Bienen und Imkerei erfreuen sich in Deutschland seit einigen Jahren wachsenden Interesses. Die Gründe hierfür liegen unter anderem in der medialen Berichterstattung über das von Biologen weltweit beobachtete "Bienensterben", im gestiegenen Bewusstsein für die Ökologie im Allgemeinen und die Bedeutung von Insekten im Besonderen sowie in der Modeerscheinung, alte Kulturtechniken zu erlernen und Lebensmittel selbst herzustellen. Genau die richtige Zeit also für ein Überblickswerk zur "Geschichte der Imkerei in Deutschland". Entsprechend wird die von Rainer Stripf nun vorgelegte Studie "Honig für das Volk" auf dem Klappentext auch als "Ein einzigartiges Buch zum Trend-Thema Imkerei!" angepriesen.
Auf 412 Seiten beschäftigt sich Stripf mit der Geschichte der Imkerei in Deutschland vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Der Autor ist selbst Bienenzüchter und wurde sowohl in Biologie als auch in Geschichte promoviert. [1] Für sein nun im Verlag Ferdinand Schöningh erschienenes Werk nutzt er die Forschungs- und zeitgenössische Literatur, Dokumente aus dem Bundesarchiv und vor allem Artikel aus "Bienenzeitschriften".
Die zehn Hauptkapitel des Buchs orientieren sich - mit Ausnahme der Abschnitte "Biene und Bienenstaat als Metapher" und "Bienenzucht unter dem Einfluss völkisch-nationalistischer Vorstellungen" - an den klassischen Zäsuren der deutschen Geschichte. Jedoch greift der Autor innerhalb der einzelnen Kapitel immer wieder vor beziehungsweise zurück und reiht die Unterkapitel zumeist ohne Überleitung aneinander.
Lange Zeit, so erfährt man, waren die deutschen Bienenzüchter in verschiedenen Verbänden organisiert, die in Konkurrenz und teilweise gar Rivalität zueinander standen. Erst 1907 kam es zur Gründung des Deutschen Imkerbundes. Eine zentrale Aufgabe sahen die Verbände darin, den Absatz von deutschem Honig zu verbessern und von der Politik Schutzzölle, Steuererleichterungen sowie einen besseren Produktschutz zu fordern.
Völkisch-nationalistische Vorstellungen waren, wie Stripf eindrücklich belegt, unter den Bienenzüchtern weit verbreitet. So kritisierte etwa 1899 ein Autor der "Bienenzeitung" den Import ausländischer Bienen als "Mangel an Patriotismus" und setzte sich für "die rassereine deutsche Biene" ein, die "eine Volksbiene im wahrsten Sinne des Wortes" sei (60). In den Presseorganen der Imker wurde der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zumeist euphorisch begrüßt, der kriegsbedingt notwendige Einsatz von Frauen am Bienenstock hingegen kritisch gesehen. Er stellte das konservativ-patriarchalische Familien- und Gesellschaftsbild infrage, das im verbreiteten Selbstbild des Imkers als "Bienenvater" zum Ausdruck kam.
Während der Weimarer Republik nahm die Zahl der Imker und der Bienenvölker im Deutschen Reich ab (u. a. aufgrund der Inflationskrise) und der Import von günstigem Auslandshonig zu. Dagegen setzte der Deutsche Imkerbund in martialischem Duktus auf "Einheitsglas, Einheitsschild, Bürgschaftsverschluß, Überprüfungs- und Überwachungsdienst und eine ausgedehnte Werbearbeit" als "Waffen" im "Kampf" um den "Honigmarkt" (138 f.). Mit der Regierung Hitler, so Stripf, "verbanden sich in der Imkerschaft große Hoffnungen" (149). Bereits im Sommer 1933 begann "nahezu geräuschlos" (155) die Selbstgleichschaltung des Deutschen Imkerbundes. Ein Jahr später ging er in der Reichsfachgruppe Imker des Reichsnährstandes auf. Deren Präsident, der bisherige Leiter des Imkerbundes und DNVP-Landtagsabgeordnete Karl Hans Kickhöffel, zählte nach den Worten Rainer Stripfs "wohl zu den einflussreichsten und dominantesten Bienenfunktionären während des Nationalsozialismus" (160). Auf die nicht in Verbänden organisierten Imker - 1935 waren dies gut die Hälfte aller deutschen Bienenzüchter (173) - wurde in der Folgezeit Druck ausgeübt, damit sie der Reichsfachgruppe beitraten. Im Zuge des Vierjahresplans und der