So prominent die beteiligten Künstler, so prachtvoll die Ausstattungen, so ruhmreich und selbstbewusst die Auftraggeber - so viel gibt es nach wie vor für die Kunstgeschichte in der venezianischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts zu tun, insbesondere wenn der Anschluss an aktuelle Diskurse und Fragestellungen vorangetrieben werden soll. Dass für private Aufträge wie Palastdekorationen kaum aussagekräftige Archivalien oder gar concetti existieren, die ikonografische Programme erläutern, dass auf kunsttheoretische Traktate aus venezianischer Feder verzichtet werden muss, erschwert die Ausgangslage.
Annika Tillmann hat sich davon nicht schrecken lassen und venezianische Repräsentationsräume zum Gegenstand ihrer Forschung gemacht. Tillmanns Interesse gilt Palästen in der Stadt Venedig, die zwischen 1680 und 1730 ausgestattet wurden. Unter den Künstlern finden sich Ricci, Piazzetta, Tiepolo, Dorigny, unter den Auftraggebern die Adelsfamilien Pesaro, Corner, Barbaro, Zenobio, Sandi, um nur einige der bekanntesten zu erwähnen.
Der Text entspricht unverändert der an der Universität Marburg eingereichten Dissertation - mit allen Eigenheiten dieses Genres. Dies sei gleich vorweggenommen: Kürzungen hätten dem Buch gut getan, auch eine Umstrukturierung, die theoretisch-methodische Aspekte stärkt, das Gesamtergebnis kontextualisiert und auf exemplarische Einzelbetrachtungen setzt, denen zur Absicherung ein (im Anhang beigefügter, kleiner) Katalog dient, der Aussagen "statistisch" unterfüttert. Der Aufbau der Arbeit zieht es jedoch nach sich, dass von Kapitel zu Kapitel Palast für Palast immer wieder abgehandelt wird, Raum für Raum, unter wechselnden Schwerpunktsetzungen. Redundanzen bleiben da nicht aus.
Tillmann belässt es nicht bei einer Analyse des ikonografischen Programms, sondern nimmt die gesamte bildkünstlerische Innenausstattung ins Visier. Sie berücksichtigt zum Beispiel auch Prachtaufwand und Raumfunktionen. Die Frage, ob die Kunst als Mittel eines Statuswettbewerbs zwischen altem und neuem Adel in den Dienst genommen wurde, durchzieht die gesamte Studie. Sie liegt nahe, wenn man bedenkt, wie schmerzhaft für den alteingesessenen Adel der Verkauf des Titels zur Zeit der Türkenkriege war und wie sich die "Neureichen" um Integration bemühten.
Der historische Hintergrund wird einleitend geschildert, ebenso die Methodik: Auf 16 altadlige und 11 neuadlige Ausstattungen wendet Tillmann Prinzipien der Rhetorik als Analysemodell an. In der Konsequenz stellt sie die Paläste nicht einzeln nacheinander vor, sondern präsentiert sie aus wechselnden Perspektiven entlang den Produktionsschritten der Rhetorik: Inventio (Ikonografie und Semantik der Bildprogramme), Dispositio (Anordnungskriterien), Elocutio (Prachtniveau).
Als zentrale Themen der ikonografischen Programme ermittelt Tillmann die humanistischen Adelstugenden "Arte und Marte", den Erwerb des neuen Adelstitels, venezianische Adelstugenden, Regierungsfähigkeit und Militäreinsatz im Dienst der Serenissima, sowie, als eigenen Aspekt, die Neuausstattung im Zug von Hochzeiten.
In allen Kapiteln ihrer Arbeit wartet Tillmann mit zahlreichen Einzelbeobachtungen auf. Für das erste Kapitel seien nur hervorgehoben: die Rekonstruktion der ursprünglichen Hängung von Gemälden (z.B. für Ca Corner di San Tomà) oder Themenidentifikationen. So handelt es sich bei dem Gemälde Dorignys im Portego des Palazzo Tron nicht um "Abrahams Traum", sondern um "Isaaks Verheißung" (103). Sebastiano Riccis in Berlin befindliches Gemälde für die Camera Mocenigo deutet Tillmann überzeugend als "Amor bittet Jupiter um Unsterblichkeit für Psyche", was ohne weiteres auf den Fortbestand der Familie Mocenigo bezogen werden kann.
