Seit mehr als 150 Jahren versucht man den Ursachen für den Erfolg und die Langlebigkeit des Mogulreiches auf den Grund zu gehen. Sehr unterschiedliche Modelle sind bisher mit vielen Argumenten als Erklärung angeboten worden. Die britische Historiographie ging von einer grundsätzlichen Rückständigkeit ihrer Vorgänger in puncto religiöser Toleranz und Komplexität des Verwaltungsapparates aus. Letzten Endes hätten sie sich nur auf der Basis einer rigiden Despotie so lange an der Macht halten können. Um die vorletzte Jahrhundertwende herum begann dann eine Reihe nationalistisch gesonnener indischer Historiker damit, die kolonialistische Interpretation in Frage zu stellen. Dabei kamen die substantiellsten Beiträge von Gelehrten der muslimischen Universität in Aligarh. Zwischen 1940 und 1980 legten - nicht selten marxistisch orientierte - Forscher zahlreiche Bücher und Artikel vor, in denen sie anhand von einzelnen Institutionen zeigten, dass das Mogulreich offenbar ein in höchstem Maße zentralisierter und dadurch wirtschaftlich wie politisch sehr stabiler Staat gewesen ist. Religion spielte bei ihnen interessanterweise nur als ein langfristig destabilisierender Faktor eine Rolle.
In den 1970er Jahren fachten jüngere, insbesondere britische Wissenschaftler (u.a. John Richards, Peter Hardy, Michael Pearson, Karen Leonard und C.A. Bayly), die Debatte um die Strukturen des nordindischen Herrschaftsverbandes erneut an. Sie gingen zum einen davon aus, dass das Mogulreich wie andere frühneuzeitliche Staaten von Natur aus eher einen fragmentierten als einen stark zentralisierten Charakter hatte. Zum anderen fragte man sich, ob ein in ein administratives Zentrum zulaufendes Reich notwendigerweise ein modernerer oder besserer Staat sein muss. In diese Richtung argumentieren seit nunmehr fast zwei Dezennien - neben André Wink, Douglas Streusand, Stephen Dale oder Dirk Kolff - ebenfalls die beiden führenden (oder zumindest: tonangebenden) Mogulforscher Sanjay Subrahmanyam und Muzaffar Alam: Die Struktur in den von den Muslimen mehr oder minder kontrollierten Gebieten stelle eher ein loses Netzwerk mit zahlreichen Knotenpunkten dar, die an einigen Stellen dicker, an anderen dünner waren. Dieser Lesart zufolge wirkte die Zentrale auf die lokalen Gegebenheiten auf der einen Seite zwar durchaus strukturbildend, doch kam es eher zu regionalen Aneignungs- und Hybridisierungserscheinungen denn zu forcierten Vereinheitlichungstendenzen.
Vor uns liegt nun die überarbeitete Fassung einer Dissertation, die Balkrishan Shivram an dem Historischen Institut der staatlichen Himachal Pradeh University (HPU) unter der Betreuung von Professor Dr. Chetan Singh (und Professor Dr. Laxman S. Thakur) angefertigt hat. Die Revision der Qualifikationsschrift hat der Verf. offensichtlich am Indian Institute of Advanced Study at Shimla (IIAS) vorgenommen, an das er einige Zeit als Fellow angebunden war.
Balkrishan Shivram positioniert sich mit seinem Werk eindeutig als Epigone der "Aligarh Schule": "The Mughal Empire was one of the largest cenralized states of the pre-modern world history" (19) Die von ihm - ganz der Tradition dieser Richtung folgend - ins Visier genommene Institution ist das sogenannte jagirdar-System zur Zeit Akbars (reg. 1556-1605). Diese Einrichtung war eng verflochten mit der Etablierung von mansabs. Damit war eine Art Rang gemeint, der der die Stellung des Inhabers innerhalb des Mogulreiches festlegte. Dieser Rang war unmittelbar mit militärischen und anderen Obliegenheiten verbunden, und sein Träger (mansabdar) stand in persönlicher Verbindung mit dem Herrscher. Akbar hatte, wenn wir seinem Chronisten Abu l-Fazl Allami (gest. 1602) glauben, diese Verwaltungsstruktur flächendeckend eingeführt. Die Bezahlung der mansabdare erfolgte entweder in bar oder durch die Vergabe eines genau taxierten Landes, jagir genannt. Dem mansabdar gehörten die Ländereien nicht, sondern er hatte nur ein Anrecht auf einen Teil der Steuern. Die große Zahl der zu entlohnenden mansabdare führte allerdings dazu, dass unter Akbar 75 Prozent des gesamten Landes als jagir vergeben waren. Der Rest bildete die Krondomänen (khalisa). Erträge eines kleinen Teil des Landes, die soyurghal hießen, kamen in Form von Stipendien und Renten besonders frommen oder gelehrten Personen zu.
