Der vorliegende von Johannes Haubold, Giovanni Lanfranchi, Robert Rollinger und John Steele herausgegebene Band mit dem Titel 'The World of Berossos' präsentiert die Ergebnisse eines gleichnamigen Durhamer Kolloquiums aus dem Sommer 2010. Das Buch liegt als nunmehr fünfter Band der Reihe Classica et Orientalia vor, deren Ziel die methodisch fundierte Neubetrachtung der klassischen Quellen zum Vorderen Orient darstellt.
Die fragmentarisch überlieferten Babyloniaca des griechisch schreibenden, aber aus Babylon stammenden Autors Berossos stellen mitnichten eine Hauptquelle der klassischen Altertumswissenschaften dar, was sicher nicht zuletzt am komplizierten und fragmentarischen Erhaltungszustand des Werkes liegt. Allerdings bilden die Babyloniaca, die seit kurzem in einer übersetzten und kurz kommentierten Neuedition [1] vorliegen, für Studien kultureller Hybridität eine besonders wertvolle Quelle. So überrascht es angesichts des allgemeinen Trends zur Erforschung des Wechselspiels zwischen der griechischen und den indigenen Kulturen der hellenistischen Welt nicht, dass sich auch Berossos in jüngerer Zeit steigender Beliebtheit erfreut. [2] Daher scheint es begrüßenswert, dass die Fachöffentlichkeit über den Expertenkreis hinaus nun für die Früchte und auch Fragen dieser jüngeren Debatten sensibilisiert wird.
Der Sammelband gliedert sich in fünf thematische Kapitel und wird von einer umfangreichen Bibliographie bis ins Jahr 2012 sowie einem knappen Sach- und Namensindex komplettiert. Eine Besprechung aller Aufsätze ist in gebotener Kürze kaum möglich, so dass im Folgenden nach Kapiteln geordnet die wichtigsten Thesen zusammengetragen werden.
Im ersten Kapitel Overview (3-28) liefern Haubold und de Breucker eine allgemeine Einführung in das Thema des Bandes. Während Haubold (3-14) die Probleme der Forschung konzise skizziert, Leitfragen aufwirft, immer wieder für einen theoriegeleiteten Zugang zu Berossos plädiert (5, 8) und eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Bandes liefert (8-11), referiert de Breucker (15-28) die Grundlagen über Berossos und sein Werk. Dabei fokussiert er neben der Darstellung der Lebensphasen des Autors und Problemen der Authentizität des Werkes auf die Frage, ob Berossos' Babyloniaca den Ansprüchen an griechische Historiographie genügen. Seines Erachtens habe Berossos eine Geschichte der babylonischen Frühzeit für Griechisch sprechende Leserschichten geschrieben und damit Inhalte der keilschriftlichen Texte für ein neues Publikum erschlossen (23-25).
Im zweiten Kapitel Reading the Babyloniaca (29-96) werden die drei Bücher der Babyloniaca en detail untersucht, wobei Buch 3 zweifach bearbeitet wird.
Haubold (31-45) bemängelt in seiner Ausarbeitung zu Buch 1 wiederholt die bisweilen geringe Orientierung an den Methoden des Fachs (33, 42-43). Darüber hinaus deutet er das erste Buch der Babyloniaca als Berossos' Meisterstück, das ihm gegenüber dem griechischen Publikum als Bewahrer orientalischer Weisheit Autorität verleihe (34-43).
Martin Lang (47-60) formuliert in seiner Analyse des zweiten Buches die These, das Buch fungiere als eine Art Verbindung zwischen mythischer Vorzeit und politisch orientierter Gegenwartsbeschreibung (48). Sein Bericht über das vor- und nachsintflutliche babylonische Königtum stelle ein Muster des Umgangs mit krisenhaften Momenten dar. Berossos selbst agiere in vergleichbarer Weise wie die von ihm beschriebenen Weisen, indem er nach einem vergleichbaren Modell babylonische Kultur in Zeiten des Umbruchs bewahre (54). Lang schließt mit einem in diesem Zusammenhang erwähnenswerten Appell - die Betrachtung der Babyloniaca sollte in interdisziplinärer Zusammenarbeit erfolgen, da nur so eine ausreichende Expertise erwartbar sei (55).
Das dritte Kapitel Society, Religion and Culture (97-162) dient der Betrachtung einzelner Aspekte der Babyloniaca. John Steele (99-113) wertet unter Rückbezug auf Keilschrifttexte die astronomischen Fragmente der Babyloniaca als mit allgemeinen mesopotamischen kosmologischen Traditionen konform; er betont, dass Berossos diese und eben nicht die zeitgenössischen astronomischen Lehren wiedergebe. Die astronomischen Diskurse hätten vor Entwicklung einer eigenen derartigen Disziplin in Griechenland kein Publikum gehabt (108-109). Von späteren Autoren seien Berossos' Darstellungen ob seiner herkunftsbedingten Reputation als astronomischem Experten vor allem als fehlerhafte Kontrastfolie zu eigenen Theoremen verwendet worden (110-111). Der Beitrag liefert eine interessante Lösung für ein langdiskutiertes Problem, nämlich die Authentizität der astronomischen Fragmente des Berossos (BNJ 680 F 15-22) [3], indem der Fokus von der Feststellung einer mangelnden Übereinstimmung zwischen den Berossosfragmenten und den keilschriftlichen astronomischen Zeugnissen seiner Zeit hin zur Frage nach anderen Schnittmengen zwischen den Babyloniaca und im weitestem Sinne astronomisch/astrologischen Inhalten gelenkt wird.
