sehepunkte 13 (2013), Nr. 6

Rezension: Reformation und Zeitalter der Konfessionen in Ost-/Südostmitteleuropa: Polen

Im Jahre 1612 wurde ein reformierter Pastor, Jerzy Płotkowski, vor die Synode der Reformierten Kirche in Vilnius zitiert. [1] Sowohl die Lebensführung als auch die Ausbildung des Pastors wurden heftig kritisiert. Er leitete keine Gottesdienste und lebte nicht bei seiner Gemeinde. Weiter: "als er usque ad vomitum besoffen war, schlachtete er den Müller und brachte ihn beinahe um". Er pflegte zu tanzen, mit einer Waffe auf den Predigtstuhl zu steigen sowie den Kühen auf dem Kirchhof die Schwänze abzuschneiden. Er stand sogar unter Verdacht, jemanden ermordet zu haben. Dazu war er in der Lehre vollkommen unbeholfen: er konnte nicht einmal Sakramente und Sünde definieren. Die Synode stellte auch fest, dass er "Latein weder schreiben noch verstehen kann". "Fast keine seiner Predigten war fehlerfrei. Aber aufgeblasen von seiner Phil[l]autia, viel von sich haltend und andere missachtend, wagte er zu behaupten, dass es ihm kein Theologe, Redner, Philosoph oder Linguist gleichkomme. [...] Aus dieser Eigenliebe sagte er oft während der Predigten: 'Ich wundere mich, woher bei mir diese Klugheit, diese Redegabe und eine solch breite Gelehrsamkeit kommen'". Die Liste seiner Fehltritte umfasste: Häresie, Gotteslästerung, Religionsfrevel, Trunksucht, Mord, Amtsmissachtung, Trotz und Ungehorsam. Er wurde nicht nur seines Amtes enthoben, sondern auch exkommuniziert. Interessanterweise bot die Synode Płotkowski zwei Jahre später die Möglichkeit an, sich zu rehabilitieren. Nach der öffentlichen Buße durfte er erneut "in gremium Ecclesiae" eintreten. [2]

1.

Die Reformationsgeschichtsschreibung gehört nicht zum historiographischen Mainstream in Polen, aber trotzdem hat sie eine bis ins Reformationsjahrhundert zurückgehende Tradition, die aus heutiger Sicht eine gewisse Kontinuität aufweist. Mit ihren brillanten historiographischen Essays bieten Michael G. Müller und Natalia Nowakowska einen tiefen Einblick in das komplizierte Schicksal der konfessionellen Geschichtsschreibung, die Christoph Schmidt im Jahr 2000 dem deutschsprachigen Publikum im groben Umriss vorgestellt hat. [3]

Schon im 16. Jahrhundert erwähnten Protestanten am Rande allgemeinhistorischer Werke ihre Konfession (etwa Stanislaw Sarnicki oder Świętosław Orzelski). Im 17. Jahrhundert verfassten Protestanten sowohl große apologetische Kirchengeschichten (Andrzej Lubieniecki, Stanislaw Lubieniecki, Andrzej Węgierski) als auch kleine lokale Geschichte einzelner Gemeinden (Jan Łasicki, Wojciech Węgierski). In Reaktion auf die späte katholische Konfessionalisierung bekam diese Historiographie einen stark apologetischen und politischen Charakter, der deutliche aufklärerische Züge aufwies und in internationale Diskurse der Aufklärung eingeflochten wurde (Daniel Ernst Jablonski, Christian Gottlieb Friese, Gottfried Lengnich). Schrittweise verlor sie aber an Bedeutung und Intensität, zusammen mit der dramatischen Marginalisierung der protestantischen Kirchen und dem zahlenmäßigen Rückgang der Protestanten. Im 19. Jahrhundert und am Anfang des 20. Jahrhunderts blühte diese Geschichtsschreibung erneut auf, getragen von polnisch- und vor allem deutschsprachigen Heimatforschern (Georg Fischer, Hermann Freitag, Józef Łukaszewicz, Walerian Krasiński, Eduard Schnasee, Paul Simson, Theodor Wotschke, Wolfgang Bickerich, Karl Volker). Mit gewissen Ausnahmen gewann sie in dieser Zeit eine relativ klare nationale Färbung und konfessionelle Ausrichtung. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Phase der intensiven Akademisierung, die unter dem Einfluss der besten Muster deutschsprachiger Historiographie und neuer historischer Methoden stattfand (Alexander Brückner lehrte in Wien, Leipzig und Berlin; Wincenty Zakrzewski studierte bei Gustav Droysen; Wacław Sobieski bei Karl Lambrecht). [4] Diese Akademisierung, die wegen des Mangels polnischer Universitäten in Berlin, Leipzig, Heidelberg und Wien stattfand, bedeutete auch eine erneute Internationalisierung, an der sowohl slowakische (Ján Kvačala), als auch tschechische Forscher (wie Jaroslav Bidlo) teilnahmen. Nach der Wiederentstehung Polens (1918) wurde an den polnischen Universitäten in Krakau (Stanislaw Kot, Marek Wajsblum) und Lwiw (Ludwik Chmaj) relativ intensiv Reformationsforschung betrieben.

