Die Geschichte der SBZ/DDR ist für Ulrich Herbert mehr als nur eine Fußnote, sondern wird im Unterschied zu anderen Darstellungen jüngeren Datums durchaus gewürdigt. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur des zweiten deutschen Staates haben ein eigenes Gewicht, werden allerdings etwas stiefmütterlicher behandelt als die Bundesrepublik. Das hängt vor allem mit einem wesentlichen Aspekt der Anlage des Buches zusammen: Da Herbert zeigen will, "wie sich die erste und die zweite Hälfte des Jahrhunderts in Deutschland historisch zueinander verhalten" (15), und er die "langsame Verwandlung von einer nationalsozialistisch geprägten in eine zunehmend westlich-liberale Gesellschaft" (16) als entscheidende Entwicklung begreift, entsteht zwangsläufig die Frage, wie die Geschichte der DDR in die Erzählung der deutschen Nachkriegsgeschichte integriert werden soll.
Während die SBZ noch als Teil des in vier Besatzungszonen aufgeteilten Deutschlands begriffen wird, signalisiert die getrennte Darstellung der DDR in zwei Kapiteln, dass es sich um eine grundlegend andere Geschichte als die der Bundesrepublik handelt. Auch in dem äußerst gut gelungenen Querschnittskapitel "Deutschland um 1965" zu Gesellschaft und Kultur in beiden deutschen Staaten "zwischen den Zeiten" wird leider trotz der sich aufdrängenden Parallelen, etwa im Städtebau oder in der Jugendkultur, an der getrennten Behandlung von DDR und Bundesrepublik festgehalten. Zwar werden immer wieder wechselseitige oder einseitige Bezüge deutlich gemacht; aber dass Bundesrepublik und DDR doch mehr verband als die gesamtdeutsche Ausrichtung des Grundgesetzes oder die einseitige Bezugnahme der Ostdeutschen auf den "Westen" kommt nicht so recht zum Ausdruck. So fehlt etwa ein Hinweis auf die evangelische Kirche, die als gesamtdeutsche Organisation bis 1969 - und in Ansätzen auch darüber hinaus - eine Klammerfunktion für beide Teilgesellschaften wahrnahm.
In einer Gesamtdarstellung müssen zweifellos manche Entwicklungslinien aus Platzgründen vergröbert werden. Gleichwohl hätte bei der Geschichte der SBZ etwas stärker zwischen den Intentionen und dem Resultat sowjetischer Politik unterschieden werden müssen. So ist es stark verkürzt, die Reformen der Sowjetischen Militäradministration generell als "auf die Anpassung an das sowjetische System" (580) ausgerichtet zu bezeichnen. Manchmal wird, wie bei der Bodenreform und der in den 1950er Jahren erfolgenden Kollektivierung der Landwirtschaft, eine Planmäßigkeit unterstellt, die es so nicht gab; an anderen Stellen wird über bestimmte Kontinuitäten von der Zeit vor 1945 bis in die SBZ/DDR hinweggegangen, wie etwa bei den Gymnasiallehrern, die eben nicht durch "Neulehrer" ersetzt wurden. Gleichwohl bleibt es richtig, dass zwischen 1945 und 1949 durch Entnazifizierung und gleichzeitigen Personalaustausch, durch Boden- und Industriereform und Etablierung eines politischen Systems, in dem die führende Rolle der SED spätestens 1948 unübersehbar war, die Fundamente für die ostdeutsche Diktatur gelegt wurden.
Die Gründung der DDR war daher nicht nur ein reiner Nachvollzug der Staatsgründung in Westdeutschland. Auch wenn die sowjetische Führung im Hinblick auf ihre Zukunftsvorstellungen für Deutschland noch unentschlossen war, konnte sie auf Strukturen zurückgreifen, die einer demokratischen Entwicklung in der DDR von Anfang an entgegenstanden. In diesem Zusammenhang hätte Herbert die der Staatsgründung vorangehenden, detaillierten Geheimabsprachen zwischen den Führungen der KPdSU und der SED im September 1949 erwähnen müssen. Zwar war auch die Handlungsfreiheit der Bundesregierung zunächst noch durch das Besatzungsstatut begrenzt; die Abhängigkeit der DDR-Führung von Moskau war indes, wie diese Absprachen und die Aktivität der an die Stelle der SMAD getretenen Sowjetischen Kontrollkommission zeigte, weitaus größer.
