Der Sammelband besticht auf den ersten Blick durch seine bemerkenswerte Aktualität. Nicht erst seit der Hochphase des islamistischen Terrorismus, der sich als "9/11" in das kollektive, globale Gedächtnis eingebrannt hat, oder mit den noch nicht lange zurückliegenden Anschlägen in Paris am 13. November 2015 und Brüssel am 22. März 2016 standen westliche Gesellschaften vor einer Herausforderung, die weit über den nationalen Rahmen hinausging. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren, so die dem Band zugrunde liegende These, habe die "Auseinandersetzung mit Terrorismus [...] in den betroffenen westlichen Demokratien sowie in den internationalen Beziehungen eine neue innere Sicherheitspolitik" etablieren können, "die den Kern der liberalen Verfassungen berührte und den demokratischen Staat veränderte" (4).
Dieses in der Einleitung vorweggenommene Ergebnis dient nicht allein dem Werbezweck, an die politikwissenschaftlichen Bestseller zum "neuen Terrorismus" anzuknüpfen, sondern fußt auf einer mittlerweile über zehnjährigen, intensiven Beschäftigung mit dem Thema Terrorismus in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft. Hervorzuheben sind dabei vor allem die sozialhistorischen Pionierstudien an der Universität Bielefeld, die vergleichenden, auf staatliche Akteure fokussierten Arbeiten am Institut für Zeitgeschichte in München und neuere Studien aus dem Bereich der internationalen Geschichte. [1]
Bei der Lektüre wird schnell ersichtlich, dass der Band weniger zum Ziel hat, eine spezifische Argumentationslinie zu verfolgen, als vielmehr ein Forum für aktuelle Ansätze der vergleichenden und transnationalen Terrorismusforschung in der Geschichtswissenschaft zu bieten. Dabei fällt insbesondere die Vielfältigkeit der jeweiligen Zugänge auf. Deren Einteilung in drei themenspezifische Sektionen fällt dabei leider etwas grob aus: während der erste Teil zur "Inneren Sicherheitspolitik und staatlicher Gewalt" durch den deutsch-italienischen Vergleich vorstrukturiert ist, wie er zurecht von Johannes Hürter und Tobias Hof stark gemacht wird, orientiert sich der Großteil der Autoren im zweiten Teil zur "Inszenierung und Kommunikation" an der "performative[n] Funktion von Terrorismus" (93). Dieser vielversprechende Ansatz ist in der Terrorismusforschung auf die Arbeiten der Niederländerin Beatrice de Graaf zurückzuführen und wird von der Historikerin auch in diesem Band vertreten. Im dritten Teil geht es um die Bekämpfung des Terrorismus im internationalen Rahmen. Hier fallen insbesondere internationale und diplomatiegeschichtliche Studien ins Gewicht, deren analytischer Fokus auf konkreten staatlichen Institutionen und Vertretern liegt.
Der Band bietet insgesamt neue Fallstudienkonstellationen, in denen bislang unbekannte oder wenig beleuchtete Aspekte eingeordnet werden. So zeichnet etwa Tobias Hof in seinem aufschlussreichen Aufsatz zur Anti-Terrorismus-Politik in der Bundesrepublik, Italien und Großbritannien nach, welche zentrale Rolle die "italienisch-britischen Beziehungen" im Anschluss an die Entführung des Christdemokraten Aldo Moro durch die Roten Brigaden hatten (30). Interessanterweise gab es nicht nur in Italien Probleme hinsichtlich der unterschiedlichen Kompetenzbereiche der Sicherheitsbehörden, sondern auch im Kampf gegen die Irish Republican Army (IRA) in Großbritannien. Die Kombination von Vergleich und transnationaler Perspektive zeigt hier in anschaulicher Weise, in welchem Maße beide Regierungen ein Interesse an der sicherheitspolitischen Stabilität ihrer westeuropäischen Partner hatten. Mit dem Transfer versprachen sich die Akteure unter anderem, die Sicherheitsarchitektur im eigenen Land zu stärken.