In seiner Arbeit wertet Balkrishan Shivram in Anlehnung an und in Fortführung von Arbeiten aus der Feder von W. H. Moreland, M. Athar Ali, N. A. Ahmad und I. Habib noch einmal sehr gründlich die hinreichend bekannten historiographischen Quellen aus, um zu genaueren Aussagen über das Verhältnis zwischen jagirdars und mansabdars, die Qualität und Verortung ihrer Zuweisungen und die Häufigkeit eines Wechsels des jagirs zu gelangen. Auf eine Einleitung, in der die Fragestellung erläutert, das Verwaltungssystem skizziert und die Quellen genannt werden, folgt das erste der drei Hauptkapitel. Hier geht es in erster Linie um die Konturen des jagirdari-Systems, d.h. um die Einsetzungs- und Kontrollmechanismen, das Verhältnis zu den dem Hof direkt zugeordneten Ländereien und um die Einordnung der jagirdars in die Hierarchie des Mogulreiches. Der nun folgende Teil ist recht informativ, denn der Verf. fasst hier sein Datenmaterial zu den von ihm identifizierten jagirs und ihren jagirdars in zwölf Tabellen, die nach einzelnen Provinzen geordnet sind, zusammen (110-194). Seinen Berechnungen zufolge erhielten afghanische und iranische Gruppen 67,63 Prozent aller jagirs. Nicht unerheblich war aber auch der Anteil indisch-einheimischer Notabeln. Ganz interessant ist der Gegenstand des sich anschließenden Kapitels. Im Vordergrund stehen zwei für das informelle Machtgefüge zentrale Praktiken: die Überreichung von Geschenken an den Herrscher und die Verteilung von Ehrentiteln und Präsenten durch den Machthaber. Geben und Nehmen ohne schriftlich fixierte Regeln bildete den Kern der Machtbeziehungen zwischen dem Padishah einerseits und den "Untertanen" andererseits. Auch hier bekommt der Leser die Ergebnisse in nützlicher Tabellenform präsentiert. (Table 4.1: Presents offered to Akbar, 233-247 bzw. Table 4.2: Akbar's Honorific Investiture, AD 1556-1605, 248-264). In einer Schlussbetrachtung fasst der Autor zusammen: "During his half a century long reign from 1556 to 1605, Akbar's repeated victories enabled him to build a multiregional empire on the territories of defeated kingdoms. He and his advisers devised innovative and durable centralized institutions. The establishment of a firm system of governance required the efficient management of land revenue and its effective utilization under different heads." (274)
Viele der in dieser Studie zusammengetragenen Details sind sicherlich sehr hilfreich, doch steht die gesamte Arbeit, wie gesagt, in der Nachfolge einer Forschungsrichtung, die von einem hochgradig zentralisierten Staat ausgeht, in dem die herrscherliche Administration selbst die entferntesten Teile des Reiches durchdringt und kontrolliert. Gegen eine solche Vorstellung sind viele Argumente vorgebracht worden. Darüber hinaus baut die Untersuchung weitgehend auf den Angaben auf, die wir in den von Abu l-Fazl Allami verfassten "Akbar-nama" und "A'in-i Akbari" finden. Doch kann man Abu l-Fazl wirklich trauen? Ist es nicht eher ein Idealtyp von Reich und Machthaber, den er in seinen Werken beschreibt? Dienen beide Chroniken nicht allein der Herrschaftslegitimation? Muss man nicht sehr vorsichtig sein, wenn es um konkrete Zahlenangaben geht? Ist es nicht extrem problematisch, Geschichtswerke als Steinbrüche für Informationen über eine zu rekonstruierende Wirklichkeit zu benutzen? Und noch etwas: Es gibt viele Anzeichen, dass ein jagir nur zu rein fiskalischen Zwecken vergeben wurde, d.h. ein mansabdar sollte nur seine Einkünfte aus dem jagir ziehen können, er hatte sonst keine Rechte über dieses Land. Alle Einnahmen über sein festgesetztes Einkommen hinaus flossen in den Haushalt der jeweiligen Provinz oder des jeweiligen Distriktes. Das Land unterlag einer ständigen Kontrolle, Berichte wurden regelmäßig an die zentralen Diwane geschickt.
Balkrishan Shivram: Jagirdars in the Mughal Empire during the Reign of Akbar, New Delhi: Manohar 2008, 323 S., ISBN 978-81-7304-766-4
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