Die Katastrophen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beendeten diese Entwicklung abrupt, obwohl auch während der 50 Jahre des Kommunismus viele quellenkritische und analytische Arbeiten veröffentlicht wurden. Wie Michael G. Müller beweist, bestand eine Kontinuität von Zwischenkriegs- und Nachkriegshistoriographie, die Müller vor allem anhand der Zeitschrift "Reformacja w Polsce" (erschien 1921-1939) und ihre Fortsetzung "Odrodzenie i Reformacja w Polsce" (seit 1956) veranschaulicht. Die Nachkriegshistoriographie entwickelte sich in "der Kommunikation mit der Ostdeutschen Landesgeschichte" und trug dazu bei, dass die Geschichte der Reformation immer stärker in die polnischen "Leiterzählungen" integriert wurde. Einen besonderen Beitrag der polnischen Reformationsforschung sieht Müller darin, "dass sie neben den deutsch-lutherischen auch die anderen konfessionellen und territorialen Ursprünge der Spätreformation in der Region genauer in den Blick nahm - und damit zur Dekonstruktion der einseitig deutschtumsbezogenen reformationsgeschichtlichen Erzählung in der Landeshistorie beitrug". [5]

2.

Der von Müller verwendete Begriff der 'Spätreformation' setzt eine gewisse Vorstellung von der Periodisierung der Reformationsgeschichte in Polen und Litauen voraus. Der Forschungstradition zufolge, die unter starkem Einfluss der Monographie von Wincenty Zakrzewski stand und jüngst von Wojciech Kriegseisen wieder aufgegriffen wurde, verlief die polnische Reformation in drei großen Phasen: 1520-1548/50, 1548-1572 und 1572-1609. [6]

Die erste Periode umfasst die Jahre 1520-1548/1550. In dieser Zeit liegen die lutherische "Gemeindereformation" und "Ratsreformation" im königlichen Preußen und Großpolen sowie die "Fürstenreformation" im Herzogtum Preußen. Außerhalb der städtischen Milieus waren vor allem Humanisten an den königlichen und bischöflichen Höfen und in Krakau für die neuen Ideen offen. Bis 1548 waren auch protestantische Prediger (Laurentius Discordia, Jan von Koźmin, Marcin Kurek (Gallus)) und Ärzte (Giorgio Biandrata) am Hof der Königin Bona Sforza und ihres Sohn Sigismund August (gewählt 1530, reg. seit 1548) tätig. [7] Wie die umfangreiche und quellennahe Studie von Katarzyna Gołąbek belegt, agierten die katholischen Bischöfe eher als weltliche Politiker und beschäftigten sich bis Mitte des Jahrhunderts nur marginal oder gar nicht mit Reformationsfragen.

