Dem französischen Gelehrten Charles-François Lefèvre de La Maillardière zufolge kam dem in den Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge gebrauchten Wort "sakramentaler" Charakter zu. Diese Vertragsbegriffe in eine religiöse Sphäre erhöhende Position vertrat das Mitglied mehrerer französischer Akademien 1778 in seinem chronologischen Überblickswerk über die zwischen dem 14. und dem 18. Jahrhundert von den europäischen Mächten geschlossenen Abkommen. [1] Dementsprechend ausgefeilt waren die Formulierungen der Vertragstexte. Dass die bei ihrer Gestaltung beobachtete quasi-religiöse Sorgfalt insbesondere bei den an ihrem Beginn stehenden Herrscherbezeichnungen, bei der Auswahl der Titulaturelemente und ihrer Positionierung gepflegt wurde, legt die jüngst von Regina Dauser publizierte Habilitationsschrift eindrucksvoll dar. Dausers Studie widmet sich den im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden unterzeichneten Abkommen. Am Anfang und am Ende ihrer Untersuchung stehen zwei große europäische Kriege beilegende, bedeutende Friedenskongresse der Frühen Neuzeit: 1648 beendete der Westfälische Frieden den Dreißigjährigen Krieg, 1748 der Aachener Kongress den Österreichischen Erbfolgekrieg.
Der Titulaturgebrauch, die Verwendung bestimmter Lexeme und die Positionierung von Titulaturelementen werden unter der Benutzung dreier unterschiedlicher Quellengruppen analysiert, denen auf der Ebene der Gliederung des Buches drei Hauptkapitel entsprechen. Zunächst untersucht Dauser fünf ausgewählte Werke aus der reichhaltigen zeitgenössischen zeremonialwissenschaftlichen und diplomatietheoretischen Traktatliteratur. John Selden, Abraham de Wicquefort, Zacharias Zwanzig, Johann Christian Lünig und Jean Rousset de Missy bilden eine thematisch wie chronologisch ausgewogene Auswahl, obwohl es angesichts der herausragenden Bedeutung der "Kunst des Verhandelns" von François de Callières keineswegs als ausgemacht gelten darf, dass Wicquefort als der Autor "des wohl berühmtesten Diplomatenhandbuchs der Frühen Neuzeit" (11) anzusehen ist. [2]
In einem zweiten Schritt untersucht die Autorin mittels einer Kombination quantitativer und qualitativer Zugänge die Titulaturen in 453 zwischen 1648 und 1748 entstandenen Vertrags- und Ratifikationsurkunden sowie deren Nebendokumenten. Dabei werden die Mächte der für den dritten Hauptteil ausgewählten Fallbespiele (Portugal, England, Preußen, Habsburgermonarchie) um eine 'Kontrollgruppe' dreier weiterer Mächte (Frankreich, Russland, Savoyen-Sardinien) als Bezugsgröße ergänzt.
Nach einem der Kontextualisierung der Ergebnisse dienenden Überblick zu den sieben berücksichtigten Mächten im abschließenden Unterkapitel des zweiten Hauptteils wird die qualitative Analyse im Zuge der vier Fallstudien des dritten Hauptteils vertieft. Dabei werden unter Benutzung archivalischer Quellen die Etablierung des Hauses Braganza auf dem portugiesischen Königsthron im Kontext von 1648, das englische Königtum Wilhelms III. von Oranien nach der Glorious Revolution 1688/89, die Durchsetzung des preußischen Königstitels 1700-1732 und Maria Theresias Kaiserinnentitel in den 1740er Jahren fokussiert.
Methodisch verortet sich die Studie als Beitrag zu "einer kulturhistorisch perspektivierten Politikgeschichte" (26). Das Instrumentarium der durch Rolf Reichardt grundgelegten Historischen Semantik und der "conceptual history" (namentlich Quentin Skinners und John Pococks) wird an die Spezifika des Untersuchungsgegenstandes und des Quellenkorpus angepasst.
