In der in den letzten zehn Jahren rasch gewachsenen Reihe "Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter" ragt dieser Band qualitativ und inhaltlich heraus. Gut lektoriert und fast fehlerfrei gedruckt, bietet er auf relativ wenigen Seiten mit guten Illustrationen viele Aspekte franziskanischen Lebens von Assisi bis Wales, von Brandenburg bis Regensburg. Diese Aspekte werden exemplarisch an einzelnen Klöstern aufgezeigt, ragen aber umso besser hervor, als sie - wie es der Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte in Dresden und somit dieser Buchreihe entspricht - mit anderen Orden, zumal jenem der Dominikaner, verglichen werden. Die Mendikanten, die aufgrund ihres Armutsgelübdes betteln durften, verbreiteten sich dank ihres öffentlichen Auftretens und ihrer Predigt im 13./14. Jahrhundert rasant und entwickelten Lebens- und Wirkungsräume, die sich von jenen der Benediktiner und Augustiner beträchtlich unterschieden. Wie sie ihre Klöster anlegten, ihre Konvente strukturierten und ihre Beziehungen zur Stadt gestalteten, welche Symbolik oder geistlichen Werte dahinter standen - all das ist Thema dieses innovativen Bandes, der sich der Zusammenarbeit mehrerer akademischer Institute verdankt.
Die insgesamt zwölf Studien sind in vier Gruppen unterteilt: Im I. Block geht es um Forschungsfragen bei der so uneinheitlichen "Architektur der Franziskanerklöster" (Leonie Silberer) und um "Fehlbenennungen von Klosterräumen und ihr Effekt auf die Forschung" (Matthias Untermann). Im größten II. Block um "Raumstrukturen, -symbolik und ideale Vorstellungen des Franziskanerklosters". Aufgrund ihrer Mobilität und Besitzlosigkeit hatten die ersten Brüder um Franziskus keine Häuser, sondern weilten an verschiedenen Orten (loca), so auch in eremis. Für die dort weilenden Brüder ist erstmals von einem claustrum die Rede, geschützt von den "Müttern", die in einer Art Pufferzone zwischen Kloster und Welt leben. Die Polarität zwischen Kontemplation in der Einöde und Predigt in der Welt ist dem Orden von Anfang an mitgegeben und prägt ihn für Jahrhunderte, auch wenn schon die zweite Generation von Franziskanern "die Einsamkeit durch den Einbau von Zellen in ihre Häuser holte" (55). Es bleibt die symbolische Bedeutung der Räume, die an Gewicht zunimmt, je monastischer und sesshafter die peregrini et advenae werden. Diese Entwicklung beschreibt Sebastian Mickisch (Gedachter und gebauter Raum im Spannungsfeld von Innen und Außen [...] von Franziskus bis Bonaventura, 45-72). Wie für die innere Organisation des Gemeinschaftslebens auch auf das Vorbild der Natur verwiesen wird, zeigt das Bienenbuch des Dominikaners Thomas von Cantimpré (1201-1263) (Julia Burkhardt: Die Welt der Mendikanten als Bienenschwarm (73-88)). Obwohl von den drei Klöstern der Region keine materielle Substanz mehr erhalten ist, eruiert Anne Müller "Raumstrukturen der Franziskaner in Wales" (89-104) aus Akten und Urkunden der königlichen Kanzlei und aus wenigen Inventaren aus der Auflösungszeit der Klöster.
