Bride and the Dowry. Israel, Jordan, and the Palestinians in the Aftermath of the June 1967 War, New Haven / London: Yale University Press 2012, XXXVI + 438 S., 7 Kt., ISBN 978-0-300-17194-5, GBP 25,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.