Zu den oft gestellten Fragen gehört diejenige nach der Beziehung des Erasmus von Rotterdam zu Polen und seinem Einfluss auf die Einstellung gegenüber der Reformation in dem gut erforschten Kreis seiner Korrespondenzpartner. [8] Diesen Fragen sind viele Beiträge in dem von Piotr Wilczek herausgegebenen Band Reformacja w dawnej Rzeczypospolitej gewidmet. Marta Kacprzak macht in ihrem Aufsatz Über die Probleme der Reformation im 16. Jahrhundert. Kryptoreformation - Erasmianismus - Ekklesiologie darauf aufmerksam, dass die "Kryptoreformation" nicht abwertend behandelt werden sollte, obwohl die literarischen und theologischen Texte sich nicht leicht konfessionell zuordnen lassen. [9] Leider geht die Verfasserin über allgemeine Feststellungen zum Glaubens- und Kirchenbegriff als mögliche Indizien für konfessionelle Zugehörigkeit nicht hinaus. Ähnlich formuliert Dorota Pietrzyk-Reeves nur offene Fragen bezüglich des Verhältnisses zwischen frühneuzeitlichem Republikanismus und Reformation. In ihrer inzwischen veröffentlichten Monographie über den polnischen Republikanismus wird das Reformationsthema nicht behandelt. [10]

Dieser Phase folgte die Blütezeit der Reformation in Kleinpolen und in Litauen ("Adelsreformation", 1548-1570/1572), die auch mit der Ankunft der Brüderunität in Großpolen verbunden war. In diesen zwei Jahrzehnten wurde der Protestantismus in Polen-Litauen zu einer Massenbewegung, die allerdings konfessionell sehr gespalten und heteromorph blieb. Jacek Chachaj beschrieb in seiner Mikrostudie über das Archidiakonat in Lublin, wie in dieser Zeit die Verweigerung des Zehnten häufiger wurde und in den fünfziger Jahren v.a. unter dem Einfluss der Familie Firlej in vielen Pfarreien protestantische Prediger eingesetzt wurden. [11] Im Spiegel der katholischen Quellen waren 1570 beinahe 30% der Kirchen von Protestanten übernommen worden (234). Leider nimmt der Verfasser den Sprachgebrauch der katholischen Visitationen für bare Münze und beschreibt diesen Prozess als "Profanierung" ("profanacja") der Kirchen.

Auch für andere Gebiete in Polen-Litauen war dies eine Epoche der Konfessionsbildung, die durch die Entstehung der ersten kirchlichen Strukturen sowie eine theologische Verfestigung gekennzeichnet ist. Nach Konfessionsbildungsprozessen und Konfessionalisierung hat zum ersten Mal explizit und systematisch Wojciech Kriegseisen gefragt. Das umfangreiche Werk Kriegseisens, der bis dato als ein profunder Kenner des späten 17. und des 18. Jahrhunderts bekannt war, umfasst den Themenkomplex des Einflusses der Reformation auf das Verhältnis von Kirche und Staat. Den Schwerpunkt seiner vergleichenden Studie über das protestantische Europa, in der dem Reich, den Niederlanden und der Polnisch-Litauischen Republik ein besonderer Platz verliehen wird, bildet die Frage von Toleranz und Duldung der Andersgläubigen.

Aus den bisherigen Untersuchungen geht deutlich hervor, dass alle drei Hauptkonfessionen (Lutheraner, Reformierte und Böhmische Brüder) sehr ähnliche synodale Strukturen entwickelt haben, in deren Rahmen auch Superintendenten integriert waren. Die Kirchen wurden in Distrikten organisiert und die Distrikte in Kirchenverbände, die Jednota, unitas, unio oder Union genannt waren. Dank den älteren Studien von Henryk Merczyng und Józef Łukaszewicz ist die Mehrheit der Gemeinden bekannt. Diese Prozesse und ihre gesellschaftlichen Implikationen wurden in Beiträgen von Genute Kirkiene, Elżbieta Bagińska, Jolanta Skurdauskienė und Rita Regina Trimonienė in dem von Elżbieta Bagińska, Piotr Guzowski und Marzena Liedke herausgegebenen Band Studia nad Reformacją auf Quellenbasis beleuchtet.