kriegsvorbereitenden Autarkiebestrebungen wurde den Imkern auferlegt, die Zahl der Bienenvölker und die erzeugte Honigmenge zu steigern. Während des Kriegs veröffentlichten die Imkerzeitschriften dann "Hinweise für das luftschutzbereite Bienenhaus" (242 f.), forderten eindringlich ihre Leser zur Abgabe von Honig an staatliche Stellen auf oder berichteten in antislawischem Duktus über die angeblich rückständigen Praktiken der Bienenzucht in Polen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, so konstatiert Stripf, kam es an der Spitze des 1949 wiedergegründeten Deutschen Imkerbundes zu keiner "personelle[n] Erneuerung"; im Nationalsozialismus "aktive Bienenzüchter" genossen weiterhin "hohes Ansehen" (270). Und auch beim Streit in Fragen der Bienenzucht wurde nach 1945 an frühere Zeiten und alte Rivalitäten angeknüpft. Die Ausbreitung der Varroamilbe seit den 1970er Jahren stellte die Imkerei schließlich vor neue, große Herausforderungen und führte zu hohen Verlusten an Bienenvölkern. Nach der Wiedervereinigung nahm die Zahl der Imker in Ostdeutschland drastisch ab, da viele von ihnen für den marktwirtschaftlichen Wettbewerb nicht gerüstet waren. Allerdings war im Westen schon zuvor eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Seit knapp zehn Jahren allerdings wächst die Zahl der Mitglieder im Deutschen Imkerbund wieder. Grund hierfür ist - wie der Autor in einem kurzen Ausblick anführt - das gestiegene Interesse am Hobbyimkern, und auch an der Verbreitung der Bienenhaltung in der Stadt.
In seiner Studie verwendet Stripf zahlreiche Zitate aus der Forschungs- und der zeitgenössischen Literatur, verzichtet jedoch häufig auf deren Kontextualisierung und auf die Bildung von Thesen. Allgemein fehlt es dem Werk an Stringenz und Reduktion auf wesentliche Informationen. Während etwa seitenweise Gedichte zur Vereinigung der Imkerverbände zu finden sind, die Einfuhrmenge der aus diversen Ländern nach Deutschland importierten Bienen dargelegt wird oder Näheres über unterschiedliche "Rähmchenmaße" und "Beutentypen" (71) zu erfahren ist, sucht der Leser so basale Informationen wie beispielsweise Angaben zur Entwicklung der Gesamtanzahl der Imker und Bienenvölker während des Kaiserreichs vergebens. Generell betrachtet Stripf primär die Verbände und stützt sich auf ihre Periodika - ein solches Vorgehen mag zwar aufgrund der vermutlich schwierigen Quellenlage pragmatisch begründet sein, doch kommen dadurch der Blick auf die Mikroebene und die vielen Imker zu kurz, die keinem Verband angehörten.
Häufige chronologische und gedankliche Sprünge, unnötige Exkurse, schiefe und vielfach miss- oder gar unverständliche Formulierungen sowie ein fehlender Argumentationsfaden machen die Lektüre des Buchs von Rainer Stripf zu einer Herausforderung. Sätze wie "Für die Bienenzüchter in Deutschland bedeutete das neu geformte Kaiserreich des Jahres 1871 nicht gleichermaßen eine Zäsur im Hinblick auf ihre gesamtstaatliche Organisation, vielmehr befanden sie sich noch in einem Entwicklungsfluss, der einen paradigmatischen Ausgang von der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm und noch etwa ein halbes Jahrhundert in Anspruch nehmen sollte, bis ein 'Deutscher Imkerbund' entstand" (17) zeugen davon, dass dem Text offensichtlich kein Lektorat zuteilwurde. Das ist umso bedauerlicher, als eine gut lesbare Synthese die historische Dimension des "Trend-Themas Imkerei" einer breiteren Leserschaft hätte anschaulich näherbringen können.
Anmerkung:
[1] Rainer Stripf: Die Bienenzucht in der völkisch-nationalistischen Bewegung. Pädagogische Hochschule Heidelberg 2018, urn:nbn:de:bsz:he76-opus4-2829 (letzter Zugriff: 01.02.2021).
Rainer Stripf: Honig für das Volk. Geschichte der Imkerei in Deutschland, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019, 412 S., 40 s/w-Abb., ISBN 978-3-506-78008-9, EUR 39,90
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.