Es ist die erste wissenschaftliche Studie zu einem weitgehend unbekannten Apparat innerhalb der North Atlantic Treaty Organization (NATO): Die britische Historikerin Linda Risso zeichnet die Geschichte des NATO Information Service (NATIS) [1] während des Kalten Krieges nach. Ihre Recherchen stützen sich auf seit Ende der 1990er-Jahre freigegebene Dokumente aus den NATO Archives (NA), die bislang wenig Beachtung fanden (13). Für Risso ist die Entwicklung von NATIS durch einen permanenten Konflikt gekennzeichnet: zwischen der Notwendigkeit, die Kohärenz der Öffentlichkeitsarbeit der NATO sicherzustellen und der Entschlossenheit der Mitgliedsstaaten, Souveränität über ihre jeweilige Informationspolitik zu behalten (6).
NATIS wurde 1950, ein Jahr nach Gründung der NATO, geschaffen - als es innerhalb einiger der wichtigsten Mitgliedstaaten großes Misstrauen gegenüber dem Bündnis gab. Um zu verhindern, dass westliche kommunistische Parteien oder die Kominform (1947 bis 1956 das Informationsbüro der Kommunistischen und Arbeiterparteien, dominiert von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion) dies ausnützen könnten, koordinierte NATIS eine entsprechende Gegenoffensive zu Forderungen nach Neutralismus und Abrüstung. Allerdings blieb die NATIS-Maschinerie ein Kompromiss zwischen US-amerikanischen Forderungen nach einer energischen und aufeinander abgestimmten antikommunistischen Propagandaaktion sowie europäischen Vorbehalten gegenüber Zentralisierung und Informationsaustausch (41). Das spiegelte sich in dem ursprünglich geringen Budget und beschränkten Befugnissen von NATIS wider. Erst der Koreakrieg von 1950 bis 1953 und die strategische Neuausrichtung der NATO Anfang der 1950er-Jahre steigerten die Bedeutung des Informationsdienstes (53).
Ab 1954 begab sich NATIS offensiv in das Feld der Gegenpropaganda, um Sinn und Zweck der Allianz innerhalb der verschiedenen Mitgliedstaaten zu bewerben. Anders als etwa von den USA intendiert, blieben diese Aktivitäten auf das NATO-Territorium beschränkt und wurden nicht auf das Gebiet jenseits des Eisernen Vorhangs hin ausgedehnt (66). Um die NATO innerhalb der westlichen Bevölkerungen zu bewerben, stellte NATIS in Zusammenarbeit mit den einzelnen Regierungen Wanderausstellungen zusammen. Ferner wurden Kurzfilme und Wochenschauen produziert. Eigene Publikationen wie Facts and Figures und der NATO Letter waren auf ein bestimmtes Publikum zugeschnitten. Für opinion leader - Journalisten, Parlamentarier, Akademiker und Intellektuelle - organisierte man Besuche im NATO-Hauptquartier bzw. in den Mitgliedstaaten. NATIS unterstützte Konferenzen und Seminare, die von den nationalen Informationsdiensten oder anderen Organisationen ausgerichtet wurden. Und schließlich vernetzte sich NATIS mit staatlichen und privaten Organisationen / Gruppen. Diese hatten keine formelle Beziehung zur NATO - außer dass sie antikommunistisch ausgerichtet waren bzw. den wirtschaftlich-kulturellen Austausch befürworteten. Das war eine besonders wirkungsvolle Form der Unterstützung, weil diese von der Öffentlichkeit nicht direkt mit der NATO oder den Regierungen in Zusammenhang gebracht werden konnte (90-92).