Gert Melville zeigt in einem Beitrag (Franziskus von Assisi und die räumlichen Muster der «vita eremitica», 105-123), wie sehr der Ordensgründer auf die ganze Welt ausgriff, sich aber dann doch wieder aus der Welt zurückzog und dies auch seinen Gefährten empfahl. Die Lösung dieser Spannung sieht er in dem Franziskus-Wort: "Wo immer wir gehen und stehen, tragen wir die Zelle mit uns". Hier wird der Widerspruch von Weltflucht und Weltapostolat aufgelöst. Franziskus "machte das innere Haus der Seele beweglich, indem er im Leib deren umhüllende Zelle sah. Nunmehr war beides möglich: sowohl eine Wirkstätte zu haben, die die ganze Welt umfasste und das Evangelium mitten unter den Menschen verkündigen ließ, als auch einen Ort der Verstecktheit zu nutzen, wo der Staub der Welt zeitweise abgeschüttelt werden konnte und wo sich individuelle Erfahrungen der Gottesnähe sammeln ließen" (122).
Der III. Block kennzeichnet "Franziskanische Klosterräume und ihre Nutzung". Dazu gehört seit 1219 das Noviziat als Zeit und Raum der Einführung in den Orden. Aufgrund seiner früheren ordensvergleichenden Studien situiert Mirko Breitenstein "Das franziskanische Noviziat zwischen Tradition und Innovation" (127-139). Das unterscheidend Neue war das Postulat der Armut, das aber zum Zankapfel unter den Brüdern wurde. Wie das 1234 gegründete Kloster in Görlitz in der Reformationszeit unter die Kontrolle des Rates der Stadt geriet, beschreibt Christian Speer (Das Verhältnis von Franziskanern und Stadt am Beispiel Görlitz, 141-163). Streit gab es mit den Pfarrern wegen pastoraler Zuständigkeiten und mit dem Rat wegen des Bierausschanks im Klosterhof. Je mehr Ratsherren evangelisch wurden, desto geringer wurde das Interesse am Kloster, das schließlich in eine Schule umgewandelt wurde. Wie in Görlitz waren auch in Regensburg Bestattungen eine wichtige Einnahmequelle und darum ein Streitpunkt mit dem Weltklerus, zudem ging es auch um die Klausur (Walburga Knorr: Bestattungen im Kloster am Beispiel Regensburg und die Frage öffentlicher Zugänglichkeit, 165-187). Auch hier erfolgte nach Einführung der lutherischen Lehre die Übergabe des Klosters an den Rat. Heute ist es mit der Minoritenkirche (Abb. 4-5) als Historisches Museum eingerichtet.
Im IV. Block geht es um Baubefunde im Südosten Irlands und in Brandenburg. Annejulie Lafaye interpretiert Reste von einem Dutzend "Mendicant friaries in East Munster" als "Spaces of circulation" (191-215). Um Zeit, Raum und Geld zu sparen und für Laien erreichbar zu sein, habe man "Räume der Zirkulation" gebaut. Einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Funktion und Gestaltung sieht Dirk Schumann (Franziskanisches Bauen in der Mark Brandenburg im 13. und 14. Jahrhundert, 217-247). In seinem Fokus stehen die Klöster in Ziesar, Prenzlau und Angermünde. Von Ergebnissen jüngster Ausgrabungen berichten Joachim Müller und Dietmar Rathert (Die Klausurbauten des Franziskanerklosters St. Johannis in der Altstadt von Brandenburg an der Havel, 249-274).
Die im Untertitel genannten drei Substantive durchziehen alle Beiträge und qualifizieren dieses Buch als Novum. Während die Architektur der Bettelordenskirchen reichlich erforscht ist, rücken die Klöster erst seit wenigen Jahren ins Blickfeld bauhistorischer wie ordensgeschichtlicher Forschung. Hier liegt somit ein erster Werkstattbericht vor über archäologische und archivarische Funde, Verbindungslinien zu anderen Orten, symbolische Hintergründe und mit Impulsen für weitere Forschungen.
Gert Melville / Leonie Silberer / Bernd Schmies (Hgg.): Die Klöster der Franziskaner im Mittelalter. Räume, Nutzungen, Symbolik (= Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter. Abhandlungen; Bd. 63), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2015, IX + 274 S., Zahlr. Farb-, s/w-Abb., ISBN 978-3-643-12921-5, EUR 39,90
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