Während in der Darstellung der Bundesrepublik die Gesellschaftsgeschichte für Herbert mindestens so wichtig ist wie die politische, dominiert in den Teilen zur DDR die Politik. Die formativen Jahre der DDR werden entlang der üblichen Stationen - 1952 "Aufbau des Sozialismus", Juni-Aufstand 1953, Entstalinisierung 1956 und Mauerbau 1961 - geschildert, allerdings nicht immer auf dem neuesten Forschungsstand. So fiel etwa die Entscheidung zum Mauerbau nicht, wie suggeriert wird, Anfang August 1961 im Kreise der osteuropäischen Parteichefs, sondern es handelte sich um einen einsamen Entschluss Chruschtschows Anfang oder Mitte Juli in Moskau. Die Wirtschaftsreform, die nach dem Mauerbau eingeleitet wurde, wird zuverlässig dargestellt, einschließlich der Probleme, die dabei ungelöst blieben. Herberts Feststellung, dass am Ende der 1960er Jahre deren Bilanz "deutlich hinter den Erwartungen zurück[blieb]", ist zuzustimmen (735). Diese Reform wurde anfangs begleitet von einer zaghaften, vor allem ökonomisch bedingten politischen Lockerung der Zügel, insbesondere in der Jugend- und Kulturpolitik; jedoch währte auch diese Phase nur bis 1965. Am Ende der Ära Ulbricht war zwar - auch unter Gewalteinsatz - "eine sozialistische Diktatur nach dem Vorbild der Sowjetunion errichtet" worden; vor allem aufgrund der mangelnden Funktionsfähigkeit des Wirtschaftssystems stellte sie indes alles andere als eine "der westlichen bürgerlichen Gesellschaft überlegene Alternative" dar (744). Kein Wunder, dass auch die überzeugten Kommunisten Elan und Enthusiasmus verloren hatten.
Die Ära Honecker steht bei Herbert ganz im Zeichen der "Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus des Volkes" (1048). Er stellt den Konsumsozialismus und die daraus resultierenden Probleme zutreffend dar und verweist auf die dahinter stehende Auffassung Honeckers und seiner Mitstreiter, denen zufolge die Bevölkerung "billiges Brot, eine trockene Wohnung und Arbeit" bräuchten: "Wenn diese drei Dinge stimmen, kann dem Sozialismus nichts passieren." (1051). Damit zeigte dieser, dass er mental in den 1920er Jahren stehengeblieben war und nicht verstehen konnte, dass sich die jüngere Generation der DDR-Bürger an den Konsumgewohnheiten ihrer Landsleute im Westen orientierte. Wenngleich sich die Wirtschaftsleistung der DDR zunehmend verschlechterte und diese mehr und mehr auf Finanztransfers und Kredite vor allem aus der Bundesrepublik angewiesen war, hielt Honecker aus Gründen des Machterhalts bis zuletzt an seiner Sozialpolitik fest - eine bekannte, gleichwohl gut dargestellte Geschichte. Zwar ist es richtig, dass Honecker dadurch zu Beginn seiner Herrschaft seine Popularität steigern konnte; ob man von "freundliche[r] Indifferenz" (1057) der Bevölkerung gegenüber der DDR in dieser Zeit sprechen kann, erscheint jedoch fraglich. Auch für die 1970er und 1980er Jahre wird die DDR-Gesellschaft fast nur mit Blick auf den Staat dargestellt; vergleichbare Passagen etwa zu Ehe, Familie und Sexualität wie in den Kapiteln zur Bundesrepublik finden sich hier leider nicht.
Den Weg in den Untergang führt Herbert unter anderem auf den zunehmenden Legitimitätsverlust der DDR in den 1980er Jahren, der etwa an dem Aufstieg der D-Mark zum inoffiziellen Zahlungsmittel und an der steigenden Zahl der Ausreiseantragsteller nach der KSZE festgemacht werden kann, die massiven wirtschaftlichen Probleme, die auch aus einer Kürzung der sowjetischen Rohöllieferungen (allerdings ab 1982 und nicht schon ab 1981) resultierten, und den Reformer Gorbatschow zurück, durch den die DDR den sowjetischen Rückhalt verlor. Mit dem Zusammenbruch des Regimes in der friedlichen Revolution von 1989 wurde schließlich "offenbar, wie groß die Distanz der Bevölkerung zum System der SED bereits geworden war" (1089).
