Der zu besprechende Band versammelt Beiträge einer Tagung, die im Juni 2012 unter dem Titel "Beginen. Eine religiöse Lebensform von Frauen in Geschichte und Gegenwart" an der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen stattfand. [1] Im Zentrum steht damit ein Thema, das Konjunktur hat und zu dem der Herausgeber Jörg Voigt selbst bereits eine der fundiertesten Studien der letzten Jahre beisteuerte. [2] Die Konjunktur resultiert im speziellen Fall des Bandes nicht allein daraus, dass die Erforschung von Phänomenen weiblicher Vita religiosa in den letzten Jahren erfreulicherweise generell intensiviert wurde, sondern auch aus dem Umstand, dass gerade das Beginentum des Mittelalters und der Frühen Neuzeit zu einer Projektionsfläche moderner Konzepte einer teils religiös orientierten, teils emanzipatorisch-alternativen Lebensführung von Frauen geworden ist, die sich selbst in einer historischen Kontinuität verorten. Dieser Konstellation Rechnung getragen zu haben, auch wenn moderne Beginen tatsächlich vielleicht nur wenig mit denen des Mittelalters verbindet, ist ein großes Verdienst der Herausgeber.
Seinen Schwerpunkt hat der Band jedoch in Mittelalter und Früher Neuzeit; er ist in vier Abschnitte gegliedert, mit denen versucht wird, die Beiträge hinsichtlich zentraler Forschungsperspektiven zu ordnen: I. Beginen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, II. Regional- und lokalhistorische Perspektiven, III. Spiritualität und Kultur des Beginenwesens, IV. Rezeptionsprozesse. Jeder Beitrag wird durch eine deutsche und eine englische Zusammenfassung erschlossen, was die Orientierung im Band, auch vor dem Hintergrund des fehlenden Registers, deutlich erleichtert. Die Abschnitte II und III sind die umfangreichsten, da für das Beginentum nur wenige generalisierende Aussagen getroffen werden können, sondern sich dieses - wie auch die einzelnen Studien dieser Sammlung verdeutlichen - durch einen außerordentlichen Facettenreichtum seiner Ausprägungen auszeichnet.
Der Band wird eröffnet durch sehr lesenswerte Beiträge von Jürgen Udolph und Jörg Voigt über "Ursprung und Verbreitung des Begriffs Begine aus sprachwissenschaftlicher und historischer Sicht" sowie noch einmal Jörg Voigt über die rechtliche Stellung des Beginenwesens und den status Beginarum. Nachvollziehbar und fundiert werden dabei Bedeutung und rechtliche Implikationen des Begriffs "Begine" in ihrer historischen Genese vorgestellt. Dass die Entwicklung gleichwohl mit der Etablierung des Begriffs nicht abgeschlossen war, wurde jüngst an anderer Stelle ausgeführt. [3] Bei der Frage nach dem rechtlichen Status der Beginen kommt Voigt auch auf das von Elm entwickelte Konzept des Semireligiosentums zu sprechen (63-67), das er für wenig geeignet zur Charakterisierung des Beginentums hält. Doch teilen nicht alle Beiträger des Bandes die Bedenken des Herausgebers (vgl. 91). Eine Verbindung von Mikro- und Makroperspektive bietet Nicole Priesching in ihrem Aufsatz zum "Beginenwesen in der Frühen Neuzeit", mit dem sie zugleich einen Forschungsstand abbilden und Forschungsperspektiven für künftige Arbeiten aufzeigen möchte. Anhand von drei Fallbeispielen untersucht sie zudem den Einfluss der Konfessionen auf die Beginen im katholischen Bamberg, im evangelischen Minden und in Essen, wo eine wesentlich evangelische Stadt einer katholischen Fürstäbtissin unterstand.
Damit ist zugleich die Überleitung zum zweiten Abschnitt geglückt, in dem regionale wie lokale Befunde präsentiert werden, wobei nun wieder das Spätmittelalter im besonderen Fokus steht. Untersucht werden das Elsaß (Elisabeth Clementz), Koblenz (Sigrid Werner), Osnabrück (Karsten Igel), die bayerischen Bischofsstädte Würzburg, Bamberg, Eichstätt, Regensburg, Freising und Passau (Hannah Hien) sowie Braunschweig (Elisabeth Sandfort). Möglicherweise wäre hier eine tendenziell einheitliche Untersuchungsmatrix hilfreich gewesen, da die verschiedenen Beiträge nicht nur jeweils verschiedene Phänomene und Aspekte in den Blick nehmen, sondern zum Teil auch mit verschiedenen Begrifflichkeiten operieren, was den strukturellen Vergleich erschwert. Ein moderierendes Eingreifen der Herausgeber hätte hier sicherlich zu einer stärkeren Kohärenz geführt.
