Der Band geht aus der 19. Zweijahrestagung der Konferenz für Geschichtsdidaktik hervor, die im Jahre 2013 an der Universität Augsburg stattfand. Bereits länger haben geschichtsdidaktische Werke Konjunktur, die sich Fragen des "guten Geschichtsunterrichts" respektive dessen Professionalisierung widmen. Mit Schwerpunkt meist auf empirischer Unterrichtsevaluation sind diese mehr oder weniger eng an föderalen Lehrplanvorgaben orientiert und so auch von unterschiedlichem exemplarischen Gewicht. Im vorliegenden Band hingegen kann der geneigte Leser die Unterrichtssituation des eigenen Bundeslandes durchaus wiederfinden. Auch ist hier ein Manko bisheriger Kompetenzdiskurse, eine gewisse Praxisferne mancher Beiträge, wohltuend kompensiert. Dies gilt für nationale wie internationale Beiträge, die Gemeinsamkeiten wie Unterschiede im europäischen Unterrichten anschaulich beleuchten. Zwangsläufig stößt eine Rezension aber an ihre Grenzen, wenn sie die Summe von 26 Einzelbeiträgen jeweils adäquat würdigen wollte. Die nachfolgende Besprechung ist daher exemplarisch angelegt.
Der Band gliedert sich, nach einleitenden Beiträgen zu aktuellen Rahmenbedingungen (Selbstverständnis und Aufgaben heutiger Geschichtsdidaktik, Elemente von Professionalisierung, Empirie in der Lehrerbildung, 9-55) in fünf Sektionen mit annähernd gleich vielen Beiträgen (57-414). Die Titel: Was ist ein guter Geschichtslehrer / eine gute Geschichtslehrerin? (57-130), Zur Sozialisation von Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrern (131-200), Strukturen der Geschichtslehrerausbildung nach Bologna (201-266), Vermittlungsformen in der universitären Geschichtslehrerbildung (267-342) und Geschichtslehrerausbildung nach Bologna - europäische Einblicke (343-414). Zahlreiche aktuelle Fragestellungen seitens bekannter Vertreterinnen und Vertreter der Zunft sind darin abgebildet. Indes kann die Fülle der Beiträge nicht verbergen, dass sich Einzelnes durchaus ähnelt, ohne dass irgendwo eine echte Abstraktion sichtbar würde: "Professionalisierung von Lehrkräften" im Fach Geschichte ist demnach die Addition einer Vielzahl von Kriterien, die je nach Perspektive zu beachten sind. Ein schlüssiger Gesamteindruck bietet sich dem Leser erst dann, wenn er alle Beiträge konzentriert gelesen, systematisch zusammengeführt und hieraus das "Gute" bzw. "Professionelle" gefiltert hat. Zumindest hätte man sich doch eine Art Fazit gewünscht, das die anfangs aufgeworfenen Fragestellungen entsprechend komprimiert hätte. So kann vieles, was grundsätzlich relevant ist, erst in additiver Kleinarbeit erschlossen werden.
Die drei einleitenden Beiträge skizzieren die wichtigsten "Baustellen": Susanne Popp formuliert den Hintergrund für Aktualität wie Legitimität des Tagungsthemas: "Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Aus- und Fortbildung von Geschichtslehrkräften hat infolge der PISA-Studien, der Entwicklung von Standard- und Kompetenzmodellen, der Einführung neuer Steuerungsparameter für das Bildungswesen und vor allem auch aufgrund der Bologna-Reformen neue Bedeutung für die Disziplin der Didaktik der Geschichte gewonnen" (9). Dies umso mehr, als der in der Öffentlichkeit beliebten Wahrnehmung der Fachdidaktik(en) als bloßem "'Anhängsel' der Fachdisziplinen oder der Erziehungswissenschaften" eben mit Tagungsthemen wie diesem begegnet werden müsse (18). Michael Sauer hinterfragt das traditionelle wie aktuelle Verständnis von "Praxis" wie "Berufsorientierung" in den Ausbildungsphasen. Zu Recht fordert er flankierende Maßnahmen für "den Prozess der Routinisierung und Habitualisierung" und plädiert für die Notwendigkeit einer "differenziertere[n] Beschreibung der Zielkompetenzen von Lehrerbildung" im Zeitalter modularisierter Studiengänge (25). Sein Wunsch nach einer standardisierten, nicht mit "Verschulung" zu verwechselnden "Anlage der Lehre, die stärker auf Breite und Einführung setzt - womit keineswegs ein Verzicht auf Theorie und Methodologie gemeint ist" (26) trifft absolut ins Schwarze. Damit einher geht die Frage des künftigen Verhältnisses von Fachwissenschaft und Fachdidaktik im Rahmen der berufsfeldorientierten Anteile eines Lehramtsstudiums. Hinsichtlich der Kompetenzen einer Geschichtslehrkraft wird für mehr Trennschärfe in der Analyse plädiert, wobei man sich unwillkürlich an Edmund Stoibers legendäre "Kompetenzkompetenz" erinnert fühlt (27-35). Eher allgemein merkt Sauer an, "dass die Beschreibung von Geschichtslehrerkompetenzen über die jeweiligen Verwendungszwecke vor Ort hinaus noch nicht genügend Aufmerksamkeit gefunden hat" (35). Auch abschließende Bemerkungen zu empirischen Forschungen in der Zunft sind (vor allem hinsichtlich der bekannten Theorie-Praxis-Kluft) eher pessimistisch und verweisen auf künftige Desiderate, etwa die "verstärkte Abstimmung und Kooperation zwischen den beiden Ausbildungsphasen" (38). Ewald Terhart schließlich untermauert diese Skepsis mit Einblicken in Genese und aktuelle Vorschläge empirischer Bildungsforschung, allerdings ohne echten Bezug zum Fach Geschichte.
