Der Umgang mit den Gutsbesitzern, die von 1945 bis 1949 durch die Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) enteignet worden waren, gehört zu den umstrittensten Problemen der Wiedervereinigung Deutschlands. Nach der "Gemeinsamen Erklärung" der beiden deutschen Regierungen vom 15. Juni 1990 und dem Einigungsvertrag vom 31. August sollten Enteignungen, die auf besatzungsrechtlicher bzw. -hoheitlicher Grundlage erfolgt waren, nicht revidiert werden. Damit war eine Rückerstattung des Eigentums von Gutsbesitzern ausgeschlossen - im Gegensatz zu den Enteignungen, die in der DDR vollzogen worden waren. Die besondere Regelung rechtfertigte die Bundesregierung mit dem Hinweis auf die Position der sowjetischen Führung unter Michail Gorbatschow, der aber seit den 1990er Jahren ein Junktim zwischen dem Rückerstattungsverbot und der Zustimmung der UdSSR zur Wiedervereinigung Deutschlands in Abrede gestellt hat. 1991 und 1996 wies das Bundesverfassungsgericht Klagen enteigneter Gutsbesitzer bzw. ihrer Erben zurück. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte 2005 die Regelung des Einigungsvertrages. Allerdings konnten die Enteigneten bzw. ihre Nachkommen nach dem 1994 vom Bundestag verabschiedeten Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz das Land, das ab 1992 von der Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft übernommen worden war, zu relativ günstigen Bedingungen erwerben.
Damit sind seit den 1990er Jahren auch adlige Familien in die neuen Bundesländer zurückgekehrt. Sie trafen dabei auf Dorfbewohner, die schon vor 1945 in den Gemeinden gelebt hatten oder nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hierher gekommen waren. Den Kontakt und Austausch zwischen den westdeutschen Rückkehrern und den ostdeutschen Einwohnern behandelt Ines Langelüddecke in ihrem Buch, das die Beziehungen und Erfahrungen zwischen den beiden Gruppen im "Raum zwischen Dorf und Gut" (15) untersucht. Dazu werden im Einzelnen Erfahrungen, Vorstellungen und Erwartungen von Zugehörigkeit, Heimat und Traditionen in drei brandenburgischen Gutsdörfern rekonstruiert, in denen 1990 unterschiedliche Konstellationen vorherrschten. Während die Adelsgeschichte in der Gemeinde Siebeneichen mit dem Abriss des Wohngebäudes nach dem Zweiten Weltkrieg abgebrochen war, bestanden zumindest die landwirtschaftlichen Traditionen des Gutsbetriebes in Bandenow fort. In Kuritz wurde die Adelsgeschichte in eine lokale Geschichtserzählung umgewandelt. Insgesamt werden damit materielle und symbolische Kennzeichen der analysierten Räume in die Darstellung einbezogen, allerdings für die drei Dörfer in unterschiedlicher Akzentuierung. Deshalb können die Befunde der Studie letztlich nur begrenzt miteinander verglichen werden.
Auf der Grundlage zahlreicher Zeitzeugeninterviews mit den beteiligten Akteuren sowie der Überlieferung im Brandenburgischen Landeshauptarchiv und der Kreisarchive zeichnet Ines Langelüddecke die Begegnungen und Interaktionen zwischen zurückgekehrten adligen Familien und den Dorfbewohnern, aber auch innerhalb der letzteren Gruppe nach. Dabei tritt der symbolische Stellenwert der Gutshäuser, Parks und Adelsfriedhöfe hervor, deren Gestaltung in den drei Gemeinden nach 1990 Anlass und Projektionsfläche von Konflikten und Aushandlungsprozessen war. So sind in den scharfen Auseinandersetzungen über die Nutzung des Schlossparks im Bandenow seit 2000 unterschiedliche Eigentumsverständnisse aufeinandergeprallt. Auch wurden gegensätzliche Vorstellungen zum Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre deutlich. Ähnlich entwickelte sich die symbolische Aufladung von Adelsfriedhöfen, die zugleich private und öffentliche Orte gewesen sind. Überdies lösten diese besonders in Siebeneichen Diskussionen über Möglichkeiten und Grenzen der Grabpflege in der DDR aus. Noch darüber hinaus weisend, beleuchtete die Wiederherstellung zuvor vernachlässigter Gräber vermiedene oder genutzte Handlungsmöglichkeiten in der DDR. Auch in den lokalen Diskussionen und Konflikten über die Nutzung und Restaurierung von Gutshäusern ("Schlössern") wurden zwischen den adligen Rückkehrern und den Dorfbewohnern, aber auch zwischen diesen Deutungen der unmittelbaren Vergangenheit ausgetauscht und verhandelt.
