1962 veröffentlichte der Hamburger Afrikanist Rolf Italiaander mit seinem Buch Schwarze Haut im roten Griff eine eindringliche Warnung an den Westen, Afrika nicht widerstandslos den kommunistischen "Weltherrschaftsplänen" zu überlassen. [1] Am Höhepunkt des Kalten Krieges und in den entscheidenden Jahren der afrikanischen Dekolonisation diagnostizierte Italiaanders material- und kenntnisreiches, aber ideologisch eindeutig positioniertes Buch einen nachkolonialen "scramble for Africa", mit dem auch die politische Zukunft der Welt auf dem Spiel stünde. Viele Aspekte der afrikanisch-kommunistischen Verbindungen, aber auch fotografische Dokumente von Staatsbesuchen und völkerverbindenden Austauschprojekten, lassen sich - weit differenzierter betrachtet - in dem Buch Red Africa wiederfinden, das Mark Nash 2016 zum Abschluss eines Ausstellungs- und Forschungsprojekts zum Begriff der "sozialistischen Freundschaft" herausgegeben hat.
Das Buch behandelt die politischen und kulturellen Beziehungen der Sowjetunion, Chinas, Nordkoreas, Kubas und Jugoslawiens zu den antikolonialen Bewegungen auf dem afrikanischen Kontinent sowie den Einfluss dieser Länder auf die nachkolonialen Nationsbildungen, Bürgerkriege und Diktaturen. Die zwischen Ausstellungskatalog und Lesebuch angesiedelte Publikation beleuchtet die konkreten Formen sozialistischer Internationalität, Solidarität, Freundschaft und strategischer Allianz aus einer post-1989-Perspektive und in erster Linie durch das Prisma künstlerischer Auseinandersetzungen mit der sozialistischen Geschichte afrikanischer Länder. Die 2016 in der Calvert 22 Foundation in London sowie im Iwalewahaus in Bayreuth ausgestellten Arbeiten dokumentieren u.a. nordkoreanische Monumente in Zimbabwe, Senegal und Gabun (Che Onejoon) - die beiden Koreas wetteiferten um Stimmen afrikanischer Nationen in der UNO -, Straßenmalereien mit Porträts von Fidel Castro und Leonid Breschnew in Angola (Jo Ractliffe) oder sowjetisches Werbematerial für Stipendienprogramme (Yevgeniy Fiks).
Als die Sowjetunion 1991 in Auflösung begriffen war, hielten sich noch etwa 50.000 afrikanische Studentinnen und Studenten im Lande auf. Einen Einblick in die Erfahrungen von Stipendiatinnen und Stipendiaten zwischen fachlicher Ausbildung und Ideologietraining an russischen Universitäten seit den 1960er-Jahren geben der Aufsatz von Polly Savage und die von Burt Caesar ursprünglich für eine Radiosendung zusammengestellte Sammlung von Erinnerungen ehemaliger Studentinnen und Studenten. Kate Cowcher analysiert in ihrem Beitrag die Verfahren, mit denen äthiopische Künstlerinnen und Künstler, die während des sowjetgestützten Derg-Regimes der 1970er- und 1980er-Jahre ihre sozialistisch-realistische Schulung erfuhren, die in Moskau angeeigneten Techniken in neue Ästhetiken mit lokalen Bezügen übersetzten. Ebenso nah an der Kunstpraxis ist Nadine Siegerts Aufsatz zu Nostalgie und Utopie in der angolanischen Gegenwartskunst, der die künstlerischen Entwicklungen des Landes überzeugend im Kontext von Unabhängigkeits- und Bürgerkrieg sowie den entsprechenden theoretisch-ideologischen Frontstellungen seit den 1970er-Jahren verortet. Solche kunstspezifischen Artikel ergänzen sich gut mit dem politisch-literarischen Fokus anderer Aufsätze. So beschreibt Manuela Ribeiro Sanches am Beispiel der Reiserouten (Lissabon, Paris, Taschkent, Peking), intellektuellen Beziehungen und politischen Allianzbildungen des angolanischen Unabhängigkeitsaktivisten Mário Pinto de Andrade die Formation eines "(Black) Cosmopolitanism" in der transnationalen Organisation der Befreiungsbewegungen.