Allerdings fehlten Möglichkeiten, den Effekt dieser Beeinflussungsstrategien zu evaluieren. Wie Risso festhält, konnte das NATIS-Personal nicht einschätzen, ob es gelungen war, auch eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen: "This predicament lies at the core of NATIS's entire propaganda campaign. Throughout the Cold War, the aim was to target the 'opinion formers' because they were in the best position to influence the wider public. Yet there was no means to assess to what extent this operation was successful and contributed to a better understanding of the alliance and its aims." (214)
1960 schlug der westdeutsche Bundesminister der Verteidigung, Franz Josef Strauß, vor, NATIS zu einer zentralisierten Einrichtung weiterzuentwickeln - mit einem neuen Fokus in Richtung Informationsaustausch und "psychologischer Kriegsführung". Darunter waren verschiedene offensive Propagandaaktionen zur Schwächung der Moral des Gegners zu verstehen. Aber diese Initiative fand keinen entsprechenden Rückhalt und wurde aufgegeben. Im Konfliktfall wäre "psychologische Kriegsführung" ohnedies unter nationaler Hoheit gehandhabt worden. Dies stellt laut Risso einen markanten Unterschied zum Warschauer Pakt dar: Dieser hat zwar nie eine vergleichbare Einrichtung wie NATIS gebildet - dafür waren koordinierende Strukturen für Propaganda und Informationssammlung sowohl in Friedens- als in Kriegszeiten bereits etabliert (95-101).
Dokumente zu nachrichtendienstlichen Abläufen innerhalb der NATO sind immer noch gesperrt. Allerdings, so Risso, würden die Propagandaaktivitäten und die Maßnahmen gegen unliebsame politische Bewegungen einen ambivalenten Eindruck hinterlassen: "The very same people who preached democratic values, including freedom of speech and association, looked for ways to prevent democratically elected western communist parties from working together." (251)
In den 1970er-Jahren musste NATIS im Kontext von Entspannungspolitik und Abrüstungsverhandlungen von Neuem die Notwendigkeit der NATO und eines integrierten Verteidigungssystems herausstreichen. Der in der Informationspolitik anfangs zentrale Antikommunismus dagegen wurde Mitte der 1970er-Jahre praktisch aufgegeben. Der sich in den frühen 1980er-Jahren wieder verschärfende Kalte Krieg brachte für NATIS keinen Bedeutungsgewinn. Stattdessen konkurrierten viele der von der amerikanischen Administration unter Präsident Ronald Reagan in die Wege geleiteten neuen Programme mit jenen von NATIS. Dafür machte die Öffentlichkeitsarbeit der NATO unter den Generalsekretären Peter Carrington (1984-1988) und Manfred Wörner (1988-1994) einen radikalen Wandel durch: Die Kommunikation wurde stringenter und proaktiver; die NATO blieb dadurch im tagtäglichen Diskurs als politischer Akteur präsent (135-142).
Mit dem Ende des Kalten Krieges sollte überhaupt eine Phase der Neuerfindung der NATO beginnen - die sich in neuen Betätigungsfeldern wie Peacekeeping, Krisenmanagement und Sicherheitsoperationen über den Bündnisraum hinaus ausdrückte. Die Öffentlichkeitsarbeit wurde in diesem Zusammenhang völlig neu aufgestellt - auch weil es nicht mehr darum ging, bloß die Öffentlichkeit in den NATO-Staaten anzusprechen, sondern "global" zu agieren (257f.).
Risso beschließt ihre sowohl informative als auch gut lesbare Studie mit dem Plädoyer, die institutionelle Geschichte von Informationsagenturen wie NATIS in den breiteren politischen und kulturellen Kontext einzubetten. So erweitere sich das Verständnis für grenz- und blockübergreifende kulturelle Einflüsse: "Studies such as this, in short, have a crucial role to play in feeding into a cross-fertilisation of diplomatic history, foreign policy, intelligence and media studies that has the potential to deepen our understanding of the Cultural Cold War." (255)
Anmerkung:
[1] NATIS wurde unter der Bezeichnung NATO International Information Service (NIIS) gegründet und später in Office of Information and Press umbenannt. Heute ist es die Public Diplomacy Division.
Linda Risso: Propaganda and Intelligence in the Cold War. The NATO Information Service (= Studies in Intelligence series), London / New York: Routledge 2014, XVII + 296 S., ISBN 978-0-415-57032-9, USD 44,95
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.