Die Bewegung größerer Truppenkörper über längere Strecken führt mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu einer Reihe von logistischen und pioniertechnischen Problemen, unter denen die Überquerung von Flussläufen mittels feldmäßig geschaffener Möglichkeiten bzw. das Übersetzen von Truppenkörpern mithilfe von Übersetzmitteln eine prominente Position einnimmt. Obwohl die Überlieferung zahlreiche Beispiele aus der Antike sowohl für die feldmäßige Schaffung von Überquerungsmöglichkeiten - zu den bekanntesten Beispielen zählt etwa die Rheinbrücke Cäsars - als auch für die Überwindung fließender Gewässer mittels Booten und anderen Übersetzhilfen kennt, hat die Forschung Flussüberquerungen bislang kaum Beachtung geschenkt. Die 88 Seiten umfassende und mit umfangreichen Text- und Bildanhängen versehene Studie von Robert Rollinger nimmt zum ersten Mal anhand von Beispielen aus dem Feldzug Alexanders des Großen detailliert das Problem der Flussüberquerung mit Übersetzmitteln in den Blick.
Nach einer kurzen Einleitung (1-4) widmet sich das erste Hauptkapitel (5-16) den verschiedenen Flussüberquerungen Alexanders und blickt dabei eingehend auf die literarische Überlieferung zu den einzelnen Ereignissen. In chronologischer Reihenfolge behandelt Rollinger die Überquerung der Donau im Sommer 335 v.Chr., des Oxos 329 v.Chr., des Iaxartes im gleichen Jahr, des Indus sowie des Hydaspes 326 v.Chr. sowie schließlich des Akesines gegen Ende desselben Jahres. In allen genannten Fällen kamen neben Booten und Flößen auch Schwimmhilfen zum Einsatz, deren Herstellung in den vorhandenen Quellen entweder als Ergebnis spontaner Improvisation verstanden oder aber als normale Vorgehensweise des Heeres Alexanders angesehen wird. Eine genaue Rekonstruktion der genannten Schwimmhilfen erlauben die vorhandenen Quellen allerdings nicht.
Daher behandelt das sich anschließende knappe (17-19) aber wichtige Kapitel die Frage nach der Praktikabilität der Verwendung von Schwimmhilfen. Rollinger zieht hierbei zu Vergleichszwecken nichtantike Beispiele heran; in den Anhängen versammeltes Textmaterial tritt ergänzend zu den Ausführungen des zweiten Kapitels hinzu. Rollinger kommt zu dem wichtigen Ergebnis, dass zwischen den noch in der Neuzeit benutzten, mit Luft gefüllten Schwimmschläuchen und den in der antiken Überlieferung erwähnten Schwimmhilfen des Alexanderheeres, die offenbar mit Auftrieb verleihendem Material gefüllt waren, signifikante Unterschiede bestanden haben müssen und erstere somit zur Erklärung der Funktionsweise der antiken Übersetzmittel nur von begrenztem Wert sind.
Wie wenig der sich daraus ergebenden Problematik - die auch die Frage einschließt, inwieweit der vorhandenen Überlieferung überhaupt Vertrauen geschenkt werden kann - bislang Beachtung geschenkt worden ist, zeigt der Überblick über den Stand der Forschung im nachfolgenden dritten Kapitel (20-26): Rollinger stellt deutlich heraus, dass die vom Heer Alexanders genutzten Schwimmhilfen - wenn sie denn überhaupt Erwähnung finden - gewöhnlich unter Hinweis auf nachantike Schwimmhilfen zu Produkten traditioneller Flussüberquerungstechniken erklärt werden, was angesichts der Ergebnisse des vorausgehenden Kapitels als Irrweg bezeichnet werden muss.
Im vierten Kapitel (27-33) fällt der Blick auf eine Erwähnung von Schwimmhilfen in vorhellenistischer Zeit, die sich zunächst für einen Vergleich mit den Hilfsmitteln Alexanders anzubieten scheint: in der Anabasis erwähnt Xenophon im Zusammenhang der Überquerung des Tigris durch die Griechen behelfsmäßig aus zusammengenähten Zeltplanen und leichtem Füllmaterial entstandene Schwimmhilfen, die sich allerdings bei näherer Betrachtung lediglich als Notbehelfe für die Übersetzung kleinerer Kontingente erweisen; Rollinger legt überzeugend dar, dass die von Xenophon erwähnten Schwimmhilfen für großmaßstäbliche Übersetzoperationen im Rahmen großer Feldzüge wie der des Alexanderzuges untauglich gewesen sein müssen.
