Der kryptische Titel verheißt nichts Gutes, und das Rätselraten geht im Fließtext weiter. Was beispielsweise der folgende Satz bedeuten könnte, hat sich dem Rezensenten auch nach der Konsultierung von Lexika und einem Englisch-Wörterbuch nicht wirklich voll erschließen können: "The apotheosis part of the scenario of Atdzimšanas Dziesma contains an important indication of the analysis of the performance's chronosis" (61). Ein anderes Beispiel wäre: "National Meeting was elected in Estonia in 1936" (20). Aus dem Zusammenhang erschließt sich in diesem Fall, dass kein nationales Treffen gewählt wurde, sondern eine Nationalversammlung (National Assembly). Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderte Übersetzung der Monografie aus dem Lettischen ist eine Pfuscharbeit und wurde nie von einem Muttersprachler redigiert. Interessanterweise haben dies scheinbar weder der Verlag noch die Herausgeber der Schriftenreihe bemerkt. Neben wiederholtem Rätselraten und dem Ärger über zahlreiche sprachliche und stilistische Fehler sollte sich der Leser nicht nur mit Geduld, sondern auch mit einem Lettisch-Deutsch-Wörterbuch wappnen, denn nur im besten Falle werden lettische Ausdrücke im Text beim ersten Auftreten übersetzt, später allerdings nicht mehr. Die monumentale Freiluftinszenierung Atdzimšanas Dziesma zum Beispiel wird dagegen insgesamt 36 Mal erwähnt, und ihr ist sogar ein eigenes Kapitel gewidmet, doch der Leser erfährt nirgends, was der Titel dieses Stückes wohl bedeuten könnte. Die beiden Autoren Deniss Hanovs und Valdis Tēraudkalns schreiben ohnehin mitunter recht kompliziert und hüpfen von einem Thema zum anderen, die Übersetzung macht dies noch schlimmer.
Das Thema dieser Monografie ist die Inszenierung des Kultes um den "Führer" Lettlands, den autoritären Präsidenten Kārlis Ulmanis, der sich 1934 an die Macht geputscht hatte. Die Verfasser möchten mit Hilfe "einer semiotischen Analyse der politischen Diskurse [...] die Glorifizierung von Ulmanis" untersuchen (15). Hierbei gehen sie von vier strukturellen Elementen aus: der Persönlichkeit, der Aktivität, den symbolischen Artefakten und der Interaktion. Bei ihrem kulturwissenschaftlichen Zugang nutzen sie eine ganze Reihe unterschiedlicher Ansätze und Autoren, vom Legitimierungsmythos des römischen Kaisers Augustus bis hin zu Pierre Bourdieu, Michel Foucault, "Kozelek" (204, gemeint ist offenbar Reinhart Koselleck), Malte Rolf oder Karl Schlögel. Auch beziehen sie sich wiederholt auf die heutige lettische Politik. Immer wieder werden Vergleiche mit Stalin, Hitler, Mussolini und anderen "Führern" gezogen. Warum aber die seit über einem Jahrzehnt blühende historische Forschung zum Thema Führerkulte vollkommen ignoriert wird, wie beispielsweise die Arbeiten von Balázs Apor, Jan C. Behrends und Heidi Hein-Kircher, bleibt eines der vielen Rätsel dieses Werkes. Weiterhin wirken viele Vergleiche unbeholfen, da die Autoren sich nicht wirklich in der Stalinismus-, Faschismus- oder Nationalsozialismusforschung auskennen. Der Persönlichkeitskult, der dem Fall Ulmanis am nächsten steht - nämlich der Kult um den estnischen autoritären Machthaber Konstantin Päts - wird dagegen nicht herangezogen.
Angekündigt wird vom Verlag eine auf Archivrecherchen basierende Studie, tatsächlich wurde der Bestand des lettischen Ministeriums für Öffentliche Angelegenheiten, einer Art Propagandaeinrichtung des Regimes, untersucht, doch das Herzstück der Arbeit beruht auf der Auswertung und Interpretation zeitgenössischer Publizistik. Dies ist teilweise recht gut gelungen, doch die sprunghafte Darstellung und die vielen formalen Mängel mindern den positiven Eindruck. Da es sich um die Übersetzung eines ursprünglich für eine lettische Leserschaft verfassten Werkes handelt, hätte noch ein Überblickskapitel über die Situation im Lande während der Zwischenkriegszeit eingefügt werden müssen: Der Text setzt mitunter Wissen voraus, das ein ausländischer Leser normalerweise nicht haben kann. Mitunter irren sich die Autoren auch, wenn sie beispielsweise das formelle Ende von Ulmanis' Präsidentschaft einen Monat zu früh datieren (25).
Bei der Analyse des Ulmanis-Kultes sprechen die Verfasser in den einzelnen Kapiteln durchaus interessante Themen wie die erwähnte monumentale Freiluftinszenierung an, die im Putsch des Machthabers praktisch den Endpunkt der lettischen Geschichte sieht, oder die Beziehung des Regimes zu Lettgallen, einer zu lettifizierenden Region. Der Vergleich mit Stalin fällt dagegen nicht sehr überzeugend aus. Die öffentlichen Feierlichkeiten für den Führer und die räumliche Neugestaltung Rigas erscheinen dann schon als spannender. Zumindest für den Rezensenten waren die Beziehungen des Regimes zur Kirche und die Versuche, ein lettisches Christentum zu entwickeln, Neuland; diese Ausführungen stellen das interessanteste Kapitel des Werkes dar. Die Schlussfolgerungen fallen hingegen inhaltlich schon etwas ab und berücksichtigen die in der Einleitung angeführten theoretischen Ansätze überhaupt nicht. Das Register ist offenbar nicht ganz vollständig, und ein Glossar fehlt leider. Die Fußnoten sind manchmal etwas schwierig zu nutzen, weil beim zweiten Verweis auf einen Titel dieser nicht mehr angegeben, sondern auf die erste Nennung in einer Fußnote weiter vorn hingewiesen wird. Der Leser muss also hin und her blättern, will er die Verweise verfolgen.
Zusammenfassend gesagt, hat das Werk erhebliche Schwächen, und die Übersetzung verstärkt den negativen Eindruck. Diese Arbeit bedürfte einer gründlichen Überarbeitung, einer Einbeziehung der neueren Forschungen zu historischen Persönlichkeitskulten und einer besseren Übersetzung. Dies ist eigentlich schade, denn der Ansatz, die Publizistik des Ulmanis-Regimes ernst zu nehmen und gründlich zu analysieren, erscheint durchaus als vielversprechend. In der vorliegenden Form kann dieses Buch jedoch nicht empfohlen werden.
Deniss Hanovs / Valdis Tēraudkalns: Ultimate Freedom - No Choice. The Culture of Authoritarianism in Latvia, 1934-1940 (= Central and Eastern Europe; Vol. 2), Leiden / Boston: Brill 2013, X + 272 S., ISBN 978-90-04-24355-2, EUR 99,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.