Gleich zwei Beiträge des folgenden Abschnitts zu "Spiritualität und Kultur des Beginenwesens" sind der einzigartigen Bibliothek des Hamburger Beginenkonvents gewidmet, die in der dortigen Staats- und Universitätsbibliothek überliefert ist. Während Hans-Walter Stork in die Geschichte dieser Sammlung sowie die Inhalte der Codices einführt, nimmt Christian Schmidt die in sechs der vierzehn Handschriften überlieferten Gebetszyklen in den Blick. Er kann dabei nicht nur zeigen, dass die Hamburger Beginen wesentliche Impulse ihrer Frömmigkeitspraxis von Seiten der Lüneburger Frauenklöster empfingen, sondern auch, welche spezifischen medialen Formen die Gebetszyklen im Hamburger Konvent erfuhren. Weitere Beiträge sind den "Frauenpredigten" Meister Eckharts (Dietmar Mieth) und den Lebensbeschreibungen der Gertrud Rickeldey von Ortenburg und ihrer Gefährtin Heilke von Staufenberg gewidmet (Anneke B. Mulder-Bakker), die aber aufgrund ihres rechtlichen Status ausdrücklich nicht als Beginen bezeichnet werden (293-7). Marco A. Sorace schließlich entwickelt Perspektiven der Architektur- und Kunstgeschichte, die jüngst auch an anderer Stelle dargestellt wurden. [4]
Im letzten Teil des Bandes stehen "Rezeptionsprozesse" im Blickpunkt des Interesses und damit Fragen nach den Prägungen, denen die modernen Bilder vom Beginentum unterlagen: Bernward Schmidt wirft hier einen Blick auf "Das Beginen-Bild in der Kirchen- und Konziliengeschichtsschreibung", und kann dabei die Veränderungen des jeweiligen Rahmens nachzeichnen, in dem von Beginen die Rede war. Die Wahrnehmung Mechthilds von Magdeburg als Begine untersucht Balázs J. Nemes unter Bezug auf werkimmanente Kriterien ebenso wie unter Berücksichtigung sich wandelnder forschungsgeschichtlicher Paradigmen. Rosel Oehmen-Vieregge schließlich widmet sich im abschließenden Beitrag den "Beginen im 20. Jahrhundert". Sie beleuchtet dabei die Entstehung dieser neuen Beginen, ihre Wohnsituationen und selbstgewählten Aufgaben. Gleichwohl auch für Oehmen-Vieregge die "historischen Bezüge eher konstruiert sind" (365), hebt sie nachvollziehbar deren Bedeutung als wichtigen "Bezugspunkt für alternativ-spirituelle Lebenskonzepte von Frauen" (366) hervor.
Der gelungene Band überzeugt durch die Gewichtung der Beiträge ebenso wie durch deren Gehalt. Er vermag den Facettenreichtum der zu verschiedenen Zeiten unter dem Begriff des Beginentums zusammengefassten Phänomene anschaulich zu präsentieren und damit dem Leser einen guten Blick auf den gegenwärtigen Stand der Beginenforschung zu vermitteln.
Anmerkungen:
[1] http://www.hsozkult.de/event/id/termine-18949
[2] Jörg Voigt: Beginen im Spätmittelalter. Frauenfrömmigkeit in Thüringen und im Reich (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe; Bd. 32), Köln 2012.
[3] Letha Böhringer / Jennifer Kolpacoff Deane / Hildo van Engen (Hgg.): Labels and Libels. Naming Beguines in Northern Medieval Europe (= Sanctimoniales 1), Turnhout 2014.
[4] Letha Böhringer: Beginenhöfe, in: Geist und Gestalt. Monastische Raumkonzepte als Ausdrucksformen religiöser Leitideen im Mittelalter (= Vita regularis. Abhandlungen 69), hg. v. Jörg Sonntag, Berlin 2016, 341-65.
Jörg Voigt / Bernward Schmidt / Marco A. Sorace (Hgg.): Das Beginenwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit (= Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte; Bd. 20), Stuttgart: W. Kohlhammer 2016, 366 S., zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-17-030946-3, EUR 69,00
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