Das fünfte Kapitel (34-57) untersucht daher eingehend Schwimm- und Übersetzhilfen in altorientalischen Quellenzeugnissen und geht der Frage nach, ob diese möglicherweise Alexander als Vorbild gedient haben könnten. Rollinger diskutiert zunächst ausführlich assyrische Bildzeugnisse aus dem 9.-7. Jahrhundert, die Hinweise auf zwei verschiedene Arten von schwimmschlauchartigen Schwimmhilfen bieten, einem kleinen Auftriebskörper, der lediglich zur Stützung des Oberkörper eines einzelnen Schwimmers diente, sowie einer größeren Übersetzhilfe, die auch den Transport von Ausrüstung ermöglichte. In einem zweiten Schritt blickt Rollinger dann auf assyrische Keilschrifttexte aus dem 11.-9. Jahrhundert, in denen die in den bildlichen Zeugnissen eindeutig nachweisbaren schwimmschlauchartigen Schwimmhilfen nicht mit gleicher Deutlichkeit zutage treten; Rollinger weist dabei aber ausdrücklich darauf hin, dass die Terminologie der Texte mehrdeutig ist und eine präzise Identifikation verschiedener Typen von Schwimmhilfen nicht möglich ist.
Im sechsten Kapitel (58-73) blickt Rollinger wieder auf den Alexanderzug und verknüpft die Ergebnisse der Analyse der altorientalischen Zeugnisse mit den Schilderungen des Alexanderzuges. Rollinger eröffnet angesichts der Beleglage zwei Möglichkeiten - zum einen könnten die makedonischen Flussübergangstechniken originär makedonisch gewesen sein, zum anderen könnte sich Alexander jedoch auch an altorientalischen Vorbildern orientiert haben, was dann aber in der Überlieferung verdunkelt worden sei. Rollinger weist die erstgenannte Möglichkeit zurück und argumentiert nachdrücklich für ein - von der auf Alexander fokussierten Überlieferung dann falsch dargestelltes - Zurückgreifen auf bewährte lokale Flussübergangstechniken. Im zweiten und dritten Teil des sechsten Kapitels blickt Rollinger dann auf persische Praktiken der Überwindung fließender Gewässer; dabei rücken insbesondere Behelfs- und Pontonbrücken in den Mittelpunkt.
Das siebte Kapitel (74-82) bietet schließlich einen Ausblick bis in die Spätantike, bei dem der Einsatz von Schlauchflößen, Schwimmschläuchen und vergleichbaren Schwimmhilfen im Rahmen des Ostfeldzuges von Kaiser Julians sowie des anschließenden Rückzugs unter Julians Nachfolger Jovian im Mittelpunkt steht.
Eine knappe Zusammenfassung bündelt die Ergebnisse der Studie; im Anschluss an den eigentlichen Text bietet Rollinger ausführliche Anhänge (89-113), bei denen es sich zumeist um Auszüge aus europäischen Reiseberichten des 19. und 20. Jahrhunderts handelt, die Schwimmschläuche und ähnliche Schwimmhilfen betreffen. Das Material dient vor allem zur Ergänzung der Ausführungen aus dem dritten Kapitel. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis, Personen- Orts- und Stellenregister (ein Sachregister bietet die Studie leider nicht) sowie ein ausgesprochen nützlicher Abbildungsteil mit insgesamt 70 Abbildungen beschließen den Band.
Auch wenn die von Rollinger vorgelegte Studie auf den ersten Blick knapp bemessen erscheinen mag, besitzt sie doch eine ganz erhebliche Bedeutung für die Auseinandersetzung mit dem antiken Pionierwesen. Rollinger hat sich nicht nur eingehend mit den der Untersuchung ihren Titel verleihenden Stromüberquerungen Alexanders auseinandergesetzt, sondern in der eingehenden Diskussion der orientalischen Zeugnisse eine wichtige Grundlage für künftige Beschäftigung mit antiken Flussüberquerungen gelegt. Die Lektüre von "Alexander und die großen Ströme" kann daher jedem am antiken Heerwesen Interessierten nur dringend geraten werden.
Robert Rollinger: Alexander und die großen Ströme. Die Flußüberquerungen im Lichte altorientalischer Pioniertechniken (Schwimmschläuche, Keleks und Pontonbrücken) (= Classica et Orientalia; Bd. 7), Wiesbaden: Harrassowitz 2013, XVI + 177 S., 70 s/w-Abb., ISBN 978-3-4470-6927-4, EUR 38,00
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