Eine umfassende und systematische Untersuchung zu Pferden am frühneuzeitlichen Fürstenhof hat lange auf sich warten lassen. Die bislang mangelnde Aufmerksamkeit der Geschichtswissenschaften gegenüber diesem Themenbereich rührt sicherlich von einer allgemeinen und weitverbreiteten "modern-day blindness" gegenüber der mannigfaltigen historischen Bedeutung dieses Tieres her, wie Magdalena Bayreuther konstatiert (17-18). Mit der vorliegenden Dissertation hat sie sich deshalb erstmals diesem blinden Fleck der Forschung aus einer breit angelegten kulturhistorischen Perspektive angenommen.
Im Fokus der Bamberger Arbeit stehen Reitkunst und Pferdehaltung an vier fränkischen Fürstenhöfen des 17. und 18. Jahrhunderts (Ansbach, Bayreuth, Würzburg und Bamberg). Basierend auf einem äußerst umfangreichen und vielgestaltigen Quellenmaterial wird vor allem die repräsentative Funktion des Pferdes, aber auch sein sozialer und ökonomischer Nutzen für den Herrscher untersucht. Die Vielschichtigkeit des Themenfeldes soll nutzbar gemacht werden, um zahlreiche Bereiche und Ebenen der höfischen Kultur zu beleuchten und dabei verschiedene Praktiken, Objekte und Akteure sowie praktische und literarische Diskurse in Erscheinung treten zu lassen. Ein besonderer Schwerpunkt der Studie liegt zudem auf der Frage, wie das Pferd zur Ausformung eines fürstlichen Lebensstils beitrug und damit als Mittel herrschaftlicher Distinktion fungierte.
In der umfangreich ausgefallenen Einleitung (17-71) erläutert Bayreuther neben Erkenntniszielen, Quellenbasis und Forschungskontext die methodischen und theoretischen Grundlagen ihrer Studie. Demnach rekurriert sie vornehmlich auf das diskurstheoretische Modell des Soziologen Rainer Diaz-Bones, das die Bourdieusche Distinktionstheorie mit der Diskurstheorie (vornehmlich nach Michel Foucault) verbindet.
Das 3-Raum-Modell Diaz-Bones' (Raum der Lebensstile / Sozialer Raum / Raum der Diskurse) gibt dann auch die dreiteilige Gliederung des nachfolgenden "Praxis-Teils" vor: Der erste Abschnitt (Kap. I-III) beschäftigt sich mit der Frage, wie das Pferd als Statussymbol zu einem spezifischen Lebensstil des Fürsten beitrug. Grundlegend ist in diesem Zusammenhang zum einen die Architektur der Marställe als Medium der Repräsentation. Doch galt beispielsweise neben Quantität und Qualität der Pferde auch die Benennung der einzelnen Tiere als soziales Abgrenzungsmerkmal. Die Pferde des Fürsten fielen oft durch individuelle, durchaus modeabhängige Pferdenamen auf. Und auch beim materiell und symbolisch aufwendig gestalteten fürstlichen Reitzubehör wie Gebiss, Decke oder Sattel wurde die jeweilige Mode wirkmächtig eingesetzt. Die symbolische und distinktive Funktion der Pferde und ihres Zubehörs kam dabei vor allem bei ihrer Präsentation im Rahmen der höfischen Fest- und Zeremonialkultur zum Tragen. Von geradezu zentraler Bedeutung war dabei die klassische Reitkunst, die den "Akt des Reitens durch Hinzufügen zierlicher Gangarten und spektakulärer Sprünge zu einer Kunstform" (24) erhob, bei der sowohl gesellschaftliche Rolle als auch Charakter des Reiters offenbart wurde (174). Sie bot dem Fürsten die Möglichkeit, seine Befähigung als tugendhafter Herrscher und seinen Anspruch auf die Herrschaft zeichenhaft zum Ausdruck zu bringen. Eine entsprechende Schulung war deshalb unerlässlich.