Von Ousmane Sèmbene und Sarah Maldoror in den 1960er-Jahren bis zu Abderrahmane Sissako in den 1980ern wurden viele afrikanische Filmemacher in Moskau ausgebildet. Da dem Film in vielen Unabhängigkeitsbewegungen eine zentrale Rolle zukam und das sowjetische wie auch das kubanische Kino für den afrikanischen Film besondere Bedeutung hatten, überwiegen in Red Africa Arbeiten mit Film-Bezug. Ângela Ferreira greift in ihren modellartigen Skulpturen Studies for monuments to Jean Rouch's Super 8 film workshop in Mozambique das Konzept der "politischen Kamera" im kollektiven Film des antikolonialen Mosambik auf. In seiner Fotoserie Fantôme Créole Series konfrontiert Isaac Julien die große Zeit des afrikanischen Filmfestivals von Ouagadougou (FESPACO) mit dem heutigen Kinoalltag in Burkina Faso. Alexander Markov kompiliert in Our Africa Filmmaterial der 1960er-Jahre aus dem staatlichen russischen Filmarchiv, um die "imaginäre Konstruktion des sozialistischen Afrika" (44) zu veranschaulichen. Und Milica Tomić rekonstruiert in der Foto-Installation On Labunović: Cinema, School and War of Independence die Rolle des jugoslawischen Regisseurs Stefan Labudović im algerischen Unabhängigkeitskrieg. Die Kuratoren Radovan Cukić, Ivan Manojlović und Mirjana Slavković vom Museum of Yugoslav History in Belgrad ergänzen den Beitrag von Tomić mit dokumentarischem Bildmaterial aus dem Kontext von Titos führender Rolle in der Bewegung der Blockfreien.
Gerade dieses jugoslawische Beispiel macht die großen Unterschiede zwischen den Varianten sozialistischen / kommunistischen Engagements in Afrika und der Dritten Welt deutlich. Während der sowjetische Antikolonialismus durchaus aus der Position eines russischen Imperialismus heraus operierte, ist die jugoslawische Solidarität mit Algerien und anderen Befreiungsbewegungen in Afrika und Asien im Zusammenhang mit Titos anti-imperialistischer Abwendung vom Stalinismus Moskaus zu sehen. Die konkreten Widerstandsaktivitäten, etwa das Filmtraining und Filmen von Labunović in Algerien, gingen wiederum auf die Erfahrung der Partisanenkämpfe während des Zweiten Weltkriegs zurück. In diesem Fall - auch in den kubanischen - lässt sich mit Recht von "affective communities" sprechen, während dieser von Leela Gandhi entlehnte Begriff für viele der sowjetischen oder koreanischen Engagements besser durch geopolitische Interessen zu ersetzen wäre. [2]
Es gehört zu den Stärken dieser Publikation, dass die in den künstlerischen Arbeiten angewandten Verfahren des Zusammentragens, Montierens und vorläufigen Ausbreitens von Ergebnissen klarstellen, dass die Geschichte des Roten Afrika keineswegs auf der Hand liegt, sondern erst näher zu erforschen ist. Dazu müssen nicht nur afrikanische und Archive der (ex-)kommunistischen Staaten konsultiert werden. Wie unter anderem der Beitrag von Filipa César mit Bezug auf Guinea Bissau und Mosambik demonstriert, muss vielmehr auch die Geschichte vieler Archive, Museen und Cinematheken erst rekonstruiert und ihren häufig verstreuten Beständen nachgegangen werden. Das vorliegende Buch leistet einen wichtigen Beitrag zur ("roten") Geschichte der afrikanischen Dekolonisation und ihren, vor allem kinematografischen, Kulturen des Widerstands, wobei es dankenswerterweise zwischen befreienden Allianzen und Phänomenen wie Staatsterror (zum Beispiel Äthiopien) bzw. Führerkult (zum Beispiel Zimbabwe) unterscheidet. Es streicht aber auch die Aktualität des Themas für viele zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler hervor, die an den Vorgeschichten gegenwärtiger globaler Machtgefüge und Befreiungspolitiken interessiert sind.
Anmerkungen:
[1] Rolf Italiaander: Schwarze Haut im roten Griff, Düsseldorf / Wien 1962.
[2] Leela Gandhi: Affective Communities: Anticolonial Thought, Fin-de-Siècle Radicalism, and the Politics of Friendship, Durham / London 2006.
Mark Nash (ed.): Red Africa. Affective Communities and the Cold War, London: Black Dog Publishing 2016, 192 S., zahlr. Abb., ISBN 978-1-910433-94-2, GBP 19,95
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