Die Kreuzzugschronik des Robertus Monachus gehört zu den populärsten historiographischen Texten des Mittelalters, was zahlreiche Handschriften, Frühdrucke, poetische Bearbeitungen und volkssprachliche Übersetzungen belegen. Die bisher einzige Edition des Textes aus dem Jahr 1866 legt nahe, dass dafür neben der vergleichsweise einfachen Sprache auch die Einteilung in leicht fassbare, kurze Kapitel verantwortlich war. Ein Blick in die früheste handschriftliche Überlieferung relativiert jedoch diese Einschätzung deutlich - und das ist nicht der einzige Erkenntnisgewinn, den die neue Ausgabe liefert.
Ein Problem stellt seit je her die Frage nach dem Verfasser der Chronik dar, der im Vorwort nur angibt, ein Mönch namens Robert in einem Kloster in Reims gewesen zu sein. Die mögliche Identifikation mit einem in verschiedene Konflikte verstrickten, ehemaligen Abt des Klosters von Saint-Rémi wird unter sorgfältiger Abwägung aller bekannten Zeugnisse ausführlich erörtert, wobei auch bislang weniger beachtete, regionalgeschichtliche Aspekte zur Sprache kommen (xvii-xxxiv). Ebenfalls viel diskutiert ist seit langem die Frage nach der Identität des in einigen Handschriften als Auftraggeber genannten Abts "B.", hinter dem die Editoren am ehesten den hoch gebildeten Literaten Baudri de Bourgueil vermuten. Er trat in den erwähnten Konflikten als Unterstützer Roberts auf, während andere Äbte, deren Namen mit einem "B." beginnen, auf Seiten der Gegner agierten und folglich weniger in Frage kommen dürften. Weiteren Aufschluss über die Beziehungen zwischen Robert und Baudri dürfte die angekündigte Neuedition von dessen eigener Kreuzzugschronik liefern, von der bereits zahlreiche neue Handschriften bekannt gemacht werden (ix Anm. 6).
Auch die bisher überwiegend akzeptierte Datierung der Chronik auf die Jahre 1106/7 wird von den Editoren kritisch hinterfragt (xxxiv-xli). Plausibel wird nachgewiesen, dass Roberts Chronik nicht als Vorlage für den so genannten "Magdeburger Aufruf" von 1108 diente, womit ein Anhaltspunkt für den Terminus ante quem hinfällig ist. Ob sich allerdings aus der Charakterisierung Hugos des Großen als Bruder des französischen Königs Philipp, "der zu dieser Zeit Frankreich seiner Herrschaft unterwarf" (Hugo Magnus, frater Philippi, regis Francorum, qui ipso tempore Franciam suo subiugabat imperio) gleich ein neuer Terminus post quem ableiten lässt, nämlich nach dem Ende der Herrschaft Philipps I. im Jahr 1108? Interessante Perspektiven würden sich daraus durchaus ergeben: Einige Äußerungen ließen sich dann als Seitenhiebe gegen Guibert de Nogent interpretieren, einen weiteren Geschichtsschreiber, dessen Kreuzzugschronik spätestens 1109 fertig gestellt war. Roberts Historia, die eine Beteiligung der Königsfamilie am Kreuzzug konstruiert, könnte zudem einen Versuch des Klerus von Reims darstellen, um Sympathien bei Philipps Nachfolger zu werben, der Orléans als Krönungsort vorgezogen hatte. Doch all das basiert auf der zwar plausiblen, aber nicht ganz zwingenden Neudatierung des Texts auf das Jahr 1110.
