Den Weg "von der Irenik zur Anglophilie" (11) möchte diese Studie weisen, die sich dem "grenzüberschreitenden Austausch" (12) zwischen diversen Protestanten in Deutschland - nicht etwa "Deutsche Protestanten" schlechthin, wie der Titel ankündigt - und Großbritannien zwischen der Glorreichen Revolution und dem Epochenjahr 1740 widmet: in einer "Kulturgeschichte konfessioneller Kommunikation" (18). Nicht linear sei dieser Weg verlaufen, sondern "verschlungen" (12). Statt Irenik teleologisch als Teil einer Erfolgsgeschichte der Toleranz zu erzählen, zeigt der Verfasser konkret auf, inwiefern letzte bestenfalls eine unbeabsichtigte Folge der ersteren war (215). Seine Habilitationsschrift sucht Anschluss an viele aktuelle Forschungsströmungen: Indem sie unter anderem ideen- und kommunikationsgeschichtliche Aspekte thematisiert, solche der Migration und der Mission, will sie eine Geschichte der "Verflechtung" (21) erforschen.
Ihre Basis besteht aus deutschen wie britischen Quellen: Publikationen von anonymen Traktaten bis hin zu Schriften damals prominenter Autoren, diplomatische sowie weitere staatliche Akten und insbesondere Korrespondenzen. Der erste der fünf größeren Buchteile handelt vom Rahmen, in dem die hier untersuchte Kommunikation stattfand. Dazu gehören die spezifischen Bedingungen Brandenburg-Preußens, die Strukturen anderer deutscher Territorien (etwa Braunschweig-Lüneburgs) offenkundig nicht. Dort hofften manche darauf, mit irenischen Mitteln das reformierte Bekenntnis stärken zu können - Heilsuniversalismus schuf eine theologische Brücke in jenes Ausland, das sich der Dordrechter Synode nicht angeschlossen hatte, also auch zur Anglikanischen Kirche: Ansatzpunkte für die Irenik, zumindest in jenen Konjunkturen, die eine Vereinigung gegen die drohende Expansion der römischen Papstkirche begünstigten, etwa nach dem umstrittenen Friedensschluss von Rijswijk. Naturgemäß interessierten sich die kontinentalen Akteure weitaus eher für die erhofften Partner auf der Insel als umgekehrt; lediglich Botschaftskapläne waren mit den europäischen Verhältnissen im Detail vertraut. Die Kontakte verdichteten sich um 1700, gepflegt wurden sie mit persönlichen Begegnungen, aber auch mit intensiven Korrespondenzen - zwischen teils recht asymmetrischen Partnern, unter denen ein "veritables Alternativsystem protestantischer Kommunikation unter einem bestimmten inhaltlichen Zuschnitt" (132) entstand.
Irenischen Betätigungen deutscher und britischer Protestanten widmet sich das zweite Kapitel. Zunächst analysiert es deren Modi - und macht eher nüchterne Kontexte teils enthusiastischer Texte transparent. Sie folgten vor allem in den 1720er Jahren, in denen Politiker diese bislang theologische Domäne übernahmen, zunehmend pragmatischen Vorgaben. Hier schafft die Studie verdienstvolle Klarheit: Jeder Konsens unter Reformierten diente Inklusion wie Exklusion. Irenische Ideale ließen sich gegen Rom wenden wie gegen andere Protestanten. Arten des Austausches änderten sich, aber auch Inhalte. Dogmatisch ergab sich ein negativer Konsens gegen das katholische und lutherische Abendmahlsverständnis, indes keine verbindliche Bekenntnisposition - auch in der Liturgie resultierte aus der Strategie, sich über frühchristliche Ideale zu verbinden, wenig gemeinsame Praxis: Gerade Mittelweg-Ideen liefen letztlich auf eine Einbindung reformierter Elemente in lutherische Riten hinaus. Die Pläne, Großbritannien eine "Schiedsrichterrolle" zuzuweisen, resultierten zwar in Übersetzungen des Book of Common Prayer, doch dessen Übernahme lief anderen Interessen zuwider. Versuche ekklesiologischer Einheitsbildung führten ebensowenig ans Ziel. Zwar wirkte die apostolische Sukzession des Anglikanismus auf Reformierte attraktiv - doch hatte wiederum die High Church gute Gründe, den kontinentalen Akteuren ein bloß taktisches Interesse daran zu attestieren (235); immerhin gelangen pragmatische Kompromisse, die etwa eine gemeinsame Missionstätigkeit ermöglichten.
