Die Veröffentlichung von Fotografien über Misshandlungen irakischer Gefangener im Gefängnis Abu Ghraib durch US-amerikanische Militärangehörige im April 2004 löste breite öffentliche Diskussionen über Folter aus. Eine Vielzahl von Aspekten, unter anderem verschiedene Foltertechniken, die Politik der Bush-Regierung zur Terrorbekämpfung seit den Anschlägen vom 11. September 2001 oder die Sichtbarkeit von Grausamkeiten und Leiden im Bild, kamen zur Sprache; die Einordnung der Ereignisse in einen längeren Zeithorizont blieb jedoch weitgehend aus. Zwar verwiesen einige Kommentatorinnen und Kommentatoren auf Parallelen zur Lynchfotografie in den Südstaaten Ende des 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, als allgemeines Charakteristikum der Debatten lässt sich mit Karin Dauenhauer allerdings deren Ahistorizität feststellen.
Diesen Befund nimmt sie zum Ausgangspunkt ihrer 2014 bei Sabine Sielke abgeschlossenen kulturwissenschaftlichen Dissertation über "US Transgressions in Military Interventions 1899-2008". Auf der methodischen Basis der Diskursanalyse untersucht sie exemplarisch, wie vorangegangene Folterdebatten in den USA geführt und erinnert bzw. vergessen wurden. Die Auswahl der Beispiele überzeugt nicht nur, weil Dauenhauer den analytischen Rahmen militärischer Interventionen in imperialen Kontexten wählt, sondern auch weil sie das ausgehende 19. Jahrhundert in ihre Betrachtung einbezieht: Außer dem Irakkrieg von 2003 behandelt sie den Vietnamkrieg sowie den philippinisch-amerikanischen Krieg zwischen 1899 und 1902. Der Verfasserin gelingt es, Unterschiede, Gemeinsamkeiten und gegenseitige Bezüge zwischen ihnen herauszuarbeiten. Das geschieht nicht erst gebündelt am Schluss, sondern durchgängig im Verlauf der Studie, was einerseits die Fälle eng miteinander verklammert, andererseits streckenweise zu Wiederholungen führt.
Die Gliederung orientiert sich chronologisch an den militärischen Konflikten und betrachtet systematisch jeweils die Ebenen der (Regierungs-)Politik - untersucht vor allem anhand von Kongressdebatten -, der Medienberichterstattung, der Positionen zivilgesellschaftlicher Aktivisten ("oppositional voices") sowie der Erinnerung in nachträglichen fiktionalen Bearbeitungen wie Spielfilmen oder Memoiren. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen also nicht Folterpraktiken, sondern die darüber intermedial geführten Diskurse in den USA. Dass die Verfasserin die "imaginary dimension of torture" (20) über visuelle Quellen auch aus dem Bereich der populären Kultur neben gedruckten Texten einbezieht, ist ausdrücklich zu begrüßen, da sie einen bedeutenden Bestandteil gesellschaftlicher Verständigung über das Thema darstellten. Die notwendige Beschränkung auf die Spielfilme "The Raiders of Leyte Gulf" (1963), "Rambo: First Blood" (1982) und "The Deer Hunter" (1978) kann allerdings nur vereinzelte Schlaglichter werfen.
Im Mittelpunkt US-amerikanischer Debatten über Folter im Zusammenhang mit dem philippinisch-amerikanischen Krieg stand die so genannte "water cure", eine der heute als waterboarding bezeichneten vergleichbare Torturtechnik. Vorwürfe wegen entsprechenden Fehlverhaltens von Angehörigen der US-Truppen wurden zwar 1902 im Kongress untersucht, doch erhielt dieser Aspekt des Krieges insgesamt vergleichsweise wenig öffentliche Aufmerksamkeit (Kap. 2). Die Verfasserin sieht die Bedeutung der Diskussionen um die Jahrhundertwende vor allem in der Etablierung eines Referenzpunktes und diskursiver Muster, auf die später immer wieder zurückgegriffen werden konnte (Kap. 3).
