sehepunkte 20 (2020), Nr. 4

Dieter Berg: Oliver Cromwell

Der Titel eines neuen Buches von Dietmar Berg verspricht eine Menge. Während der Obertitel eine Biographie Oliver Cromwells verheißt, verweist der Untertitel gar auf "England und Europa im 17. Jahrhundert". Angesichts der Bedeutung Cromwells für die englische und - in seiner Rolle als zeitweiliges Staatsoberhaupt - indirekt auch für die europäische Geschichte ist ein solch breiter Anspruch nicht abwegig. Wie er auf weniger als 200 Textseiten eingelöst werden kann, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Die Zielsetzung des Buches ist grundsätzlich einfach: Der Autor konstatiert eine Lücke hinsichtlich einer deutschsprachigen Cromwell-Biographie und macht es sich zur Aufgabe, diese zu schließen. Damit nicht genug, will das Buch in der Darstellung originelle Wege gehen. Berg zielt zum einen auf eine Darstellung Cromwells im europäischen Kontext. Zum anderen bricht er das klassische Erzählmuster der Biographie auf: Nach einem chronologisch erzählten ersten Teil verfährt die Erzählung in einem zweiten Teil systematisch und wirft Schlaglichter auf ausgewählte Problembereiche. Ob es sich dabei freilich um einen "neuen methodischen Ansatz" (11) handelt, sei dahingestellt. Diese Darstellungsweise ist jedoch an sich gelungen, und auch an der breiten Kenntnis und Belesenheit des Autors besteht kein Zweifel. Dennoch erfüllt das Buch die durch den Titel erweckten Erwartungen nur eingeschränkt.

Nach einer Skizzierung der Forschungs- und Rezeptionsgeschichte Cromwells ist der erste Teil nach chronologischen Abschnitten gegliedert. Diese orientieren sich weniger an der Biographie Cromwells als vielmehr an den Regierungszeiten Jakobs I. und Karls I. bzw. - ab 1640 - an den Zäsuren des Englischen Bürgerkrieges und des Commonwealth. In den ersten vier Kapiteln (bis 1649) setzt Berg das Leben Cromwells parallel zum politischen Geschick Karls I., um in den Kapiteln fünf und sechs die politischen Stationen im Leben Cromwells entlang der Konjunkturen des Commonwealth zu beschreiben. Im systematisch orientierten zweiten Teil betrachtet Berg ausgewählte "Handlungsstrukturen", etwa Cromwells Verhältnis zur Armee, zur Außenpolitik und Wirtschaft, sowie zu Irland. Ebenfalls Berücksichtigung finden Cromwells zeitgenössisches öffentliches Bild und sein Nachleben. Da auch diese Abschnitte chronologisch angelegt sind, beschreibt Berg hier, wenn man so will, nicht nur ein, sondern viele Leben Cromwells. Das geht häufig nicht ohne Wiederholungen ab, ist aber angesichts des stärkeren thematischen Fokus verschmerzbar. Ein ausführliches Resümee rundet das Buch ab und wird ergänzt von einer Zeittafel, einer Karte zu den Schlachten der Bürgerkriege und einem ausführlichen, thematisch sortierten Literaturverzeichnis.

Auch wenn es an biographischen Zugängen zu Cromwell in englischer Sprache nicht mangelt, so bietet Bergs Buch doch in der Tat eine konzise und an der Forschungsliteratur orientierte Darstellung in deutscher Sprache, die es so bislang nicht gab. Mit breiter Kenntnis der Literatur und ihrer jeweiligen ideologischen Prägungen erarbeitet Berg eine gute Übersicht über die Lebensstationen Cromwells und die politischen Geschicke Englands in dieser Zeit. Besonders hervorzuheben sind die systematischen Zugänge, etwa zum ideologisch instrumentalisierten Nachleben Cromwells oder zu Aspekten der public history (Cromwell in Film und Fernsehen). Vereinzelt ist hier zwar die Orientierung an der Person Cromwells vergleichsweise vage, sodass die Kapitelüberschriften bisweilen in die Irre führen. So behandeln die Kapitel zu "Cromwell und Nonkonformisten" oder "Cromwell und konstitutionelle Diskurse" die religiösen und politischen Denkströmungen der Zeit, die mit Cromwell oft genug wenig zu tun haben. Sie bilden aber für sich genommen gute Einstiege und Überblicke zu diesen Themenfeldern.

