Fabian Weber legt mit "Projektionen auf den Zionismus" eine spannende und im höchsten Maße aktuelle Studie vor, welche das Verhältnis nicht-jüdischer Akteurinnen und Akteure zum Zionismus von dessen Begründung als politische Bewegung am Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Weimarer Republik analysiert. Die Arbeit beginnt und endet mit Betrachtungen über die jüngsten Annäherungsversuche äußerst rechter deutscher und österreichischer Politikerinnen und Politiker (Heinz-Christian Strache und die Alternative für Deutschland) an den Zionismus und den Staat Israel, im Glauben im jüdischen Staat einen Partner für die eigenen ethno-nationalistischen Konzepte zu finden oder sich zumindest vom Vorwurf des Antisemitismus distanzieren zu können. Diese "Vereinnahmungen und Verzerrungen des Zionismus" (311) stellt der Autor in einen langen historischen Kontext der nichtjüdischen Zionismus-Rezeption in Deutschland.
Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte, in denen die Wahrnehmungen auf und der Umgang mit dem Zionismus im Kontext deutscher Kolonialpolitik, antisemitischer Agitation und protestantischer Judenmission untersucht werden. Im ersten Teil zeigt Weber das Interesse deutscher Kolonial- und Außenpolitik am Zionismus, der als potenzieller Partner betrachtet wurde. Durchaus erkannten manche Kolonialpolitiker im Zionismus eine dem deutschen Interesse "verwandte geistige Idee" (71). Es manifestiert sich aber auch, etwa in der für viele Zionistinnen und Zionisten enttäuschenden deutschen "Antwort" auf die Balfour-Deklaration, dass Unterstützung für den Zionismus generell den jeweiligen außenpolitischen Interessen und Strategien (etwa dem Bündnis mit dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg) untergeordnet war und oft nur eine sehr eingeschränkte Wirkung entfaltete. Von großem Interesse sind in diesem Kontext die Bemühungen deutscher Zionistinnen und Zionisten prominente nicht-jüdische Unterstützerinnen und Unterstützer zu gewinnen, die sich ab 1918, und erneut ab 1926 in einem "Pro Palästina Komitee" organisierten. Die breite Mischung aus liberalen und sozialdemokratischen, aber auch rechten und konservativen Persönlichkeiten rückt dabei zweierlei in den Blick: zum einen das Anknüpfen der republikanischen Politik an die außenpolitischen Strategien des Kaiserreiches, zum anderen, dass für zahlreiche durchaus bedeutende Akteure die "Zionisten nicht nur bloß Objekte, sondern Gesprächspartner" (141) waren.
An diese Befunde anknüpfend, thematisiert Weber im zweiten Teil des Buches das Verhältnis deutscher antisemitischer Agitatoren zum Zionismus. Die bisherige Forschung zu diesem Thema ist durchaus umfangreich und hebt vor allem die positive Bezugnahme von Antisemitinnen und Antisemiten auf den Zionismus hervor, sowohl wegen dessen Betonung jüdisch-nationaler Andersartigkeit, als auch der Hoffnung durch jüdische Auswanderung nach Palästina die ihnen verhasste Minderheit loszuwerden. Weber greift dieses instrumentelle Verhältnis auf und strebt an, dessen Interpretation zu korrigieren, indem er sich auf die "dezidiert feindseligen Wahrnehmungen des Zionismus" (145) konzentriert. Er zeigt anschaulich, wie Antisemitinnen und Antisemiten das Aufkommen des Zionismus "auch der eigenen Selbstvergewisserung" (162) als vermeintliche jüdische Bestätigung eines nach Rassen sortierten Weltbildes diente und wie die Forderung der Auswanderung nach Palästina Eingang in deren Agitation finden konnte. Gleichzeitig zeigt er auch das ambivalente, weitestgehend negative Verhältnis zur zionistischen Grundidee, der Schaffung eines jüdischen Staates auf. Der Fokus des Autors auf "zionismusfeindliche Stimmen" (241) lässt dann auch logischerweise die Schlussfolgerung zu: "Ein antisemitisches Programm zur Unterstützung des Zionismus fand sich nicht." (241) So wichtig diese Intervention in den bestehenden Diskurs über antisemitische Zionismusrezeption ist, so sehr scheint dieser kategorische Befund von der Quellenauswahl bestimmt zu sein. Eine vielschichtigere Analyse, welche die Komplexität der antisemitischen Akteurinnen und Akteure und deren Verhältnis zum Zionismus erfassen würde, hätte möglicherweise zu anderen, zumindest komplexeren, Schlussfolgerungen geführt.