Da Herberts Ausgangspunkt wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen sind und Politik als im Wesentlichen davon abgeleitete Kategorie verstanden wird, finden innenpolitische Vorgänge eher sein Interesse als außenpolitische. Gleichwohl lässt sich weder eine Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert noch eine Geschichte der DDR ohne Bezugnahme auf deren außenpolitische Koordinaten schreiben. Daher kommt er immer wieder auch auf die Außen- und Deutschlandpolitik zu sprechen. Diese Passagen sind allerdings die schwächsten der Darstellung. So ist es zwar richtig, dass die von den Supermächten seit Anfang der 1960er Jahre betriebene Entspannungspolitik die Bundesregierung mit ihrer auf Alleinvertretung und Wiedervereinigung ausgerichteten Deutschlandpolitik vor erhebliche Probleme stellte. Die westdeutschen Lockerungsübungen gegenüber den Ostblockstaaten, die eben nicht mehr isoliert werden sollten, und - nach Bildung der Großen Koalition - auch gegenüber der DDR, werden jedoch kaum gewürdigt. Auch die Reaktion der DDR auf die Neue Ostpolitik wird nicht hinreichend analysiert, und die so gut wie völlig erfolglose DDR-Außenpolitik mit Blick auf die Durchbrechung der Hallstein-Doktrin so gut wie gar nicht. Die staatliche Anerkennung der DDR durch Bonn und die sich anschließende völkerrechtliche Anerkennung durch fast alle Staaten der Erde waren auf die bundesdeutsche Außenpolitik zurückzuführen. Daher kann man den außenpolitischen Weg der DDR von 1949 bis 1972 keineswegs als "eine Erfolgsgeschichte" bezeichnen (742). Auch das deutsch-deutsche Verhältnis zu Beginn der 1980er Jahre war, trotz sowjetischer Versuche, die DDR von zu engen Beziehungen zur Bundesrepublik abzuhalten, letztlich besser als Herbert es darstellt. Schmidts Besuch in der DDR - nicht im Sommer, sondern im Dezember 1981 - war kein Höhepunkt "dieser Politik der Abgrenzung" (950), sondern der Versuch, trotz einer höchst angespannten weltpolitischen Situation "business as usual" zu praktizieren. Dies setzte sich in der Ära Kohl fort, und die Absage des Besuchs von Honecker in Bonn 1984 nach einer sowjetischen Intervention stellte keine nachhaltige Störung der deutsch-deutschen Beziehungen dar. Eine begrenzte "deutsch-deutsche Sonderentwicklung im Kontext der Blockkonfrontation" war damals sehr wohl möglich (1026f.).
Diese Einwände betreffen eher Seitenlinien als das Zentrum von Herberts großer Darstellung. Sie verweisen aber auf eine Schwäche des Ansatzes, demzufolge Politik nur als abgeleitete Kategorie betrachtet wird. Gerade die internationale Politik, die selbstverständlich nie ohne eine angemessene Einbeziehung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und innenpolitischer Faktoren zu verstehen ist, kann durchaus ein Eigengewicht entwickeln, dem nicht weniger Bedeutung als wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Entwicklungen zukommt.
Auch am Ende der Lektüre des Buches bleibt letztlich unklar, wie sich die DDR in die Gesamtdarstellung deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts einfügt. Gewiss war sie eine Spielart des modernen Industriestaats mit einer entsprechend modernen Industriegesellschaft, die sich, ebenso wie die Bundesrepublik, von dem mörderischen NS-Regime abgrenzte, wenngleich es auch hier Kontinuitäten und Lasten aus der Vergangenheit gab, die man - im Unterschied zum Westen - ruhen ließ. Sie blieb noch viel stärker als die Bundesrepublik ihrer industriegesellschaftlichen Basis verhaftet und schaffte nicht den Sprung in die moderne Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft. Die Dynamik, die die Anfänge der DDR sicher genauso prägte wie die der Bundesrepublik, ließ mit der für den Autor entscheidenden Zäsur der 1970er Jahre deutlich nach. Und von einer sich langsam entwickelnden, westlichen liberalen Gesellschaft kann mit Blick auf die DDR sicher keine Rede sein. Insgesamt entzieht sich die DDR auf der Grundlage der von Herbert eingangs formulierten Positionen einer klaren Einordnung.
Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München: C.H.Beck 2014, 1451 S., ISBN 978-3-406-66051-1, EUR 39,95
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