Nicht alle Interpretationen überzeugen dabei gleichermaßen - inwiefern Apolls Sonnenwagen in den Palazzi Albrizzi und Zenobio aufgrund der zeitlichen Nähe auf den Sieg von Karlowitz anspielen, sei dahingestellt. Zu verbreitet und zu flexibel ist die Apollo / Aurora-Ikonografie, die im Palazzo Zenobio bisher auf den Aufstieg der Familie bezogen wurde. Mit Blick auf unterschiedliche zeitgenössische Lesarten anderer ikonografischer Programme mag mit einem Deutungsspielraum durchaus von Anfang an gerechnet worden sein.
Ungeachtet dieser Unsicherheiten überzeugt das Fazit, dass neue Adlige Standesunterschiede in Innenausstattungen nicht nivellierten, sondern visualisierten (84). Umgekehrt proklamierte der alte Adel sein Alter über Themen der antiken Geschichte und des Alten Testaments oder Ahnenreihen. Allerdings zeigen sich Unterschiede auch im Umgang mit Themen: Der neue Adel bediente sich zwar auch im Fundus antiker Geschichte, verwendete die Szenen jedoch als exempla virtutis.
Zusammen mit der Ikonografie werden dem Leser weitere als Distinktionsmerkmal eingesetzte Faktoren aufgezeigt, wie die Adaption von Dekorationselementen oder Kompositionsschemata, die bisher dem Dogenpalast vorbehalten waren. Tillmann zeichnet ein differenziertes Bild im Verhalten der neuen und alten Adelsfamilien.
Dass Statuskonkurrenz nicht alle Aspekte der Ausstattung bestimmte und Tillmann Augenmaß bei der Überprüfung ihrer These mitbringt, zeigt sich im Kapitel "Dispositio", das Raumdispositionen und -typen untersucht. Tillmann ist sich sehr wohl bewusst, dass in Venedig mit dem Bauplatz die Variationsmöglichkeiten beschränkt waren. Es gelingt ihr, Verbindungen zwischen Raumtypen und der Wahl der Themen herzustellen - hier trafen im Wesentlichen Raumfunktionen die Vorgaben, nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Adelskaste. Der Abfolge der Zyklen und ihrer Syntax, semantischen Zusammenhängen, die durch Ähnlichkeiten der Rahmen, Format, Realitätsgrad der Darstellung hergestellt werden, liegen komplexe Strategien zugrunde, denen Tillmann sich in akribischen Analysen nähert. Manche Beobachtungen, wie die vier fundamental verschiedenen Arten "räumlich syntaktischer Anordnung" (215), erwecken dann aber doch eher den Eindruck des "anything goes" als klarer Richtlinie für Hängungen.
Auch wenn eine ausführlichere Diskussion, wie Pracht zu definieren und zu bemessen sei, wünschenswert wäre: Den Befund, dass das venezianische Prachtniveau im europäischen Vergleich geringer ausfällt und dass der neue Adel sich immer wieder am europäischen Adel orientierte, bestätigt der Augenschein. Die mit einigem Nachdruck herausgearbeitete These, dass es dem neuen Adel an intimer Kenntnis des Repräsentationsgebarens fehlte, er z.B. Feinheiten wie die Prachtsteigerung von Raum zu Raum nicht erkannte, möchte ich allerdings mit nicht weniger nachdrücklicher Skepsis begegnen, zumal alte wie neue Adlige dieselben Künstler beschäftigten, die auch über einige Erfahrung verfügten und die Auftraggeber informieren konnten.
Wer genügend Disziplin aufbringt, die Dissertation sorgfältig zu lesen und auch weniger ergiebige Kapitel, wie die Aufzählung der je Raum verwendeten Medien, akzeptiert, wird eine Fülle von Anregungen finden, die über die Lagunenstadt hinausreichen. Man denke nur an die Innenausstattungen der Villen des Veneto.
Ein besonderes Highlight ist die dem Buch beigelegte CD-ROM. Sie bietet dem Leser Einblick auch in solche Paläste, die dem Venedig-Besucher normalerweise verschlossen bleiben. Die exzellenten Fotos sind Resultat einer umfangreichen, verdienstvollen Fotokampagne des Deutschen Dokumentationszentrums für Kunstgeschichte Foto Marburg.
Annika Tillmann: Adel verpflichtet. Die Rhetorik bildkünstlerischer Innenausstattungen: Venezianische Adelspaläste um 1700 im Kontext von Statuskonkurrenz (= Schriften zur Kunstgeschichte; Bd. 46), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2014, 518 S., eine CD-ROM, ISBN 978-3-8300-7797-8, EUR 139,80
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