Besonders hervorzuheben ist der dritte Abschnitt, in welchem Weber die Wahrnehmung des Zionismus in der deutsch-protestantischen Judenmission analysiert. Während das Thema des christlichen Zionismus im englischsprachigen Kontext bereits umfassend erforscht ist, betritt Weber hier weitgehend Neuland und trägt damit zur Füllung einer wichtigen Forschungslücke bei. Die zentrale Vorstellung von der heilsgeschichtlichen Rolle des Judentums, dessen Rückkehr in das Land Israel die Wiederkehr Jesu beschleunigen würde, brachte protestantische Missionare zu einer anhaltenden Auseinandersetzung mit dem Zionismus. Eine spannende Parallele erscheint zwischen der protestantisch-pro-zionistischen Ablehnung individueller jüdischer Konversion und der antisemitischen Agitation gegen jüdische Assimilation auf, wobei beide Seiten oft die kollektive Projektionsfläche Judentum (entweder rassisch oder religiös definiert) als Referenz annahmen und die Veränderbarkeit des Individuums verachteten. Dieser Befund verweist auf gemeinsame Entwicklungsstränge und Kontinuitäten religiös-judenfeindlicher und rassisch-antisemitischer Vorstellungen. Weber arbeitet das komplexe Verhältnis dieser Bewegung zum Zionismus, Vorstellungen vom Judentum, antisemitische Prägungen und praktische Kooperationen heraus und leistet damit einen wichtigen Forschungsbeitrag.
In allen drei Abschnitten, aber besonders im Kontext des deutschen Kolonialdiskurses zeigen sich nicht nur Dynamiken der Zionismus-Rezeption, sondern vielmehr die wechselseitigen Verhältnisse zwischen der deutschen zionistischen Bewegung und nicht-jüdischen Akteuren sowie deren Vereinnahmungsversuche, vor allem im Hinblick auf die koloniale Politik. Daher scheinen es oft nicht nur "Projektionen auf den Zionismus" zu sein, wie der Titel mit einem Begriff suggeriert, der leider nicht theoretisiert und methodisch angewandt wird, sondern durchaus Interaktionen zwischen Zionistinnen und Zionisten und nicht-jüdischen Akteuren. Hier kann Weber mit einer beeindruckenden und umfassenden Literaturrecherche auf der bestehenden Forschung aufbauen. Teilweise sieht man dem Buch noch stark die Charakteristika einer Dissertation an. Auch erscheinen die teilweise etwas langatmigen Ausführungen über (durchaus wichtige) innerjüdische oder innerzionistische Debatten, etwa den "Sprachenstreit" und den Konflikt um das Technikum in Haifa, nicht als unbedingt notwendig für die zentralen Argumente der Arbeit und lenken ein wenig von diesen ab. Dieses Manko tut der Qualität des Buches allerdings keinen Abbruch. Elegant und lesbar geschrieben leistet es einen wichtigen Beitrag zur Verortung des Zionismus im deutschen Diskurs vor 1933 und verweist damit auch auf zentrale Fragen des Verhältnisses zum Zionismus und zum Staat Israel, die auch heute noch Bestandteil der öffentlichen Diskussion und der Selbstverortung politischer Akteure sind.
Fabian Weber: Projektionen auf den Zionismus. Nichtjüdische Wahrnehmungen des Zionismus im Deutschen Reich 1897-1933 (= Religiöse Kulturen im Europa der Neuzeit; Bd. 18), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, 377 S., ISBN 978-3-525-37094-0, EUR 75,00
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