Dausers Studie gelangt zu argumentativ überzeugend konturierten Ergebnissen. Verträge als rechtskonstitutive Dokumente stellten ihr zufolge durch eine entsprechende Titelverwendung die Anerkennung von Herrschaft her, ein etwaiger Verzicht konnte sie infrage stellen. Titulaturelemente, aber auch die (gegebenenfalls in den unterschiedlichen Ausfertigungen alternierende) Reihenfolge der Vertragspartner sowie die Positionierung der Unterschriften der Unterhändler vermochten Parität herzustellen oder aber auch feine Rangunterschiede zwischen den Vertragspartnern zu signalisieren. Verschiedene Kombinationsmöglichkeiten dieser Elemente (darüber hinaus die, namentlich von der kaiserlichen Kanzlei meisterhaft beherrschte, Kunst der ergänzenden Rangverortung durch Kanzlei- und Handschreiben) gestatteten eine Feinjustierung unterschiedlicher Mischungsverhältnisse von Paritäts- und Rangabstufungszeichen.
Das Arsenal an Titulaturelementen zeigt sich in dem von Dauser analysierten Jahrhundert erstaunlich stabil, abgesehen von der Ausweitung des (ursprünglich einmal dem Kaiser vorbehaltenen) Majestätsprädikats. Trotz traditionalistischer Herangehensweisen der Titulaturexperten unter den frühneuzeitlichen Diplomaten und Juristen, die sich etwa im gängigen Rekurs auf frühere Verträge und überholte Rangtabellen manifestierten, erweist sich die Entwicklung von Herrschertitulaturen in dem von Dauser untersuchten Zeitraum als bemerkenswert dynamisch, denn wenn auch auf traditionelle Elemente zurückgegriffen wurde, so geschah dies häufig zur Untermauerung neuer Ansprüche und im Zuge einer neuen Kontextualisierung. Wie Dauser verdeutlicht, strebten im Mächtegefüge aufsteigende Herrscher nach Ehrungen, "die nach traditionellem Verständnis ihre neue Würde dokumentierten und erst wahrhaft den anderen 'gleich' machen sollten" (295). Demzufolge war auch der Kaiser als traditionell mit dem Privileg der Rangerhöhung ausgestatteter Herrscher weiterhin eine bevorzugte Anlaufstelle.
Dausers Buch bietet damit einen weiteren Beleg für die Unangemessenheit der durch die historische Forschung der letzten Jahre bereits sturmreif geschossenen Idee des "Westphalian System", die auf der Annahme einer egalitären Souveränität als Wesenszug europäischer Mächtebeziehungen seit dem Westfälischen Frieden basiert. Souveränität in dem von Jean Bodin geprägten Sinne war Dausers prägnanter Formulierung zufolge lediglich eine 'Eintrittskarte', während die Fürstengesellschaft über die exakte "Platzierung in der Gruppe der Souveräne entschied"; dies geschah "mit den hergebrachten Instrumenten der Kommunikation", zu der namentlich die Herrschertitulaturen zählten (298). Dies führte, so Dauser abschließend, jedoch keineswegs zu fixen Rangvorstellungen. Vielmehr hätten sich Differenzierungen etabliert, die "der enormen Beweglichkeit des Mächtesystems" Rechnung zu tragen vermochten (ebenda).
Den Ansprüchen der Verfasserin gerecht werdend, ist Dausers Buch als ein wesentlicher "Baustein zu einer Geschichtsschreibung vormoderner Mächtepolitik in einem sehr viel größeren Feld kulturgeschichtlich orientierter mächtepolitischer Forschung" (31) zu würdigen.
Anmerkungen:
[1] Charles François Lefèvre de La Maillardière, Abregé dès principaux traités, conclus depuis le commencement du quatorzième siècle jusqu'à présent, entre lès différentes puissances de l'Europe; disposés par ordre chronologique. Seconde partie de la Bibliothèque Politique, à l'usage dès sujèts dèstinés aux négociations [...], 2 Bände, Paris 1778.
[2] Vgl. aus der jüngeren Forschungsliteratur das von Dauser nicht herangezogene Werk Stefano Andretta/Stéphane Péquignot/Jean-Claude Waquet (Hrsg.), De l'ambassadeur. Les écrits relatifs à l'ambassadeur et à l'art de négocier du Moyen Âge au début du XIXe siècle (Collection de l'École française de Rome, 504), Rom 2015.
Regina Dauser: Ehren-Namen. Herrschaftstitulaturen im völkerrechtlichen Vertrag 1648-1748 (= Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit; Bd. 46), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016, 357 S., ISBN 978-3-412-50590-5, EUR 45,00
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