Der Aufsatz von Kristina Kütt und Andreas Spreier zu staatlichen Narrativen über die Inhaftierung von Black Power-Aktivisten in den USA und IRA-Mitgliedern im Nordirlandkonflikt verdeutlicht nochmals die Vorzüge der Methode des historischen Vergleichs. Mithilfe ihres Performanz-Ansatzes können Kütt und Spreier überzeugend darlegen, inwieweit staatliche Akteure in beiden Ländern den öffentlichen Diskurs beeinflussten. Der jeweils spezifische Labelingprozess, dem die Aktivisten in den USA und in Großbritannien ausgesetzt waren, hatte sich für den "Staat" offenbar ausgezahlt: staatlichen Vertretern sei es gelungen, die (teils überzogenen und gewalttätigen) antiterroristischen Maßnahmen als ultima ratio und Reaktion auf die "men of violence", die eine Bedrohung der Demokratie dargestellt hätten, in der Öffentlichkeit zu legitimieren.
Positiv anzumerken ist außerdem die fundierte Quellenarbeit der Autoren. Eva Oberloskamp, beispielsweise, kann mit ihrem institutionsgeschichtlichen Ansatz zur TREVI-Konferenz dank des Ablaufs archivalischer Sperrfristen eine völlig neue Darstellung vorlegen. Oberloskamp deckt in ihrer Arbeit auf, wie die "geheimnisumwitterte" Tagung zu unterschiedlichen Zeitpunkten tatsächlich aufgebaut war. Aber nicht nur das: die Historikerin zeichnet zudem den Wandel der Institution und ihre überraschende Erfolglosigkeit nach. Die magere Bilanz sei nicht nur auf Differenzen von spezifischen Sicherheitsakteuren auf internationaler Ebene zurückzuführen, sondern auch auf Diskrepanzen zwischen den Diensten und Behörden auf nationaler Ebene. Anschaulich wird hierfür das Spannungsfeld zwischen den westdeutschen Akteuren aus Bundesinnenministerium, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz angeführt.
Kritisch anmerken ließe sich, dass im Großteil der Studien noch nicht der gesamte Zeitraum der 1980er Jahre analytisch überblickt wird und insbesondere spätere Entwicklungen staatlicher Terrorismusbekämpfung lediglich angeschnitten werden. So bleibt zum Beispiel offen, ob für die zweite Hälfte der 1980er Jahre, etwa für die Bundesrepublik und Frankreich, sich nicht auch gewisse Entliberalisierungstendenzen infolge repressiver Antiterrorpolitik feststellen ließen. Einen ersten Erklärungsversuch für den deutschen Fall bietet hier Gabriele Metzler. Die Berliner Historikerin konstatiert, dass die in den 1970er Jahren verabschiedeten "Antiterrorgesetze für eine Kontraktion im Prozess der Liberalisierung sorgten" (134); mit dem Abebben des Terrorismus in den 1980er Jahren habe der Staat offensichtlich sein Handlungsrepertoire verändert, so dass er heute sogar "viel radikaler als in den 70er Jahren" agiere (135). Diese These kann auch als Hinweis auf ein Desiderat und zukünftiges Forschungsfeld gelesen werden.
Insgesamt bildet der Sammelband weite Felder des aktuellen Stands der historischen Terrorismusforschung ab und ist allein aus diesem Grund mehr als lesenswert. Von Seiten des Herausgebers wäre allerdings eine noch stärkere Reflexion der doch sehr unterschiedlichen Ansätze wünschenswert gewesen. In einer (leider fehlenden) Zusammenfassung der Ergebnisse hätten die in der Einleitung angedeuteten Leitlinien letztlich noch stringenter herausgearbeitet werden können.
Anmerkung:
[1] Vgl. z.B. Klaus Weinhauer / Jörg Requate / Heinz-Gerhard Haupt (Hgg.): Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, Frankfurt/Main / New York 2006; Johannes Hürter / Gian Enrico Rusconi (Hgg.): Die bleiernen Jahre. Staat und Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland und Italien 1969-1982, München 2010; Jussi M. Hanhimäki / Bernhard Blumenau: An International History of Terrorism. Western and Non-Western Experiences, London / New York 2013.
Johannes Hürter (Hg.): Terrorismusbekämpfung in Westeuropa. Demokratie und Sicherheit in den 1970er und 1980er Jahren (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 104), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015, VI + 330 S., ISBN 978-3-486-76454-3, EUR 44,95
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