Angesicht zahlreicher Beiträge zu entsprechenden Themen überrascht die Feststellung von Alan S. Ross, dass es in der polnischen Reformationsforschung keine Studien über Bildung und Erziehung gebe. [12] Sie basiert allerdings einfach auf mangelnder Kenntnis des Forschungsstandes und ignoriert die umfangreichen Forschungen von Antoni Karbowiak, Łukasz Kurdybacha, Henryk Barycz, Stanisław Tworek und Dorota Żołądź-Strzelczyk. In der Tat ist gerade die Gegenthese näher an die Wahrheit: die Bildungsgeschichte gehört zu den besser erforschten Gebieten der Polnischen Reformation.

Das Gebiet, das schon traditionell die größte Aufmerksamkeit der Forschung erfährt, stellt die Geschichte der Antitrinitarier in Polen-Litauen dar. In den beiden angezeigten Sammelbänden sind allein fünf Beiträge dieser relativ kleinen Gruppe gewidmet (Adam Muszyński, Piotr Wilczek, Jacek Kochanowski, Steffen Huber und zum Teil der Aufsatz von Jakub Koryl). Alle folgen bereits gebahnten Pfaden und schlagen keine neue Methoden oder Interpretationen vor. Eine eher negative Ausnahme bildet der Beitrag von Jacek Kochanowski, in dem ein Traktat von Samuel Przypkowskis Disertatio de pace et concordia ecclesiae mit Postulaten des Feminismus und der Homosexuellen im 21. Jahrhundert verglichen wird (Reformacja w dawnej Rzeczypospolitej, 183).

Die dritte Periode, nach 1573, wurde durch die Rekatholisierung und den Kampf gegen eine immer stärkere Gegenreformation gekennzeichnet. Politisch bemühten sich die Protestanten um Erhalten des gemeinsamen Religionsfriedens aus dem Jahr 1572 (Warschauer Konföderation), theologisch aber gingen die Lager schrittweise immer weiter auseinander. Der in der Einleitung zitierte Fall von Jerzy Płotkowski, der in zwei Beiträgen erwähnt und analysiert wird [13], beweist einerseits, dass die Disziplinierungsmaßnamen zunahmen, aber auch, dass sie angesichts des Personalmangels immer relativiert wurden.

Neben der Konfessionalisierung und damit verbundenen Abgrenzungsversuchen gab es im 17. Jahrhundert immer noch Bespiele der gelungenen kirchlichen Zusammenarbeit, die womöglich eine Fortsetzung der Unionsbestrebungen aus dem 16. Jahrhundert darstellten. In Großpolen existierten neben den Böhmischen Brüdern auch die reformierten Gemeinden. Um 1600 waren es zwar nur 16 bzw. 18 [14] und nicht 120, wie Dorota Żołądź-Strzelczyk behauptet. [15] Ihre Anzahl wurde immer kleiner, was sie unfähig machte, allein zu agieren. Zwischen 1615 und 1627 wurden die letzten 7 Gemeinden in die Kirchenstruktur der böhmischen Brüderunität eingegliedert. [16] Andrzej Węgierski schrieb kurz danach "Nulla igitur amplius est, in Maj. Pol. distinctio Ecclesiarum Conf. Boh. ab Helveticis". [17] Die Brüderunität aus Großpolen arbeitete auch immer enger mit anderen reformierten Unitäten aus Kleinpolen und Litauen zusammen, besuchte deren Generalsynoden, schickte die Pastoren an die reformieren Gemeinden und kultivierte die Tradition des Consensus Sendomiriensis aus dem Jahr 1570.

3.

