sehepunkte 19 (2019), Nr. 3

Niels F. May: Zwischen fürstlicher Repräsentation und adliger Statuspolitik

Die Bedeutung der westfälischen Friedensverhandlungen für die Entwicklung des diplomatischen Zeremoniells wurde schon von Zeitgenossen vielfach hervorgehoben. Gerade Verfasser von Diplomaten- bzw. Zeremonialhandbüchern des 17. und 18. Jahrhunderts rekurrierten vielfach auf die Praktiken des ersten europäischen Friedenskongresses. Niels F. May widmet sich in seiner Dissertation, entstanden im Rahmen einer cotutelle in Münster und Paris, einem Forschungsfeld, für das Einzelaspekte zwar in jüngeren Monografien für einzelne Mächte [1] oder bestimmte performative Akte [2] im Lichte der neueren Zeremonialforschung bereits beleuchtet wurden, das aber auch noch nicht als 'wohlbestellt' gelten kann.

Auch May kann und will angesichts der enormen Quellenfülle nur exemplarisch vorgehen. Als zentrale Analysekategorien dienen ihm die zeitgenössischen Konzepte von (fürstlicher) dignitas und potestas, die in den Handlungen des Gesandten, der die Ehre seines Herrn zu repräsentieren und für diesen die Verhandlungen zu führen hatte, zum Ausdruck gebracht werden sollten.

May führt mit einer im Hinblick auf den Gesamtumfang der Studie umfangreichen, aber instruktiven Darstellung des Forschungsstandes und der Terminologie der Zeremonialforschung sowie zum Westfälischen Frieden in die Thematik ein. Nach der Betrachtung möglicher Vorbilder des Kongresses, deren unterschiedliche Praktiken für May die kommenden Zeremonialkonflikte mitbedingten (Kapitel I und II), widmet sich der Hauptteil anhand von Rangstreitigkeiten auf verschiedenen Ebenen der Ausgestaltung, den Funktionen und der Bedeutung des westfälischen Kongresszeremoniells (Kapitel III).

Zunächst werden Rangkonflikte zwischen den Hauptakteuren vorgestellt - Frankreich, Spanien, Schweden, Kaiser Ferdinand III. -, an denen bereits eine grundlegende Herausforderung deutlich wird: Verhandlungsmodi zwischen Mächten bzw. Akteuren zu finden, die einander - dem fallweise vorgebrachten Gleichheitspostulat zum Trotz - als nicht gleichrangig ansahen und die im Kongresszeremoniell - durch Einzüge und Visiten, durch spezifischen Titulaturgebrauch etc. - ihre jeweilige Interpretation der Mächtehierarchie auszudrücken suchten. Bezeichnenderweise galt die viel zitierte souveräne Machtstellung im Hinblick auf das Zeremoniell laut May nicht als generell konsensfähiges Argument.

May arbeitet zudem deutlich heraus, dass Gesandte nicht nur als Funktionsträger gesehen werden dürfen; ihr Interesse an der Repräsentation des persönlichen Status wirkte auf das geforderte Zeremoniell zurück, so im Falle hochadeliger Gesandter wie Longueville, eines französischen Prinzen von Geblüt, oder der hohen Kirchenfürsten unter den Gesandten, etwa Bischof Wartenberg und Nuntius Chigi. Angesichts der "Deutungsoffenheit" (172) hinsichtlich der Bewertung ständischer und juristischer Rollen konnten umgekehrt ständisch 'inferiore' Akteure versuchen, den formalen Gesandtenrang gegen ständische Kriterien auszuspielen. Die "Rollenvielfalt" (121) der Gesandten konnte gezielt im eigenen wie im Herrscherinteresse konflikthaft zum Einsatz gelangen.

"Prekäre Akteure" (173) waren insbesondere Vertreter der nicht gekrönten Herrscher, die um zeremonielle Anerkennung ringen mussten. Bezeichnend ist auch hier die von May herausgearbeitete "Bewertungsunsicherheit" (211), war doch die 'Wertigkeit' bestimmter zeremonieller Ehrerweisungen für Akteure verschiedenen Status nicht abschließend festgelegt und daher flexibel einsetz- und ausdeutbar. Vielfältige Differenzierungsmöglichkeiten stellten ein variables Set von Möglichkeiten dar, um Statusinteressen zu wahren, aber auch, um Auswege aus zeremoniellen 'Sackgassen' zu finden.