Während des Vietnamkrieges kamen zwar seit Ende der 1960er Jahre Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten öffentlich zur Sprache, doch spielte Folter in diesem Zusammenhang keine herausgehobene Rolle; sie erschien allenfalls als Teil alltäglicher Gewalt im Krieg. Als wesentlichen Grund dafür führt Katrin Dauenhauer die Entstehung und allmähliche Dominanz eines "captive narratives" an, bei dem der Schwerpunkt auf der Opferrolle von US-Militärangehörigen lag, die in vietnamesischer Kriegsgefangenschaft systematische Quälereien erleiden mussten. Folter erschien dabei, wie unter anderem anhand der Analyse von Spielfilmen gezeigt, als Test für die Bewährung des "amerikanischen Charakters" (185) und als Transformationsprozess, aus dem der einzelne Soldat wie die Nation insgesamt gestärkt hervorgingen. Die Funktionen dieser Meistererzählung lagen in der Integration der durch den Krieg gespaltenen Gesellschaft sowie in dem Sinnstiftungsangebot angesichts der Niederlage (Kap. 4 und 5).
Kapitel 6 kehrt schließlich mit dem Irak-Krieg und dem "war on terror" zum Ausgangspunkt der Studie zurück und konzentriert sich auf die Debatten über Misshandlungen irakischer Gefangener durch US-Militärangehörige sowie die Rolle der Täter-Fotografien aus Abu Ghraib. Obwohl die Medien, unter anderem durch die Veröffentlichung dieser "Ikonen des Skandals" (204), die Diskussionen erst anstießen, bewegte sich ihre Berichterstattung innerhalb der inzwischen etablierten Diskurskonventionen und wirkte deshalb, so die Verfasserin, als Unterstützung der Argumentationen der Bush-Regierung. Diese hatte spätestens 2002 Folter, wenn auch mit anderen Begriffen wie "enhanced interrogation techniques" bezeichnet, als Mittel im Kampf gegen den Terror akzeptiert. Trotz anderslautender Absichtserklärungen, beispielsweise hinsichtlich des Gefangenenlagers im Marinestützpunkt Guantanamo, war die im Ausblick geschilderte Entwicklung unter Präsident Obama in diesem Punkt im Wesentlichen durch Kontinuität gekennzeichnet (Kap. 7).
Während vieles bezüglich der jüngsten Folterdebatten schon bekannt ist, liegt das Verdienst der Arbeit darin, überzeugend aufzuzeigen, dass nicht nur Folterpraktiken, sondern auch Folterdebatten eine Geschichte haben. Obwohl immer wieder mit einer "rhetoric of exceptionalism" (198) geführt, folgten die untersuchten Beispiele ähnlichen Diskursmustern und -abläufen und ihnen lagen vergleichbare Argumentationsmuster zugrunde. Das bezeichnet die Verfasserin mit dem titelgebenden Begriff des "shadow of torture". Misshandlungen durch amerikanische Militärangehörige wurden jeweils als Ausnahmen und individuelle Verfehlungen behandelt, unter anderem hervorgerufen durch die "unzivilisierten" Bedingungen an den jeweiligen Kriegsschauplätzen einschließlich des Verhaltens der Gegner. Das systematische Vergessen früherer Foltervorwürfe und -debatten in den USA war deshalb unerlässlich, weil das eigene Selbstverständnis als Rechtsstaat und Träger einer weltweiten Zivilisierungsmission ansonsten vor dem Hintergrund der Ächtung von Folter im nationalen wie internationalen (Kriegs-)Recht auch moralisch grundlegend in Frage gestellt worden wäre. Insgesamt leistet Katrin Dauenhauer mit ihrer Studie einen intelligenten und weiterführenden Beitrag zur Historisierung der Folterdebatten zu Beginn des 21. Jahrhunderts.
Katrin Dauenhauer: The Shadow of Torture. Debating US Transgressions in Military Interventions, 1899-2008 (= Transcription; Vol. 7), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2015, 313 S., ISBN 978-3-631-66066-9, EUR 66,95
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