In ihrer umfangreichen Studie untersucht Annika Biss die Internationalisierung der Bayerischen Motoren Werke AG vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis ins Jahr 1981. In diesem Zeitraum entwickelte sich der Münchner Automobilhersteller von einem hauptsächlich für den bundesdeutschen Binnenmarkt produzierenden zu einem global vernetzten, international agierenden Unternehmen. Die Autorin zeichnet diese Entwicklung detailliert, methodisch versiert und quellennah nach. Während neben branchenspezifischen und -übergreifenden Arbeiten [1] historiographische Internationalisierungsstudien zu den Automobilkonzernen Daimler-Benz [2], Jaguar/Porsche [3] und Volkswagen (für die 1950er und 1960er Jahre) [4] bereits vorliegen, suchte man diese für BMW bisher vergeblich.
Biss unterscheidet drei "Internationalisierungsphasen", die sie jeweils in einem Dreischritt (Personalpolitik - Vertriebspolitik - Kommunikationspolitik) untersucht. Auch wenn die Phasenabgrenzungen bisweilen etwas konstruiert wirken, da die Zäsuren der vielschichtigen Prozesse nicht immer mit ihnen zusammenfallen, bietet sich die Einteilung aus analytischen und strukturellen Gründen an. Zur Analyse der in diesen Phasen maßgeblichen Akteure rekurriert Biss neben dem (erweiterten) Marketing-Mix-Konzept auf Theorien der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ). Während ersteres aus dem Bereich des operativen Produktmarketings stammt, geht es in der NIÖ nicht zuletzt um Machtbeziehungen, Interaktionen und soziale Konflikte sowohl innerhalb als auch außerhalb von Institutionen. Auf diese Weise rücken die Interessen- und Aneignungskonflikte zwischen der BMW AG und den Importeuren sowie den ausländischen Händlern ins Zentrum.
Erste Phase (1945-1960): Nachdem mit der Wiederaufnahme der Automobilproduktion die ersten Anlaufschwierigkeiten überwunden worden waren, fokussierte sich die BMW-Leitung in den Jahren ab 1948 (Motorräder) beziehungsweise 1952 (PKW) vor allem darauf, Segmente des heimischen Automobilmarkts zurückzugewinnen oder neu zu erschließen. Die Dekade von 1950 bis 1960 erscheint innerhalb der Unternehmensgeschichte als Krisenzeit, an dessen Ende die geplante, dann aber noch knapp vereitelte Übernahme durch Daimler-Benz 1959 stand. Zu Beginn der 1950er Jahre stagnierte die Exportquote zunächst (1953 bis 1956: 17-18%), um ab 1957 deutlich anzusteigen (1959: 30%; 1960: 35%). Getragen war der Export maßgeblich durch den Auslandsverkauf von Motorrädern. Da BMW bis 1957 weder Vertriebsgeschäfte (bis auf eines in Kanada, das jedoch bald wieder geschlossen wurde) noch andere Direktinvestitionen tätigte, markiert die erste Phase jedoch tatsächlich nur die "Initialisierung der Internationalisierung" (229). Sie war geprägt durch situative, "vornehmlich zufallsgetriebene Vertriebspolitik" (224), die unter anderem durch "bis dato gering ausgeprägte [...] Erfahrungen" und ein "stark begrenztes Wissen im internationalen Handel" (173) verursacht war.
Zweite Phase (1961-1970): Aufgrund personeller und struktureller Faktoren steigerte die BMW AG den PKW-Export bis 1970 um das Dreifache, obwohl auch in der zweiten Internationalisierungsphase Motorräder den Löwenanteil des Exportgeschäfts ausmachten. Diese für das Unternehmen erfreuliche Entwicklung wurde allerdings konterkariert durch die hohen Margen der BMW-Importeure und -Händler, die zudem teilweise in Personalunion auftraten und ihren Anteil so verdoppelten. Da sich das Unternehmen beim Aufbau einer internationalen Infrastruktur immer noch zurückhielt beziehungsweise sich aus Kapazitäts- und Kostengründen zurückhalten musste, "verfügten Importeure [...] über einen großen Handlungsspielraum in den Bereichen Vertrieb und Kommunikation" (388). Auch wenn BMW zunehmend auf Montagekooperationen im Ausland setzte - ab den 1960er Jahren auch im Bereich der Mittelklassewagen -, blieb deren Ausmaß vor allem im Vergleich mit denen der bundesdeutschen Wettbewerber Daimler und VW gering. Dennoch: In die Zeit der zweiten, intensivierten Internationalisierungsphase fiel nicht nur die Übernahme des Montagewerks in Südafrika, des ab 1972 ersten firmeneigenen BMW-Produktionsstandorts, sondern auch eine strategische Neuausrichtung in Sachen Bündelung, Homogenisierung und Kontrolle von Import und Auslandsgeschäft.