Die Verwendung der Kategorie der 'Spätreformation' und die dahinterstehende banale Frage der Periodisierung haben weitgehende Folgen. Laut Natalia Nowakowska wurde die erste Phase der Reformation in der polnischen Fachliteratur bewusst ausgeblendet. "Since at least the 1970s [...] the Polish Reformation textbooks seem to have suffered a strange attack of collective amnesia [...] Why did Polish scholarship begin to forget Martin Luther? The short answer is that Lutheranism, at a certain historic moment in the twentieth century, apparently came to be seen as a quintessentially German phenomenon and thus irrelevant, or alien, to Polish history itself, which was increasingly reconceptualised as the history of Polish-speakers only, in a gradual post-war ethnic redefinition of the Polish Reformation". [18] Gegen Michael G. Müller, der der polnischen Forschung "die Dekonstruktion der einseitig deutschtumsbezogenen reformationsgeschichtlichen Erzählung" zuschreibt, behauptet Natalia Nowakowska, dass die polnische Literatur sogar eine "polentumbezogene Erzählung" projiziere.

Die These mag brillant sein, doch trifft sie im Detail nicht zu. Als Beispiele und Belege dienen Nowakowska lediglich die Veröffentlichungen von Marceli Kosman, Marian Rechowicz und Janusz Tazbir sowie die Bibliographie von "Odrodzenie i Reformacja w Polsce". Nowakowska ignoriert aber viele Arbeiten von Maria Bogucka und Oskar Bartel [19], vor allem aber die Werke von Ryszard Szczygieł und Józef Buława, die 1971 und 1977 erschienen sind. [20] Die erste Phase der Reformation wurde also nie vergessen. Die These über einen "deutschen" Charakter dieser "Frühreformation" lässt sich auch nicht einfach durch eine Dekonstruktion der historiographischen Denkschemata verabschieden. Eine Mehrzahl von Quellen aus dem 16. Jahrhundert (wie z.B. das deutschsprachige Tagebuch eines Danziger Bürgers, Martin Gruneweg [21]) beweist, dass Janusz Tazbir zu recht behauptet: "Luthertum wurde allgemein als 'der Deutsche Glauben' gesehen" ("w luteranizmie dość powszechnie widziano 'niemiecką wiarę'"). [22] Es geht allein darum, wie man dieses Deutschtum versteht - natürlich kann es nicht mit der nationalen Begrifflichkeit des 19. Jahrhunderts charakterisiert werden.

Drittens: Wenn Janusz Tazbir oder Gottfried Schramm ihre Studien über die Reformation in Polen seit 1548 schrieben, wollten sie nicht eine "deutschtumsbezogene reformationsgeschichtliche Erzählung" konstruieren oder dekonstruieren. Vielmehr standen sie unter dem Einfluss der Sozialgeschichte, die über Massenbewegungen im Spiegel ihrer Quellen erzählen wollte. Es ging also nicht darum, die Reformation als mythische Geschichte einzelner Wanderprediger darzustellen und die aus der Reformationsgeschichtsschreibung des 16. und 17. Jahrhunderts bekannten Tatsachen zu wiederholen, sondern darum, eine Reformationsgeschichte anhand von Synodalunterlagen und Korrespondenzen zu schreiben.

4.

Die neuere Forschung bestätigt die These eines späteren Einsatzes der Reformationsbewegung in Polen. 'Spätreformation' bedeutet nicht, dass es vor der Mitte des 16. Jahrhunderts keine Rezeption der Schriften von Martin Luther und der Kontroversliteratur gab, sondern dass die Reformation als eine soziale Bewegung im Vergleich zum Reich relativ spät begann. Die Frage nach den typenspezifischen Folgen der Verspätung wurde allerdings systematisch noch nicht gestellt.

Bis dato wird die polnische Spätreformation mit Heterogenität und einer gewissen theologischen Offenheit (wenn nicht einem Synkretismus) assoziiert, die vielleicht mit der Verspätung der Konfessionsbildung und der Konfessionalisierung zusammenhängen. Das Urteil über Jerzy Płotkowski, der "Latein weder schreiben noch verstehen kann", bezeugt, dass die Verspätung mit der Entfernung von protestantischen Hochschulen und strukturellen Schwächen der nur unter adligem und städtischem Patronat stehenden Kirchen verbunden sein mochte.