Welche konkrete Politik daraus resultierte, untersucht der dritte Buchteil: mit Blick auf Glaubensflüchtlinge, auf die Pfalzpolitik und auf Ostmitteleuropa. Internationale Kooperation gelang bisweilen, wie britische Spendenaktionen für die brandenburgisch-preußische Aufnahme der Orangeois zeigen - wiewohl es prompt zu Konflikten über die Verwendung der Kollektengelder kam (268). Für den Fall der Kurpfalz zeigen sich ähnliche Befunde: Einerseits gelang es, kurzfristige anti-katholische Bündnisse anzubahnen, doch derlei Resultate blieben an den Moment gebunden. Auch die Solidarität des internationalen Protestantismus mit Glaubensbrüdern in Schlesien, Ungar und Polen kannte enge, vor allem politische Grenzen: "Protestant Interest war nicht nur protestantische Politik, sondern vor allem Interessenpolitik" (328).
Das zeigt sich auch Austausch zwischen Großbritannien und dem protestantischen Deutschland, dem das vierte Kapitel gilt. Es handelt zunächst von Büchern - immer mehr einschlägige englische Texte wurden ins Deutsche übersetzt, auch der Englisch-Unterricht zunehmend institutionalisiert, Periodika blickten routinehaft auf Neuerscheinungen von der Insel; eine Popularisierung gelang etwa dank Gesellschaften wie der Society for Promoting Christian Knowledge. Auch der Austausch von Personen betraf eher die Kontinentalen, die bei England-Besuchen indes nicht die ersehnte protestantische Einheit, sondern politische Spaltungen erblickten (409); die englischen Schüler an den Francke'schen Anstalten erweisen sich jedenfalls als "Ausnahme" (439), der Austausch erfolgte recht einseitig.
Strukturell ähnliche Befunde fördert auch der folgende Buchteil über die protestantische Mission zutage, dessen Überschrift bereits von "Grenzen des internationalen Protestantismus" (440) kündet. Vielleicht gerade weil sich schon die Personalrekrutierung als mühsam erwies, empfing sogar der Erzbischof von Canterbury einige Missionare (461) - punktuelle internationale Verbindungen ergaben sich nur, wo man pragmatisch Differenzen etwa zwischen brandenburgisch-preußischen Pietisten, dänischen Lutheranern und Anglikanern hintanzustellen vermochte (470).
Projektionen, der Anglikanismus schaffe einen gemeinsamen Nenner für diverse Protestantismen, führten zwar immer wieder zu Verhandlungen, stellten sich am Ende aber als Illusionen heraus: zu sehr unterschieden sich die Interessen (483).
Folgen der vergeblichen Projekte erblickt das Fazit dennoch: eine konfessionelle Verständigungsbereitschaft als "Abfallprodukt" (485), die Sogwirkung eines herbeigeredeten "Internationalen Protestantismus" und ein nachhaltiges Interesse an Großbritannien. So erscheint die Irenik "als Diskursphänomen wie als praktische Handlungsanleitung" (487), sie habe "die Sphären von Religion und Politik" verbunden (487). Ob sie zuvor getrennt gewesen seien, könnte man freilich bezweifeln und sich fragen, ob sich die starke These einer Geburt der Anglophilie allein aus dem Geist der Irenik bewähren lässt, wenn man auch andere Quellen als die hier konsultierten befragt. Selbst ein katholischer Reichsfürst konnte gute politische Gründe haben, sich für das England der Glorreichen Revolution zu interessieren. Insofern regt die Studie zu weiterführenden Gedanken ins Generelle an, ihre Stärke aber liegt im Speziellen: nämlich der sorgfältigen Analyse von Interessen, die sich hinter hochtönenden Irenik-Konzeptionen verbargen.
Alexander Schunka: Ein neuer Blick nach Westen. Deutsche Protestanten und Großbritannien (1688-1740) (= Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit; Bd. 10), Wiesbaden: Harrassowitz 2019, 570 S., ISBN 978-3-447-11260-4, EUR 98,00
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