Was ist ein Gegenpapst? Die Antwort auf die Frage ist wahlweise sehr einfach - der falsche halt - oder sehr schwierig. Denn zum Gegenpapst wird man ja nicht gewählt, Gegenpapst wird man, durch die Umstände, in der Rezeption, in der herrschenden Meinung. Die Kunst besteht darin, nicht "anti" zu sein - und es zu bleiben. Harald Müller und Brigitte Hotz haben diese Kunst im Rahmen eines DFG-Projekts zu den Gegenpäpsten des Mittelalters untersucht. Bei einer Tagung, auf welche die Beiträge des anzuzeigenden Bandes zurückgehen, wurden die mittelalterlichen Papstschismen unter Verzicht auf die in der älteren Forschung gern geübte Zuweisung von Legitimität als "Störfälle, als Herausforderungen für das mittelalterliche Papsttum als Institution - gleichsam als Prüfsteine universaler Autorität" (11) diskutiert.
In seinem programmatischen Einleitungsbeitrag leistet Harald Müller eine Problematisierung des nur scheinbar eindeutigen Begriffs "Gegenpapst". Er geht seiner Geschichte seit dem Frühmittelalter nach und widmet sich zunächst dem vornehmlich auf rechtlichem Feld ausgefochtenen "Kampf um Rom" (34), der schon aus kirchenrechtlichen Gründen - Stichwort: prima sedes a nemine judicatur - in eine Aporie führte, aus der erst der Konziliarismus herausführen sollte. Doch ist neben der juristischen auch die publizistische Ebene zu berücksichtigen, die in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung oftmals das Stigma "Gegenpapst" endgültig zuwies. Der Beitrag dient zugleich geradezu als Bibliographie zum Thema, auch wenn der Schwerpunkt der Ausführungen auf dem Hochmittelalter und der Zeit des Basler Konzils liegt. Das Große Abendländische Schisma, sicher die größte Herausforderung für die römische Kirche als Institution, tritt dagegen zurück. Dies ist jedoch in sofern verzeihlich, als von den 14 Beiträgen fünf diese nicht nur ekklesiologisch zentrale Epoche der Kirchengeschichte behandeln.
Der Beitrag von Klaus Herbers befasst sich mit Gegenpäpsten im kirchenhistorisch turbulenten Frühmittelalter. Über seinen Ausführungen steht die Frage, inwiefern die Ereignisse in Rom vor der Jahrtausendwende angesichts der nur schwachen Institutionalisierung des Papsttums überhaupt unter das Tagungsthema "universale Autorität" subsumierbar sind.
Einen ersten Schwerpunkt bilden dann drei Beiträge zum Reformpapsttum, welche auch die verschiedenen Möglichkeiten der Annäherung an das Thema aufzeigen. Rudolf Schieffer wählt einen ereignisgeschichtlichen Zugang auf die Konkurrenzsituation zwischen dem sich aus seiner kaiserlichen Bevormundung langsam emanzipierenden Reformpapsttum und seinen vornehmlich stadtrömisch-adeligen Gegnern. Dass die Reformpäpste schließlich siegreich blieben, liegt Schieffer zufolge nicht zuletzt an der wachsenden Institutionalisierung und Verrechtlichung der Kirche, welche die Wahl des Pontifex dem Kardinalskollegium anvertraute und damit der direkten Beeinflussung durch weltliche Mächte entzog. Nicolangelo d'Acunto widmet sich der zentralen Frage nach der Bedeutung eines als unrechtmäßig wahrgenommenen Papats für die Überlieferungssituation in den Archiven. Anhand zahlreicher Einzelstudien aus dem oberitalienischen Raum kann er darlegen, dass durch Archivsäuberungen die Erinnerung an jegliche Kooperation mit dem "falschen" Papst eliminiert werden sollte. D'Acunto verweist auf das Motiv der damnatio memoriae als Mittel der Unsichtbarmachung, welche auch in den Ausführungen von Kai-Michael Sprenger im Zentrum steht. Sprenger diskutiert die Exhumierung und Vernichtung der Leiche Wiberts von Ravenna (Clemens (III.)) im Tiber in einem kulturgeschichtlichen Ansatz als "gezielte rituelle und kommunikative Handlungen", durch die "eine alte Erinnerung überschrieben und eine neue konstituiert werden sollte" (125). In dieser Interpretation der Ereignisse kommt er zu Ergebnissen, welche die übergreifenden und programmatischen Ausführungen Gerald Schwedlers zur damnatio memoriae bei Gegenpäpsten durch den Zugriff auf den Einzelfall ergänzen und vertiefen. Auch Schwedler sieht die Praxis im Kontext einer "zielgerichteten Politik mit Negativerinnerung" (228) als einen Akt des "intentionalen Vergessenmachens", die damit lohnt, in ihrer Eigenschaft als historische Praktik wie als Narrativ untersucht zu werden.