Schließlich bleibt offen, wann die Reformation endete. In dem von Bagińska, Guzowski und Liedke herausgegebenen Band Studia nad reformacją befinden sich auch Aufsätze über das späte 17. und das 18. Jahrhundert. In dem Band Reformacja w dawnej Rzeczypospolitej schrieb Monika Kuleczka über "eine Periode der Spätreformation (2. Hälfte des 17. Jahrhundert bis in die 1730er Jahre)" (22). Solche Fehler machen nicht nur die Unaufmerksamkeit der Herausgeber bemerkbar, sondern auch die schwache Rezeption von etablierten Forschungskonzepten wie der Konfessionsbildung oder der Konfessionalisierung. Dies Defizit versucht die umfangreiche Studie von Kriegseisen zu decken, mit der der Verfasser durch die Anwendung der Konfessionalisierungstheorie wissenschaftliches Neuland für die polnische Historiographie betritt.


Anmerkungen:

[1] Akta synodów prowincjalnych Jednoty Litewskiej (1611-1625), Wilno 1915, 9-10.

[2] Akta synodów prowincjalnych, S. 23.

[3] Christoph Schmidt: Auf Felsen gesät: die Reformation in Polen und Livland, Göttingen 2000, 9-20.

[4] Vgl. Mircea Ogrin: Ernst Bernheim (1850-1942): Historiker und Wissenschaftspolitiker im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Stuttgart 2012, 333-338.

[5] Michael G. Müller, Reformationsforschung, 146, 151-152, Zit. 147.

[6] Wincenty Zakrzewski: Powstanie i wzrost reformacyi w Polsce: 1520-1572, Leipzig 1870. Vgl. auch die Studien von Gottfried Schramm, Heinrich R. Schmidt und Alfons Brüning.

[7] Zuletzt Marek Ferenc: Dwór Zygmunta Augusta. Organizacja i ludzie, Kraków 1998, 85-89.

[8] Vgl. die Arbeiten von Maria Cytowska, Georg H. Williams, Natalia Nowakowska, Howard Louthon.

[9] Marta M. Kacprzak: Z problemów reformacji XVI wieku. 'Kryptoreformacja' - Erazmianizm - Eklezjologia. Postulaty badawcze dla historii literatury i kultury polskiej, in: Reformacja w dawnej Rzeczypospolitej, 15-22.

[10] Dorota Pietrzyk-Reeves: Ład Rzeczypospolitej. Polska myśl polityczna XVI wieku a klasyczna tradycja republikańska, Kraków 2012.

[11] Jacek Chachaj, Bliżej schizmatyków niż Krakowa, 217-231.

[12] Alan S. Ross: The History of Knowledge and the Reformation - some Thoughts on Poland, in: Reformacja w dawnej Rzeczypospolitej, 39-43.

[13] Marzena Liedke: "Różne scandala" i troska o moralność wiernych w protokołach akt synodów prowincjonalnych Jednoty litewskiej XVII wieku, in: Studia nad reformacją, 51-65, hier: 60; Jarosław Wasilewski: Litewski synod prowincjalny Kościoła ewangelicko-reformowanego w trosce o dyscyplinę duchowieństwa w I połowie XVII wieku, in: ibidem, 66-74, hier: 68. Der Fall ist in der Fachliteratur natürlich bekannt: Urszula Augustyniak: Duchowni klienci Krzysztofa II Radziwiłła. Kondycja i funkcje duchowieństwa ewangelicko-reformowanego w dobrach radziwiłłowiskich w pierwszej połowie XVII wieku, "Miscellanea Historico-Archivistica" Bd. 3: Radziwiłłowie XVI-XVIII wieku: w kręgu polityki i kultury, Warszawa 1989, 159-173, hier: 171.

[14] Andrzej Węgierski: Libri quattuor Slavoniae reformatae, hg. von Janusz Tazbir, Warszawa 1973, 99, 119; Wojciech Sławiński: Toruński synod generalny 1595 roku: z dziejów polskiego protestantyzmu w drugiej połowie XVI wieku, Warszawa 2002, 302.

[15] Dorota Żołądź-Strzelczyk: Szkoły w Wielkopolsce od średniowiecznych początków do reform Komisji Edukacji Narodowej, Poznań 2010, 79.

