In ihrem Buch widmet sich Friederike Kind-Kovács einem bisher kaum beachteten Aspekt der Geschichte von Dissens und Opposition im Osteuropa des Kalten Krieges - dem Tamizdat, der Publikation verbotener oder non-konformer Texte im westlichen Ausland. Hierbei, so Kind-Kovács' übergreifende These, handelte es sich nicht allein um ein Publikationsprojekt. Um den Tamizdat habe sich vielmehr eine transnationale literarische Gemeinschaft mit eigenen kulturellen Praktiken, Debatten und Netzwerken entwickelt, die sowohl die Landesgrenzen innerhalb des Ostblocks als auch den vermeintlichen Eisernen Vorhang überwunden hätten. Die Autorin versteht ihr Buch daher auch als Vorschlag für eine alternative Geschichte des Kalten Krieges, welche die Idee einer hermetischen Grenze zwischen Ost und West hinter sich lässt.
In vier sehr umfangreichen Kapiteln widmet sich Kind-Kovács zunächst den Anfängen des Tamizdats in Boris Pasternaks Doktor Schiwago, der Verurteilung der sowjetischen Autoren Yuli Daniel und Andrej Sinjavskij für Tamizdat-Publikationen im Jahr 1966 und dem Schicksal Aleksandr Solženicyns. Die folgenden Kapitel sind dann einer eher systematisch als chronologisch angelegten Analyse gewidmet. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den drei Hauptakteursgruppen des Tamizdat - dem literarischen Untergrund in Mittel- und Osteuropa, den Emigrationsmilieus in Westeuropa und den USA sowie den westlichen Herausgebern und Verlagen. In Kapitel 3 fragt die Verfasserin danach, wie Texte durch Schmuggel, die Sendungen von Radio Free Europe (RFE) und Radio Liberty sowie die Mithilfe von Diplomaten den Eisernen Vorhang physisch überquerten. Im letzten Kapitel widmet sie sich dem durch Tamizdat ausgelösten Ideenaustausch, wobei sie besonderes Augenmerk auf die Bedeutung von Menschenrechtsdiskursen und die Mitteleuropa-Idee legt.
Insgesamt gelingt es Kind-Kovács, ihr Vorhaben auf beeindruckende Weise umzusetzen. In den vier Kapiteln zeichnet sie ein vielschichtiges Porträt transnationaler Interaktionen zwischen Intellektuellen in Ost und West. Dabei wird deutlich, dass Tamizdat und sein Pendant, der Samizdat (die illegale Selbstpublikation im eigenen Land), nicht einfach nur neutrale Medien, sondern komplexe und voraussetzungsreiche kulturelle Praktiken waren. Bei der Darstellung der Motivationen und Bedingungsmöglichkeiten dieser Praktiken beeindruckt insbesondere die Rekonstruktion der Kanäle und Kommunikationswege, über die Texte und Ideen zwischen Ost und West zirkulierten. Ihre Darstellung der Arbeit von RFE und anderen, im Wesentlichen durch den Kalten Krieg initiierten Initiativen bewegt sich jenseits der heroisierenden beziehungsweise kritischen Studien, welche die Forschung zu diesen Institutionen prägen, und hilft damit eine wichtige Lücke in der Geschichte des Kalten Krieges und dem Aufkommen von Oppositionsbewegungen in Mittel- und Osteuropa zu schließen. Damit treten zwei weitere, in der Forschung wenig beachtete Personenkreise ins Zentrum der internationalen Zeitgeschichte - die Emigrationsmilieus, die als wichtige Mittler für die Texte und Ideen non-konformer Autoren fungierten, und Diplomaten, die sich als Kuriere betätigten. Die durchgehende Thematisierung geschlechterhistorischer Fragestellungen rundet die komplexe Darstellung von Kind-Kovács ab, und wenngleich ihre Diskussion von Menschenrechtsideen noch zu stark der gängigen Fokussierung auf die Helsinki-Schlussakte von 1975 folgt, wird ihr Buch damit doch anschlussfähig für die neuere Geschichte der Menschenrechte.
Nicht ganz so überzeugend erscheint demgegenüber die Charakterisierung der Autoren von Samizdat und Tamizdat als "literary underground". Nicht allein die von Kind-Kovács mehrfach zitierten Pavel Litvinov, Adam Michnik und G. M. Tamas dürften sich kaum als Literaten, sondern als politische Akteure oder zumindest als Menschenrechtsaktivisten verstanden haben. Streckenweise ist die Diskussion der Autoren des Tamizdat auch zu undifferenziert. Unterschiede zwischen einzelnen Ländern, Akteursgruppen und Zeitabschnitten werden bestenfalls angedeutet, sodass die ČSSR sogar als "Soviet-governed" bezeichnet wird (108). Teilweise scheinen diese Probleme aus einem unkritischen Umgang mit Memoiren, Interviews und dem Tamizdat selbst herzurühren. Auch wären dem Buch noch klarere Leitideen und Hypothesen zu wünschen gewesen, die die etwas zu lang geratene Darstellung strukturiert, gestrafft und in eine noch systematischere Analyse integriert hätten.
Trotz dieser kleineren Schwächen handelt es sich bei dem Buch von Kind-Kovács also um eine überaus wichtige und verdienstreiche Arbeit. Die Arbeit non-konformer Intellektueller in Mittel- und Osteuropa, so zeigt sie, fand vor einem transnationalen Horizont statt, ohne den sie nicht verständlich wird und den sie wesentlich mitgestaltete. Written Here, Published There leistet mit dieser Erkenntnis einen wichtigen Beitrag zur Geschichte staatssozialistischer Gesellschaften und des Kalten Krieges und trägt dazu bei, diese Forschungsfelder transnational zu erweitern, kulturgeschichtlich zu öffnen und sie an umfassendere Diskussionen zur Geschichte der Menschenrechte oder der Entstehung transnationaler Öffentlichkeit anschlussfähig zu machen.
Friederike Kind-Kovács: Written Here, Published There. How Underground Literature Crossed the Iron Curtain, Budapest: Central European University Press 2014, xvi + 504 S., ISBN 978-963-386-022-9, EUR 57,00
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