Mit dem Reitunterricht der jungen Prinzen - am väterlichen Hof und auf Bildungsreise - und ihren Ausbildern beschäftigt sich Bayreuther im zweiten Abschnitt. Neben der Reitausbildung als "kulturellem Kapital" geht sie hier ferner auf die ökonomischen und sozialen Grundlagen der Pferdehaltung am Fürstenhof ein (Kap. IV-VI). Es zeigt sich, dass die Marställe zu den großen Kostenträgern des jeweiligen Hofes gehörten. Trotz wiederholt in Angriff genommener Sparmaßnahmen und einem zunehmenden "Bewusstsein für Hofökonomie" (223) stiegen die Ausgaben kontinuierlich, im 18. Jahrhundert geradezu sprunghaft. Hier offenbart sich das am Fürstenhof vielfach greifbare Spannungsverhältnis zwischen einer standesgemäßen Repräsentation, die einen gewissen finanziellen Aufwand unabdingbar machte, und der Notwendigkeit monetärer Liquidität. Beim Erwerb hochwertiger Pferde war es jedoch nicht allein damit getan, über ausreichend finanzielle Mittel zu verfügen. Auch entsprechende soziale Beziehungen spielten eine Rolle. Der Kauf bzw. Tausch erfolgte innerhalb bestimmter Netzwerke, wobei die Autorin Pferdehändler sowie Militär- und Hofangehörige als Beteiligte ausmachen kann. Bisweilen treten die Fürsten selbst als Akteure des Austauschs in Erscheinung, vor allem wenn die Pferde als Medium des diplomatischen Geschenkverkehrs fungierten.
Der dritte Praxis-Teil (Kap. VII-VIII) wendet sich schließlich dem "Diskurs equiner Wissenskategorien" zu. Der hier untersuchte pferdebezogene Austausch zwischen den fränkischen Höfen wird greifbar in der Verbreitung von Reitlehrbüchern, der gegenseitigen Leihgabe von Pferden, Kutschen, Personal etc., aber auch bei Fürstenbesuchen, die Marstall- und Gestütsbesuche mit auf dem Programm hatten. Dass die Zirkulation "equinen" Wissens sich auch auf einer zeichenhaften Ebene vollzog, illustriert das Kapitel zur "Symbolischen Kommunikation" (Kap. VIII) am Beispiel der Bildprogrammatik des zum Schloss Weißenstein in Pommersfelden gehörigen Marstalls.
Bayreuthers Untersuchungen belegen eine äußerst vielfältige Nutzung des Pferdes an den Fürstenhöfen der Frühen Neuzeit. Andere zu dem Themenkomplex gehörende Aspekte wie etwa die höfische Jagd hat die Autorin beschlossen aus "arbeitsökonomischen Gründen" (26) auszublenden. In dem abschließenden "Analyseteil"(425-450) werden die Ergebnisse noch einmal unter Rückgriff auf das von Diaz-Bones entwickelte Konzept verknüpft, um zu einer "zusammenhängende[n] Untersuchung von materiellen Lebensbedingungen, habitueller Praxis und Fachwissen am Fürstenhof, die durch das Pferde beeinflusst wurden" (425) zu gelangen.
Die Studie ist in einem Forschungskontext angesiedelt, der sich von Human-Animals Studies der Neueren Kulturgeschichte, über Fränkische Landesgeschichte und Hofforschung bis hin zur "Geschichte des Pferdes in der Frühen Neuzeit" erstreckt. Vor allem die Mensch-Tier-Forschung steckt im deutschsprachigen Forschungsraum noch in ihren Kinderschuhen und so ist die Bedeutung der vorliegenden Studie gerade im Umfeld dieses Forschungsfeldes hervorzuheben. Die Arbeit stellt zudem ein gelungenes Beispiel einer landeshistorischen Studie dar, deren auf die mikrohistorische Ebene ausgerichteter Blickwinkel komplexe Strukturen und Zusammenhänge aufzudecken vermag. Zugleich werden die Erkenntnisse (etwa durch die vergleichende Einbeziehung weiterer Höfe inner- und außerhalb des Reiches) in einem größeren Bezugsrahmen verortet. Mit ihrer breit angelegten Herangehensweise, die Methodenvielfalt und Interdisziplinarität in sich vereint, gelingt es Magdalena Bayreuther, die Vielschichtigkeit des Themenfeldes "Pferd und Hof" und dessen Verknüpfung mit anderen Aspekten höfischer Kultur und fürstlicher Herrschaftspraxis in überzeugender Weise sichtbar zu machen.
Magdalena Bayreuther: Pferde und Fürsten. Repräsentative Reitkunst und Pferdehaltung an fränkischen Höfen (1600-1800) (= Stadt und Region in der Vormoderne; Bd. 1), Würzburg: Ergon 2014, 536 S., ISBN 978-3-95650-047-3, EUR 48,00
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