Mit Andreas Rehbergs Beitrag zur umstrittenen Wahl Urbans VI. beginnt die Reihe der Aufsätze, die sich dem Großen Abendländischen Schisma widmen und die den Band für die Erforschung dieser Epoche unverzichtbar machen. Anhand der Zeugenaussagen zur Wahl Urbans VI. zeigt er auf, wie Gegenpäpste in der Rezeption der Zeitgenossen und Geschichtsschreiber ex post "gemacht" (232) werden können. Bei der Wahl dieses Papstes deutete bekanntlich nichts darauf hin, dass sie der Auftakt zum längsten Schisma der Geschichte werden sollte. Hélène Millet zeigt am Beispiel des Historiographen Telesphorus von Cosenza Strategien der zeitgenössischen Geschichtsschreibung auf, aus der Vergangenheit narrative Muster zur Einordnung und Bewältigung des aktuellen Schismas zu beziehen. Arnaud Jamme ergänzt diese Perspektive durch den Blick auf die kommunikativen Methoden der beiden Obödienzen, mit denen sie ihren Anspruch auf die Führung der Christenheit durchzusetzen trachteten. Óscar Villaroel Gonzõlez untersucht am Beispiel des Königreichs Kastilien die Kommunikation und den diplomatischen Verkehr mit den konkurrierenden Päpsten. Patrick Zutshi kommt bei seinem Vergleich der Kanzleitätigkeit von Urban VI. und Klemens VII. zu dem auf alle Beiträge zu diesem Thema anwendbaren Schluss, dass die Bezeichnung "anti-pope [...] does not seem to be helpful to a historical understanding of the Great Schism" (304), da man es wegen der Teilung der Christenheit in zwei Obödienzen mit rechtlich und politisch gleichwertigen Konkurrenten zu tun habe. Ebenfalls in den Kontext der Obödienzgewinnung und -erhaltung zählen die Heiligsprechungen, die Otfried Kraft für die Schismen des 12. Jahrhunderts, besonders aber für die auch an Kanonisationsverfahren reiche Epoche des Abendländischen Schismas untersucht.
Der Beitrag von Ursula Giessmann befasst sich mit Felix V., der als Fürst von Savoyen und Laie durch das Basler Konzil zum Papst erhoben wurde, doch nach immerhin zehn Jahren seinen Anspruch endgültig aufgeben musste und nach seiner renuntiatio als Kardinal in die nun wieder vereinte Kirche integriert werden konnte. Ihr Beitrag schließt mit Gedanken zur Territorialität des neuzeitlichen, an Rom und den Kirchenstaat gebundenen Papsttums, das sich bereits in der Wahl des Herzogs von Savoyen zum Konzilspapst mit eigener territorialer Basis angekündigt hätte.
Die prägnante Zusammenfassung durch Heribert Müller gibt einen Eindruck von der Tagungsgestalt, indem sie auch die leider nicht im Band vertretenen Beiträge erwähnt. Sie schließt mit dem Wunsch, dass weiteres zum Thema Gegenpäpste folgen sollte (420). Diesem Wunsch kann man sich nur anschließen. Weiteres sollte folgen, sowohl was die Publikation der noch fehlenden Referate betrifft, wie auch die Forschungen zur Geschichte der Gegenpäpste. Dass die Förderung dieses fruchtbaren Projektes eingestellt worden ist, kann deshalb nicht genug bedauert werden.
Der Band wird durch Zusammenfassungen der Beiträge ergänzt und durch ein Verzeichnis der im Band vorkommenden Päpste sowie eines der Orte und Personen abgeschlossen. Seinen Anspruch, dem Phänomen Gegenpapst wertfrei zu begegnen, dokumentiert auch das Register, indem es jeden Prätendenten als Papst bezeichnet und auf eingeklammerte Ordnungszahlen verzichtet. So ist Pedro de Luna einfach Papst Benedikt XIII., was diesen vermutlich mit Genugtuung erfüllt hätte.
Harald Müller / Brigitte Hotz (Hgg.): Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen (= Papsttum im mittelalterlichen Europa; Bd. 1), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012, 464 S., 4 Farbabb., ISBN 978-3-412-20953-7, EUR 69,90
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