[16] Henryk Gmiterek: Bracia czescy a kalwini w Rzeczypospolitej. Połowa XVI-połowa XVII wieku, Lublin 1987, 146; Jolanta Dworzaczkowa: Bracia czescy w Wielkopolsce w XVI i XVII wieku, Warszawa 1997, 103.

[17] Węgierski, Libri quattuor, 120.

[18] Natalia Nowakowska, Forgetting Lutheranism, 296.

[19] Oskar Bartel: Luther und Melanchthon in Polen, in: Luther und Melanchthon. Referate und Berichte des Zweiten Internationalen Kongresses für Lutherforschung, hrsg. V. Vajta, Göttingen 1961, 165-177; Oskar Bartel: Marcin Luter w Polsce, "Odrodzenie i Reformacja w Polsce" 7, 1962, 27-50 [auf Deutsch als: Martin Luther und Polen, in: Vierhundertfünfzig Jahre lutherische Reformation: 1517-1967, FS für Franz Lau zum 60. Geburtstag, Berlin 1967, 27-42]; Janusz Narzyński: Luther und Polen, in: "Luther. Kirche. Welt" 25, 1978, 43-65. Die Arbeiten von Maria Bogucka sind abgedruckt in: dies.: Człowiek i świat. Studia z dziejów kultury i mentalności XV-XVIII w., Warszawa 2008.

[20] Ryszard Szczygieł: Konflikty społeczne w Lublinie w pierwszej połowie XVI wieku, Warszawa 1977; Józef Buława: Walki społeczno-ustrojowe w Toruniu w I połowie XVI wieku, Toruń 1971. Vgl. auch Tomasz Strzembosz: Tumult warszawski 1525 roku, Warszawa 1959.

[21] Die Aufzeichnungen des Dominikaners Martin Gruneweg (1562 - ca. 1618) über seine Familie in Danzig, seine Handelsreisen in Osteuropa und sein Klosterleben in Polen, hg. v. Almut Bues , Wiesbaden 2008, Bd. 1, 45-48, Bd. 2, 986-987.

[22] Zit. Nowakowska, Forgetting Lutheranism, S. 297, Fußn. 68.

Rezension über:

Jacek Chachaj: Bliżej schizmatyków niż Krakowa… Archidiakonat lubelski w XV i XVI wieku, Lublin: Werset 2012, 426 S., ISBN 978-83-60133-93-4

Katarzyna Gołąbek: Działalność publiczna biskupa włocławskiego Andrzeja Zebrzydowskiego w latach 1546-1551 w świetle jego korespondencji, Warszawa: DiG 2012, 300 S., ISBN 978-83-7181-739-7

Wojciech Kriegseisen: Stosunki wyznaniowe w relacjach państwo-kościół między reformacją a oświeceniem: (Rzesza Niemiecka, Niderlandy Północne, Rzeczpospolita polsko-litewska), Warszawa: Semper 2010, 710 S., ISBN 978-83-7507-106-1

Michael G. Müller: Reformationsforschung in Polen. In: Archiv für Reformationsgeschichte 100 (2009), 138-154, ISSN 0003-9381

Natalia Nowakowska: Forgetting Lutheranism: Historians and the Early Reformation in Poland (1517-1548). In: Church History and Religious Culture 92 (2012), 281-303, ISSN 1871-241

Piotr Wilczek (ed.): Reformacja w dawnej Rzeczypospolitej i jej europejskie konteksty, Warszawa: Sub Lupa 2010, 229 S., ISBN 978-83-931271-0-8

Elżbieta Bagińska / Piotr Guzowski / Marzena Liedke (eds.): Studia nad reformacją, Białystok: Uniwersytet w Białymstoku 2010, 240 S., ISBN 978-83-8788-140-5

Rezension von:
Maciej Ptaszyński
Mainz
Empfohlene Zitierweise:
Maciej Ptaszyński: Reformation und Zeitalter der Konfessionen in Ost-/Südostmitteleuropa: Polen (Rezension), in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 6 [15.06.2013], URL: https://www.sehepunkte.de/2013/06/23658.html


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