Bruno Jacobs (123- 135) wendet sich den drei Fragmenten mit Bezug zur iranischen Religion zu. Er stellt fest, dass die Fragmente nur wenig verwertbare Informationen liefern und daher nicht überbewertet werden dürfen (130). Im Speziellen entkräftet er dabei die Verwertbarkeit des Berossosfragments BNJ 680 F 11 zur Begründung einer mit Artaxerxes II. beginnenden Idolatrie unter den Persern.
Das vierte Kapitel Literary Contexts (163-232) wendet sich der Einordnung der Babyloniaca in die Schrifttradition des Orients und Griechenlands zu. Stellvertretend soll an dieser Stelle der Beitrag von Stephanie Dalley erwähnt sein. Sie stellt überzeugend dar, dass die eine Keilschrifttradition, mit der man Berossos zwecks Authentizitätsbestimmung konfrontieren könnte, nicht vorhanden war. Vielmehr, betont die Autorin, habe es gewisse Varianzen gegeben, die auch in Berossos' Werk reflektiert werden (166-170, 173).
Zuletzt bleibt das abschließende Kapitel Transmission, Reception, Reconstruction (233-308) zu nennen. In drei Schritten wird die Auseinandersetzung mit den Babyloniaca für die Antike durch Francesca Schironi (235-254) und Irene Madreiter (255-275), die frühe Neuzeit durch Walter Stephens (277-289) und für die wissenschaftliche Diskussion durch Kai Ruffing (291-308) zusammengetragen. Während die ersten drei Aufsätze relevante Informationen für die Kontruktion eines Berossoskorpus verwerten, wird im vierten Beitrag der Forschungsstand noch einmal reflektiert. Das Kapitel bildet somit eine ausgezeichnete Grundlage für weitere Studien, da es in bequemer Weise Informationen zu Tradierung und Erforschung der Babyloniaca Berossos' liefert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der vorliegende Sammelband in vorbildlicher Weise den Forschungsstand zu Berossos' Babyloniaca wiederspiegelt. Statt einer vereinheitlichen Darstellung werden - dem Charakter eines Kolloquiumsbandes entsprechend - aktuelle Diskurse aufgenommen und unterschiedliche Positionen deutlich gemacht, auch verschiedene Disziplinen kommen zu Wort.
Das Niveau der Beiträge ist dabei nicht immer vergleichbar, da neben innovativen Thesen durchaus auch lediglich darstellende und den Forschungsstand reflektierende Aufsätze vorhanden sind. Die große Stärke des Bandes liegt aber gerade in der Bündelung und Erfassung der verfügbaren Literatur zu Kernthemen der Berossosforschung, so dass auch die zusammentragenden Beiträge eine wünschenswerte Grundlage für weitere Studien bereitstellen.
Formal ist der Band gut redigiert, Tipp- oder Satzfehler liegen nur in vernachlässigbarer Menge vor, was die Lesbarkeit der Artikel fördert. Auch die Publikation aller Beiträge auf Englisch wird sich sicher positiv auf Zugänglichkeit und Verwendung des Sammelbandes auswirken. Wünschenswert wäre allerdings ein Abgleich der Literaturlisten der einzelnen Beiträge mit der allgemeinen Bibliographie gewesen, um divergierende Zitierweisen derselben Werke zu vermeiden.
Schließlich bleibt festzuhalten, dass der vorliegende Tagungsband der Zielsetzung der Reihe Classica et Orientalia entsprechend durchaus einen neunen Zugang zu Berossos' Werk für die breitere Fachöffentlichkeit erschafft.
Anmerkungen:
[1] Geert de Breucker: Berossos of Babylon, BNJ 680.
[2] Vgl. etwa Paul-Alain Beaulieu: Berossos on Late Babylonian History, in: Special Issue of Oriental Studies 2006, Peking 2007, 45-73; Geert de Breucker: Berossos and the Construction of a Near Eastern Cultural History in Response to the Greeks, in: Construction of Greek Past: Identity and Historical Consciousness from Antiquity to the Present, ed. by Hero Hokwerda, Groningen 2003, 25-34; John Dillery: Clio's Other Sons: Berossos and Manetho, in: Companion to Greek and Roman Historiography, ed. by John Marincola, Oxford 2007, 221-230; Robert Rollinger: Assur, Assyrien und die klassische Überlieferung: Nachwirken, Deutungsmuster und historische Reflexion, in: Assur - Gott, Stadt und Land (CDOG 5), hg. von. Johannes Renger, Wiesbaden, 2011, 311-345; Bert van der Spek: Berossos as a Babylonian Chronicler and a Greek Historian, in: Studies in Ancient Near Eastern World View and Society Presented to Marten Stol on the Occasion of his 65th Birthday, ed. by Bert van der Spek, Berthesda 2008, 277-318.
[3] Die Debatte kann im instruktiven Aufsatz von Amelie Kuhrt: Berossos' Babyloniaka and Seleukid Rule in Babylonia, in: Hellenism in the East. The Interaction of Greek and Non-Greek Civilisations from Syria to Central Asia after Alexander, hg. von Susan Sherwin-White und Amelie Kuhrt, London 1987, 32-56 nachvollzogen werden; vgl. ferner den Kommentar von de Breucker zu BNJ 680 F 15-22 mit aktuellerer Literatur.
Johannes Haubold / Giovanni B. Lanfranchi / Robert Rollinger et al. (eds.): The World of Berossos. Proceedings of the 4th International Colloquium on »The Ancient Near East between Classical and Ancient Oriental Traditions«, Hatfield College, Durham 7th-9th July 2010 (= Classica et Orientalia; Bd. 5), Wiesbaden: Harrassowitz 2013, IX + 332 S., ISBN 978-3-447-06728-7, EUR 58,00
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