Trotz dieser Syntheseleistung birgt die Darstellung aber einige Probleme. Schon zu Beginn wird deutlich, dass sich das Buch als Einführung nur bedingt eignet. Zum einen verweist Berg unter dem Druck einer überaus knappen Darstellung auf viele Problemzusammenhänge nur in Klammern. Das geht in Ordnung, wo sich die Grundaussage dennoch erschließt. Problematisch wird es, wenn auf diese Weise komplexe ideologische oder rechtliche Konzepte ("divine right of kings" (27), "distraint of knighthood" (30), "commission of array" (45), etc.) oder aber wichtige zeitgenössische Ereignisse, Fachtermini oder religiöse Gruppierungen ("Five Knights Case" (29), "Book of Canons" (32), "Quintomonarchisten" (72)) ohne weitere Erklärung eingestreut werden. Auch zahlreiche zentrale Akteure stehen, meist ohne Vornamen oder wenigstens eine knappe Einordnung, in Klammern. Zum anderen sind jene Abschnitte, die über Cromwells Biographie hinausgehen und zeitgenössische politische Entwicklungen in England, Irland, Schottland und auf dem Kontinent skizzieren, viel zu gedrängt, um ein adäquates Bild zu zeichnen. So werden die religiösen Spannungen in Schottland, die kulturellen Grundlagen des Konflikts in Irland oder die Verwicklung der Stuarts in die kontinentale Politik allesamt nur angerissen und stellenweise unzulänglich verknappt. Das ist für einen biographischen Zugang an sich nicht problematisch, doch will der Autor mehr liefern als nur eine Biographie. In der Knappheit des Raumes gelingt das nur eingeschränkt.

Dieser sachlichen Zwänge ungeachtet ist das Buch ausgesprochen deutlich in der Bewertung und Einordnung von Geschehnissen. Auch das ist aber nicht unproblematisch. Das betrifft einmal die narrativen Vorentscheidungen des Buches. Karl I. und Oliver Cromwell von Beginn ihrer beider Leben an als Gegenspieler darzustellen und Cromwell damit aus der Retrospektive als Protagonisten aufzuwerten ist keine unübliche Herangehensweise, hat aber Auswirkungen auf die Interpretation. So erscheinen viele Entwicklungen als zwangsläufiger und weniger kontingent, als sie es vielfach waren. Zudem reduziert sich in diesem Zugriff das Feld der handelnden Personen zeitweise so drastisch, dass Cromwell gerade im ausnehmend komplexen politischen Gefüge der Republik häufig alleine als Handelnder auftritt. Deutlich wird das damit verbundene Deutungsproblem in der Behandlung Irlands. Während Berg Cromwell im militärischen, wirtschaftlichen und außenpolitischen Bereich als treibende Kraft und Wurzel aller Entscheidungen darstellt, hält er ihn im Hinblick auf die irischen Massaker, Enteignungen und religiösen Segregationen für entschuldigt, weil die entsprechenden Gesetze vom Parlament erlassen worden seien und andere Akteure für deren Implementierung in Irland gesorgt hätten (116). An anderer Stelle sieht Berg Cromwell zwar belastet mit "schwerster Schuld" (180), verneint aber Cromwells "direkte Verantwortung" (178) und findet gar Gründe, Cromwells Irlandpolitik in Zeiten des Protektorats als eine auf Ausgleich bedachte Politik zu beschreiben (178). Dass auch wirtschaftliche Gesetzgebung und außenpolitische Weichenstellungen wie die Navigation Acts vom Parlament erlassen und von anderen implementiert wurden, hindert Berg hingegen nicht daran, Cromwell die damit verbundenen Entwicklungen - inklusive der diskutablen Interpretation, er habe damit die "Grundlagen für die Entstehung des Empire" gelegt - als persönliches Verdienst anzurechnen.

Folglich schafft es das Buch nicht, sich den politisch tendenziösen Deutungen der Biographie Cromwells gänzlich zu entziehen, über die Berg sich doch andererseits so bewusst ist. Je nach Handlungsfeld erscheint Cromwell bei Berg als politischer Macher (Militär, Außenpolitik) oder als Opfer einer Verleumdungskampagne (Irland). Ähnlich unentschieden bleibt Berg hinsichtlich der eigenen, mit religiösem Auftrag und Endzeitbewusstsein durchsetzten Rechtfertigungen Cromwells. Einerseits erkennt Berg darin wichtige Handlungsmotive an, legt aber an anderer Stelle Heuchelei und Machtwillen nahe. Die gründlichen Erörterungen der politischen und religiösen Denkströmungen der Zeit hätten eine gute Vorlage geboten, von der Glaubwürdigkeit solcher Rechtfertigungen aus heutiger Sicht abzusehen und stärker den zeitgenössischen Wirkungsmechanismen solcher Rhetorik nachzugehen. Von solchen Feinheiten abgesehen, bleibt das Buch ein Überblickswerk mit Alleinstellungsmerkmal, das auf breiter Literaturbasis über eine der wichtigsten Persönlichkeiten der englischen Geschichte in deutscher Sprache informiert.

Rezension über:

Dieter Berg: Oliver Cromwell. England und Europa im 17. Jahrhundert, Stuttgart: W. Kohlhammer 2019, 243 S., eine Kt., 11 s/w-Abb., ISBN 978-3-17-033160-0, EUR 36,00

Rezension von:
Hannes Ziegler
Deutsches Historisches Institut, London
Empfohlene Zitierweise:
Hannes Ziegler: Rezension von: Dieter Berg: Oliver Cromwell. England und Europa im 17. Jahrhundert, Stuttgart: W. Kohlhammer 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 4 [15.04.2020], URL: https://www.sehepunkte.de/2020/04/33993.html


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