Irritierend muss zunächst angesichts der fein herauspräparierten zeremoniellen Ansprüche wirken, dass entsendende Höfe mitunter bei anhaltenden zeremoniellen Konflikten Kompromisse befahlen, obwohl die Entsandten vor Ort konträrer Meinung waren. Dass Rangfragen machtpolitischen Erwägungen nachgeordnet wurden, z.B. angesichts der Abhängigkeit von Bündnispartnern wie im Falle Frankreichs und Schwedens (110-115), oder dass Konflikte mit bestimmten Gegnern (wie etwa die "Bagatelle" (156) des hanseatisch-französischen Rangkonflikts) offensichtlich als nicht verfolgenswert eingestuft wurden, blieb eine wichtige Option, abhängig von den jeweiligen politischen Kontexten. Derartige Kontexte werden von May in dem von ihm ansonsten klar konturierten "relationalen System" (231) mehrfach eher angedeutet denn ausgeführt, böten aber dem Leser eine wichtige Orientierungshilfe, um die fallweise Relativierung von Rangkonflikten - die nicht mit einer Relativierung von Rangvorstellungen identisch ist - einordnen zu können.

Klar pointiert präsentiert der Autor dagegen einen knappen, aber aufschlussreichen Vergleich des Zeremoniells der westfälischen Verhandlungen mit dem der Kongresse von Nijmegen, Rijswijk und Utrecht. Eindeutig waren zeremonielle Praktiken der Verhandlungen von Münster und Osnabrück ein Bezugspunkt - doch nicht allein als Vorbild, sondern auch im Sinne von 'Testfällen', aufgrund derer man notorische zeremonielle Konfliktpunkte durch veränderte Praktiken oder durch festgeschriebene Reglements zu eliminieren versuchte. Ebenso überzeugend ist Mays abwägendes Urteil, was insgesamt die 'Verfestigung' diplomatischen Zeremoniells im Gefolge des westfälischen Friedenskongresses anging. Verstetigte sich beispielsweise die Abfolge bestimmter zeremonieller Praktiken, etwa zur Ehrung eines Botschafters, und "verschmolz [...] zu einem Zeichenkomplex" (173), wurde die zuvor gegebene "Deutungsoffenheit" (231) der zeremoniellen Zeichen und der Akteure, die sie verwenden konnten, zwar deutlich eingeschränkt. Doch wie der Blick auf nachfolgende Kongresse zeigt, hatte die Tendenz zur Festschreibung und Konfliktvermeidung ihre Grenzen, da sie Interaktionsmöglichkeiten massiv einschränkte (231).

Die vorwiegend anhand der französischen Überlieferung argumentierende Arbeit Mays zeichnet sich weniger durch die schiere Anzahl oder die gänzliche Unbekanntheit / Unerforschtheit der untersuchten zeremoniellen Konflikte aus als durch deren überaus umsichtige Auswahl. Mays besonderes Verdienst ist es, spezifische Herausforderungen frühmoderner diplomatischer Verhandlungen, der dort verhandelten machtpolitischen wie persönlichen Ansprüche sowie der sie symbolisierenden zeremoniellen Praktiken minutiös herausgearbeitet zu haben. Die Welt, die hier zeremoniell abgebildet wurde, war - wie May überzeugend nachweist - nach wie vor durch Hierarchie und Ungleichheit geprägt. Niels F. May hat eine unverzichtbare Ausgangsbasis geschaffen, um diese immer wieder neu unternommene Austarierung der Ansprüche und Handlungsoptionen an weiteren Fällen zu untersuchen.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Anuschka Tischer: Französische Diplomatie und Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin, Münster 1999; Michael Rohrschneider: Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfälischen Friedenskongress (1643-1649), Münster 2007.

[2] Vgl. Anja Stiglic: Ganz Münster ist ein Freudental ... Öffentliche Feierlichkeiten als Machtdemonstration auf dem Münsterschen Friedenskongreß, Münster 1998.

Rezension über:

Niels F. May: Zwischen fürstlicher Repräsentation und adliger Statuspolitik. Das Kongresszeremoniell bei den westfälischen Friedensverhandlungen (= Beihefte der Francia; Bd. 82), Ostfildern: Thorbecke 2016, 284 S., ISBN 978-3-7995-7473-0, EUR 42,00

Rezension von:
Regina Dauser
Universität Augsburg
Empfohlene Zitierweise:
Regina Dauser: Rezension von: Niels F. May: Zwischen fürstlicher Repräsentation und adliger Statuspolitik. Das Kongresszeremoniell bei den westfälischen Friedensverhandlungen, Ostfildern: Thorbecke 2016, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 3 [15.03.2019], URL: https://www.sehepunkte.de/2019/03/31570.html


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