Im Jahre 2008 beauftragte das brandenburgische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur den Berliner Forschungsverbund SED-Staat, die Geschichte der Haftanstalt Cottbus zu untersuchen. Dieses wichtige Gefängnis für politische Häftlinge in der DDR war bis dahin wenig beachtet worden. Von der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert wurden der Forschungsstand analysiert, Archivrecherchen durchgeführt sowie fast 200 ehemalige politische Gefangene befragt. Das Forscherteam entzweite sich jedoch, weswegen im Folgejahr separate Publikationen zur Haftanstalt Cottbus erschienen: eine populärwissenschaftliche Studie des Journalisten Tomas Kittan [1] und ein Gutachten des Historikers Steffen Alisch. [2] Der letztgenannte Mitarbeiter des Forschungsverbundes hat seine Ergebnisse nun zu einem Buch erweitert, erwähnt seinen zugrunde liegenden, teils wortgleichen Forschungsbericht indes nicht.
Alisch analysiert alle relevanten Aspekte der Cottbuser Haftanstalt nach 1945: die institutionelle Zuordnung des Gefängnisses, die Insassen, ihre Haftbedingungen und ihren Arbeitseinsatz. Seine Befunde betreffen häufig auch die oberste Gefängnisverwaltung in Ost-Berlin und sind daher über die örtliche Haftanstalt hinaus von Bedeutung. Dabei überwiegt in den ersten Kapiteln eine diachrone, später eine systematische Herangehensweise - was zu gewissen Redundanzen führt, etwa hinsichtlich der medizinischen Versorgung der Gefangenen.
Besonders entbehrungsreich war die Haft in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als noch viele Schwangere hier inhaftiert waren und die Männer wegen fehlender Bademöglichkeiten nicht entlaust werden konnten. Hungerödeme waren verbreitet und in strengen Wintern wurden viele Gefangene entlassen, weil keine Kohle zum Heizen bereit lag. Übergriffe der Aufseher entfachten dann vier Wochen nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 eine große Häftlingsrevolte, getragen durch Hoffnungen auf Hafterleichterungen.
Ab den 1960er Jahren klaffen riesige Überlieferungslücken in den Sachakten des ostdeutschen Gefängniswesens im Bundesarchiv sowie im Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Alischs Darstellung dieser Jahre gerät daher kursorisch, doch kranken daran die meisten Studien zum DDR-Strafvollzug. Fast die Hälfte des Buches betrifft deswegen die weit besser dokumentierten 1950er Jahre. Allerdings hatte Cottbus seinerzeit noch nicht seine enorme Bedeutung als zentraler Haftort in der DDR für "kleinere" politische Delikte bzw. für viele Fluchtwillige wie in der Ära Honecker.
Aus dieser Zeit stammen jedoch alle fünf Kurzbiographien politischer Gefangener, die Alisch präsentiert. Die Schilderung ihrer Lebenswege beruht ausschließlich auf deren Selbstauskünften; die einschlägigen Untersuchungsvorgänge der Staatssicherheit wurden nicht ausgewertet oder die Betroffenen willigten nicht ein. Eine vertiefte Quellenkritik wäre jedoch auch hier angebracht, denn Alisch selbst fand in Autobiographien anderer Häftlinge unzutreffende Behauptungen - was längst nicht alle Analysten von Haftmemoiren offen benennen. Alisch verschließt auch nicht die Augen vor der rechtsextremen Haltung einiger Cottbuser Insassen, die sich so gegen ihre politische Bevormundung und schikanöse Behandlung im "sozialistischen Strafvollzug" positionierten (150).
Eine Gefangenenstatistik konnte Alisch verdienstvollerweise für die Jahre bis 1959 sowie ab 1972 erstellen, für die Zwischenzeit gibt es nur punktuelle Angaben. Zwar wurden keine aussagekräftigen Angaben zur Deliktstruktur der Insassen aufgefunden, doch diskutiert Alisch sorgsam den Begriff des politischen Gefangenen. Überdurchschnittlich viele Häftlinge jedenfalls hatten in Cottbus einen Ausreiseantrag gestellt, den zurückzunehmen sie sich weigerten - trotz mitunter perfider "Rückgewinnungsversuche" der Aufseher und der Staatssicherheit. Auch deren Rolle beleuchtet der Autor, obwohl der Zugriff auf MfS-Unterlagen beschwerlich ist - aufgrund hoher Hürden des Datenschutzes und schwieriger Erschließung. Dank der Aktenbestände der Staatssicherheit kann Alisch einige wichtige Ereignisse in der Ära Honecker eben doch nachzeichnen, so etwa die Selbstverbrennung eines politischen Gefangenen im Herbst 1978. Hier wie an anderen Stellen wären Verweise auf bereits vorliegende Literatur möglich gewesen.
Seine eigenen Befunde wägt der Verfasser ab, prononciert sie aber auch gelegentlich - so schreibt er etwa Gefängnisleiter Fritz Ackermann eine "primitive Denkweise" zu (68). Mitunter ist seine Wortwahl etwas weit hergeholt, etwa wenn er ein Zitat von Giovanni Trapattoni verfremdet (160). Etwas irritiert auch, dass angesichts von insgesamt 200 Textseiten das "Resümee" von sechs Seiten noch ein eigenes Unterkapitel "Fazit" enthält. Abgesehen von diesen Einwänden hat Alisch jedoch der Reihe von Einzelstudien zu DDR-Haftanstalten einen wichtigen Band hinzugefügt.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Tomas Kittan: Das Zuchthaus Cottbus. Die Geschichte des politischen Strafvollzugs (= Cottbuser Blätter, Sonderheft 2009), Cottbus 2009.
[2] Vgl. Steffen Alisch (unter Mitarbeit von Bernhard Bremberger): Das Zentralgefängnis Cottbus. Vom nationalsozialistischen Frauenzuchthaus zur "Strafvollzugseinrichtung" der DDR (= Arbeitspapiere des Forschungsverbundes SED-Staat Nr. 43/2009), Berlin 2009.
Steffen Alisch: Strafvollzug im SED-Staat. Das Beispiel Cottbus (= Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin; Bd. 20), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2014, 229 S., 4 Farb-Abb., ISBN 978-3-631-64557-4, EUR 27,95
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