Der große "Rest" der einzelnen Sektionsbeiträge sei aus genannten Gründen nicht erschöpfend skizziert: Die Beiträge sind meist verständlich geschrieben, in der Sache aktuell und innerhalb des jeweils Diskutierten weitgehend schlüssig. Sie thematisieren das Postulat der "Professionalisierung" auf unterschiedlichen Ebenen und erläutern an eigenen Beispielen alte wie neue Schlagworte des geschichtsdidaktischen Diskurses, etwa (in Auszügen): verantwortliche Geschichtserziehung (van der Leuw-Roord), diversity (Barricelli/Lücke), Problemorientierung samt forschend-entdeckendem Lernen (Henke-Bockschatz/Mehr), Arbeitsunterricht (Filser) (jeweils zu Sektion 1); bildungspolitischer Handlungsdruck und berufsbezogene fachspezifische Sozialisation (Demantowsky), learning outcomes der Lehrerbildung im Fach Geschichte (Seidenfuß/Kanert), curriculare Kompetenz in den Ausbildungsphasen (Sandkühler), Prägung des Geschichtsverständnisses durch Lehrpersonen (Sperisen/Schär) (jeweils zu Sektion 2); Durchlässigkeit vs. verschulende Steuerung im Bologna-Prozess (Kenkmann), Vernetzung der Phasen und Institutionen der Lehrerbildung auf Basis von Kompetenzgraduierung (Hensel-Grobe), bilingualer Geschichtsunterricht und narrative Kompetenz als Brücke zwischen Sach- und Sprachfach (Pflüger), Bologna und Eigenevaluation (Danker) (jeweils zu Sektion 3).
Halten wir hier bewusst inne, denn generell gilt (auch für die beiden weiteren Sektionen): All dies weist den richtigen Weg und liefert interessante Module, muss in der Zukunft aber deutlich gebündelt, vernetzt und abstrahiert werden.
Für den Moment indes gilt, grob gesprochen, Michael Sauers generelles Diktum: "Alles in allem stellt sich die Geschichtslehrerausbildung als ein Problemfeld mit erheblichem Forschungs-, Diskussions- und Handlungsbedarf dar" (38). Oder Alfons Kenkmann: "Die Aufgabe der Zukunft wird es sein, problembewusst und reflektiert auf die Kompetenzvorgaben zu reagieren" (205). Die Beiträge dieses Bandes gehen - jeder in seinem Segment - dabei einen weiteren Schritt, um dem Ziel einer "professionalisierten" Ausbildung von Geschichtslehrkräften im Einzelnen näher zu kommen. Insofern ist der Band, in nationaler wie internationaler Perspektive, ein wichtiges Produkt des geschichtsdidaktischen Diskurses der Gegenwart sowie letztlich auch ein Plädoyer für selbstbewussteres Auftreten der Zunft im bekannten Spannungsfeld der Wissenschaften.
Susanne Popp / Michael Sauer / Ettina Alavi u.a. (Hgg.): Zur Professionalisierung von Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrern. Nationale und internationale Perspektiven (= Beihefte zur Zeitschrift für Geschichtsdidaktik; Bd. 5), Göttingen: V&R unipress 2013, 416 S., 24 s/w-Abb., ISBN 978-3-8471-0087-4, EUR 54,99
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