Wer sich einen fundierten Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Außenpolitik des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle verschaffen will, ist mit diesem Sammelband aus der Reihe der Harvard Cold War Studies bestens bedient: Hier wird in kurzen und gut strukturierten Beiträgen zusammengetragen, was in den letzten ungefähr zehn Jahren an neueren Forschungen zum Thema geleistet wurde.
Dabei verwundert es nicht, dass die französische Außenpolitik der Ära de Gaulle von außen betrachtet wird: Die französischen Quellen wurden, soweit zugänglich, bereits früher ausgewertet. Die Vielfalt der ausländischen Quellen wiederum entzieht sich in ihrer Gesamtheit einem monographischen Zugriff. Eine Zusammenschau verschiedener bilateraler Studien fehlte bislang. Insofern hat dieser Band einen beachtlichen Mehrwert, ohne dass jeder Einzelbeitrag für Experten spektakulär Neues zu bieten hätte.
Der Band beschreibt den Außenpolitiker de Gaulle als einen Mann mit einen Grand Design, das dazu dienen sollte, Frankreich als Großmacht auf die Bühne der Weltpolitik zurückzuführen und den Kalten Krieg zu überwinden (Garret Martin). Der Schaffung eines europäischen Europas unter französischer Führung kam dabei eine zentrale Bedeutung zu.
Die außenpolitische Bilanz der Ära de Gaulle fällt gemischt aus: In Lateinamerika (dazu der Beitrag von Joaquin Fermandois), Subsahara-Afrika (Guia Migani: De Gaulle and Sub-Saharan Africa: From Decolonization to French Development Policy, 1958-1963) und Asien (Yuko Torikata: The U.S. Escalation in Vietnam and de Gaulle's Secret Search for Peace,1964-1966; Qiang Zhai: Seeking a Multipolar World: China and de Gaulle's France) gelang es de Gaulle, Achtung zu erringen. Im Verhältnis zu den angelsächsischen Mächten (Carolyne Davidson über de Gaulles spannungsreiche Beziehung zu den USA und James Ellison über das Verhältnis zu Großbritannien und die "Anglo-French Rivalry, 1963-1967"), zur Bundesrepublik Deutschland (Carine Germond: A "Cordial Potentiality?" De Gaulle and the Franco-German Partnership, 1963-1969), in der NATO (Anna Locher und Christian Nuenlist: NATO Strategies toward de Gaulle's France, 1958-1966: Learning to Cope) und gegenüber der Sowjetunion (Marie-Pierre Rey: De Gaulle, French Diplomacy , and Franco-Soviet Relations as Seen from Moscow) reiften die Pläne de Gaulles jedoch allenfalls ansatzweise. Mitte der sechziger Jahre brauchte Frankreich Europa (die europäischen Gemeinschaften) ebenso wie Europa Frankreich, so dass die Drohung de Gaulles mit einem Austritt Frankreichs bei den Partnern immer weniger verfing - der demonstrativen Politik des leeren Stuhls 1965/66 zum Trotz, die Piers Ludlow instruktiv neu beleuchtet. Darüber hinaus kann nachgewiesen werden, dass die Weisungen an die französischen Unterhändler in Brüssel wesentlich pragmatischer ausfielen, als es die harsche gemeinschaftskritische Rhetorik de Gaulles erwarten ließ. Die schnelle und entschiedene Reaktion der NATO auf den Rückzug Frankreichs aus den integrierten militärischen Strukturen im März 1966 besiegelte mit Blick auf den Westen, die Niederschlagung des Prager Frühlings durch den Warschauer Pakt im August 1968 mit Blick auf den Osten das Scheitern des de Gaulle'schen Grand Design. Gleichwohl vermochte de Gaulle der späteren Entspannungspolitik ein Stück weit den Weg zu ebnen. Die Ausrichtung der französischen Außenpolitik auf Eigenständigkeit bei globalem Handlungsanspruch wirkt bis heute nach.
Zu bedauern ist, dass einige Beiträge zu schlaglichtartig ausgerichtet sind. So fokussiert Joaquin Fermandois Studie auf die Lateinamerikareise de Gaulles 1964 und dabei insbesondere auf Chile. Der Beitrag zu Subsahara-Afrika deckt nur die Jahre 1958 bis 1963 ab. Genau diese Zeit, die Ära Adenauer mit historischen Meilensteinen wie der zweiten Berlinkrise 1958 - 1963 und dem Elysée-Vertrag, bleibt dagegen im Deutschland-Beitrag leider ausgespart - vermutlich, weil diese Schlüsselphase der deutsch-französischen Annäherung historisch schon recht gründlich untersucht worden ist.[1] Diese Kritik trifft jedoch nicht die Autoren der genannten Beiträge, die sich an die Zeiträume gehalten haben, die ihre zugrunde liegenden Forschungsarbeiten abdecken. Vielmehr wäre zu wünschen gewesen, die Herausgeber hätten noch akribischer nach weiteren Autoren gesucht, um Lücken zu schließen. Auch ein näheres Eingehen auf die Quellenlage hätte dem Band gut angestanden.
Trotz dieser Monita ist dem insgesamt sehr gelungenen Band eine weite Verbreitung zu wünschen.
Anmerkung:
[1] Vgl. dazu grundlegend Ulrich Lappenküper: Die deutsch-französischen Beziehungen 1949 - 1963. Von der "Erbfeindschaft" zur "Entente élémentaire", München 2001.
Christian Nuenlist / Anna Locher / Garret Martin (eds.): Globalizing de Gaulle. International Perspectives on French Foreign Policies, 1958-1969 (= The Harvard Cold War Studies Book Series), Lanham, MD: Lexington Books 2010, VIII + 320 S., ISBN 978-0-7391-4248-6, USD 83,99
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