Dritte Phase (1971-1981): Für die 1970er Jahre kann von einem regelrechten Internationalisierungsschub bei BMW gesprochen werden, der sich einerseits in einer zunehmenden Institutionalisierung, Internalisierung und Zentralisierung des Auslandsvertriebs, andererseits in den weiter wachsenden Exportquoten niederschlug. So gründete das Münchner Unternehmen ab 1973 elf ausländische Vertriebsgesellschaften, unter anderem in den USA und Japan, sowie eine Finanzierungsgesellschaft. Gleichzeitig begann BMW die Tochterunternehmen so zentral wie möglich und so offen wie nötig zu koordinieren. Während die übergreifende Vertriebsstrategie vom Münchner Stammhaus ausging und dann über Personalentsendungen und regelmäßige Berichte in die Auslandsdependancen gelangte, sollte letzteren ein kultureller und marktspezifischer Handlungsspielraum vorbehalten bleiben. Diese Vorgehensweise war erfolgreich: Der Export von PKW stieg während des Jahrzehnts um 169 Prozent an, der von Motorrädern um 97 Prozent - und das, obwohl der Motorradexport schon zu Beginn der 1970er Jahre sehr hohe Werte erreicht hatte. Am Ende dieser dritten Phase überstieg der Auslandsabsatz den des Inlandes - die BMW AG war ein moderner Global Player, der zu diesem Zeitpunkt selbst mächtige Inlandskonkurrenten wie Daimler-Benz hinsichtlich der international ausgerichteten Konzernstrukturen übertraf.
Am Ende des Buchs liefert Biss ein Porträt des BMW-Tochterunternehmens BMW South Africa. Dieses Kapitel kann als Glanzstück der Studie gelten, da die Autorin die oftmals recht allgemein gehaltenen Ausführungen zu den Internationalisierungsphasen am Fallbeispiel der BMW-Tochtergesellschaft in Rosslyn veranschaulicht. Gleichzeitig arbeitet sie die historischen Spezifika und politischen Rahmenbedingungen heraus. Während das Münchner Unternehmen bis zum Jahr 1972 sein Auslandsgeschäft, auch in Südafrika, vor allem über Importeurs- und Montagepartner betrieben hatte, nahm es mit der Mehrheitsbeteiligung an der Montage- und Vertriebsgesellschaft BMW SA sein Auslandsgeschäft nun selbst in die Hand. Dabei stellten sich jedoch auch Schwierigkeiten für das in diesem Bereich noch relativ unerfahrene Unternehmen ein. Nicht nur lagen die Absatzzahlen bis zum Jahr 1974, als BMW zum alleinigen Anteilseigner der BMW SA wurde, deutlich unter den Zielvorgaben. Die BMW-Tochter konnte aufgrund der Personalsituation in Südafrika und anhaltender Produktions- und Koordinationsprobleme anfangs den europäischen Qualitätsstandard nicht aufrechterhalten. Hinzu kamen spätestens in den 1970er Jahren sozialpolitische Spannungen in der südafrikanischen Gesellschaft und der zunehmende internationale Druck aufgrund des repressiven Apartheimregimes. Es gelang dem Unternehmen jedoch nach und nach, die Schwierigkeiten zu überwinden. Der dadurch eingeleitete Lernprozess sollte sich in den folgenden Jahrzehnten dann auch "positiv auf die Gründungen späterer Gesellschaften im Ausland" (740) auswirken.
Jenseits der ausgetretenen Pfade offiziöser oder populärwissenschaftlicher Unternehmensgeschichtsschreibung bietet Annika Biss' Buch einen vielschichtigen Einblick in die Internationalisierung eines Unternehmens, dessen weltweite Erfolgsgeschichte während des "Wirtschaftswunders" zunächst kaum abzusehen war. Diese Erfolgsgeschichte der Bayerischen Motoren Werke, die im Zeitalter der Globalisierung ihren Höhepunkt erreichte, wäre ohne die Öffnung für internationale Märkte kaum möglich gewesen. Annika Biss' Studie zeigt instruktiv, wie BMW diese Neuerungen umsetzte.
Anmerkungen:
[1] James Rader: Penetrating the U.S. Auto Market. German and Japanese Strategies 1965-1976, Michigan 1980; Michel Freyssenet / Shimizu Koichi / Giuseppe Volpato (eds.): Globalization or Regionalization of the European Car Industry?, Basingstroke u.a. 2003; Götz Hanjo Borsdorf: Die Internationalisierung deutscher Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1973, Aachen 2007.
[2] Elfriede Grunow-Osswald: Die Internationalisierung eines Konzerns. Daimler-Benz 1890-1997, Vaihingen/Enz 2006.
[3] Sonia Landenberger: Die Internationalisierung der Marken- und Produktkommunikation am Beispiel der Marken Jaguar und Porsche, Stuttgart 2008.
[4] Volker Wellhöner: "Wirtschaftswunder" - Weltmarkt - westdeutscher Fordismus. Der Fall Volkswagen, Münster 1996; Claudia Nieke: Volkswagen am Kap. Internationalisierung und Netzwerk in Südafrika 1950 bis 1966, Wolfsburg 2010.
Annika Biss: Die Internationalisierung der Bayerischen Motoren Werke AG. Vom reinen Exportgeschäft zur Gründung eigener Tochtergesellschaften im Ausland 1945-1981 (= Perspektiven. Schriftenreihe des BMW Group Archivs; Bd. 6), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2017, X + 793 S., 42 Farb-, 15 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-050013-4, EUR 99,95
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