Wann immer die Chronik verfasst wurde - ihre handschriftliche Überlieferung setzt erst deutlich später ein, nämlich um die Mitte des 12. Jahrhunderts. Die Ausführungen zu den erhaltenen Manuskripten enthalten viele wichtige und neue Beobachtungen, die über den älteren Forschungsstand weit hinausgehen (xlii-xlvii). Zunächst ging die Verbreitung wohl von Benediktinerklöstern in der Picardie und der Champagne aus, bald spielten aber die Skriptorien des Zisterzienserordens die entscheidende Rolle, gerade auch für die weitere Diffusion im deutschen Sprachraum. Die Annahme, Otto von Freising, der längere Zeit als Zisterziensermönch in Frankreich verbracht hatte und sich in späteren Jahren für den Kreuzzug engagierte, habe dabei eine wichtige Rolle gespielt, hat viel für sich. Die früheste Abschrift im Reich entstand um 1152 im Chorherrenstift Reichersberg in der Diözese Passau, in der Ottos Bruder als Bischof regierte. Aufschlussreiche Überlegungen finden sich auch zu dem Codex, den der Abt von Schäftlarn 1187/89 Kaiser Barbarossa widmete. Generell können die "Konjunkturphasen" der Verbreitung von Roberts Chronik schlüssig mit dem Interesse an der Kreuzzugsthematik begründet werden, das im Zusammenhang mit dem Zweiten und Dritten Kreuzzug stark zunahm, danach etwas zurückging und mit der Antitürkenpropaganda des 15. Jahrhunderts einen neuen Höhepunkt erreichte.
Philippe Le Bas, der die letzte Edition in der Reihe des Recueil des historiens des croisades (RHC) publizierte, stützte sich auf nur 22 (von mittlerweile 84 bekannten) Handschriften, darunter auch den Codex, der den besten Text enthält: Paris, Bibliothèque Nationale de France, Lat. 5129 (xlvii-l). Allerdings änderte er die Kapiteleinteilung und integrierte Marginalglossen, die versifizierte Inhaltszusammenfassungen einzelner Abschnitte boten, als Unterüberschriften in den Gesamttext. Hierin folgte Le Bas, ohne dies kenntlich zu machen, einer etwas später zu datierenden Gruppe von Handschriften deutscher Provenienz. Vor allem der Umgang mit den Marginalien, sowie die Einteilung und Länge der Kapitel unterscheidet die verschiedenen Überlieferungszweige, weniger der eigentliche Textbestand.
Angesichts der einheitlichen und sehr breiten Textüberlieferung entschieden sich die Editoren dafür, nicht eine kritische Edition mit überbordendem, aber inhaltlich wenig bedeutsamem Variantenapparat vorzulegen (l-lxiv). Stattdessen rekonstruieren sie eine frühe Überlieferungsgestalt der Chronik, ausgehend von dem erwähnten Pariser Codex. Die wenigen Irrtümer dieser Handschrift werden anhand einer Gruppe von Manuskripten nordfranzösischer Provenienz korrigiert, die in der Ausgabe des RHC noch keine Berücksichtigung fanden. Die weniger "häppchenartige" Kapiteleinteilung der frühesten Überlieferungsträger wurde übernommen und auf den Abdruck der Marginalien verzichtet, so dass die Kreuzzugschronik als kontinuierliche Erzählung erscheint, was der ursprünglichen Anlage des Texts wohl eher entspricht. Größere Authentizität als in der älteren Edition wird zudem dadurch erreicht, dass die Orthographie weitgehend übernommen wurde und Verse nicht typographisch herausgehoben, sondern in den Fließtext integriert werden.
Der Apparat zu dem gut einhundert Seiten umfassenden Text der Erzählung (3-110) enthält die erwähnten Korrekturen und weist, in größerem Umfang als in der Edition des RHC, wörtliche Bibelzitate nach. Zu Roberts Umgang mit klassischen und mittelalterlichen Textvorlagen äußern sich die Editoren ebenfalls in ihrem instruktiven Vorwort. Da aus diesem Bereich nur nach wörtlichen Zitaten gesucht wurde, gibt es hier kaum etwas nachzuweisen, die Beschäftigung mit eher indirekten Anspielungen bleibt weiteren Forschungsarbeiten vorbehalten.
Eine Liste der existierenden Handschriften, die neben den Signaturen noch Angaben zu Entstehungsort und -zeit der Manuskripte bietet (lxv-lxxiv), eine nützliche Auswahlbibliographie (111-115) und ein sorgfältig gearbeitetes Register (117-121) runden diese neue Ausgabe der Kreuzzugschronik des Robertus Monachus ab. Die Forschung wird auf diese, eine besonders frühe Stufe der Überlieferung rekonstruierende Edition gerne zurückgreifen und sicherlich auch die vielen anregenden Thesen diskutieren, die in der Einleitung entwickelt werden.
D. Kempf / M. G. Bull (eds.): The Historia Iherosolimitana of Robert the Monk, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2013, LXXIV + 121 S., ISBN 978-1-8438-3808-1, GBP 50,00
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