Allgemein zeigt und belegt Langelüddecke den Einfluss von Raumwahrnehmungen auf soziale Beziehungen. Zudem trafen in allen drei Gemeinden unterschiedliche zeitliche Bezugshorizonte aufeinander. Während sich die Dorfbewohner in ihren Erzählungen auf die Nutzung des ehemaligen Gutslandes, der "Schlösser" und der dazugehörigen Anlagen in der DDR konzentrierten, war aus der Sicht der zurückgekehrten Adelsfamilien die Enteignung unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg die entscheidende Zäsur. Der Rückkauf des Bodens durch die Nachkommen der ehemaligen Eigentümer löste in den Dörfern deshalb auch heftige Konflikte aus. Nur in Bandenow blieben Auseinandersetzungen aus, weil hier das enteignete Land nicht an Neubauern verteilt, sondern geschlossen in ein Volkseigenes Gut überführt worden war. Konflikte ergaben sich aber auch aus der unterschiedlichen Prägung durch das Leben in der DDR und in der Bundesrepublik. Außer Gegensätzen und Spannungen werden in dem Buch Formen des Schweigens untersucht, das in den Gemeinden gelegentlich ungleiche Machtverhältnisse überdeckte und Auseinandersetzungen vermied, Gutsbesitzer und ihre Familien aber wiederholt irritierte. Tabuisierungen durch Dorfbewohner waren jedoch nicht nur auf das Misstrauen gegenüber den Rückkehrern, sondern auch auf die nach 1990 in den neuen Bundesländern weiterhin existierenden "Sagbarkeitsregime" (331) der staatssozialistischen Diktatur zurückzuführen.
Weniger ausführlich werden Konsenszonen diskutiert. Allerdings stellt Langelüddecke fest, dass die adligen Gutsbesitzer - entgegen der SED-Propaganda gegen die oft pauschal diffamierten "Junker" - in den Dörfern (vor allem in Siebeneichen und Kuritz) seit den 1970er Jahren durchaus in die Lokalgeschichte und Heimatvorstellungen integriert worden waren. Offenbar veränderte die Diskussion über "Erbe" und "Tradition" auch im lokalen Raum historisch begründete Zuschreibungen. Zudem zeigen die Lokalstudien die vermittelnde Rolle von Vertretern der Kirche, an die viele ehemalige Bauern gebunden blieben. Diese arbeiteten spätestens ab den frühen 1960er Jahren in Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), denen viele nur unter Druck, Zwang und Gewalt beigetreten waren. Auch die Vorbehalte gegen den Zusammenschluss von LPG zu großen Kooperationsbetrieben (beginnend um 1970) und die besonders starken Einwände gegen die Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion teilten die kollektivierten Bauern mit den zurückgekehrten Gutsbesitzern. Diese Übereinstimmungen werden in dem Buch aber nur angedeutet.
Langelüddeckes Arbeit erweitert die Perspektive der Geschichtsschreibung zur ländlichen Gesellschaft in der SBZ und DDR in mehrfacher Hinsicht. Sie behandelt konkret und anschaulich die mentalen Folgen des sozioökonomischen Umbruchs auf dem Lande vor 1990 im Transformationsprozess nach der Wiedervereinigung. Zudem lenkt sie den Blick auf soziale Interaktionen auf der lokalen Ebene. Zwar beanspruchen die drei Lokalstudien keine Repräsentativität; die Darstellung zeichnet sich vielmehr durch die exemplarische Tiefenanalyse der dörflichen Milieus aus. Dabei sind wiederholt auch Plausibilitätsannahmen - anstelle eindeutiger Belege - unvermeidlich. Dennoch wäre eine Bündelung und Verdichtung der instruktiven Einzelbefunde auf einer mittleren Abstraktionsebene wünschenswert (aber vielleicht auch noch unmöglich) gewesen. So bleiben die an sich weiterführenden übergreifenden Schlussfolgerungen zur "Ungleichzeitigkeit in den Wahrnehmungen" in den "Erzählgemeinschaften" (346) von zurückgekehrten Adligen und Dorfbewohnern, zu den Raum-Zeit-Bezügen sowie zu den mentalen Kontinuitäten über die Umbrüche von 1945 und 1989/90 hinweg etwas allgemein. Auch nimmt die Darstellung die in der Geschichtsschreibung zur DDR leider weit verbreitete Praxis auf, die staatssozialistische Diktatur der SED einfach mit "Sozialismus" (z. B. 198, 256, 342, 349 und 352) zu bezeichnen und unscharfe Begriffe wie "Wende" bzw. "Wendezeit" (198, 212 und 335) zu verwenden. Nicht zuletzt verfügt das Buch weder über ein Sachregister noch ein Personenverzeichnis, so dass der Inhalt nur mit Hilfe der (allerdings zahlreichen) Zwischenüberschriften erschlossen werden kann. Die weitere Forschung wird jedoch an das auch in methodischer Hinsicht innovative Fazit anknüpfen: "Die Räume des früheren Gutes sind Ausgangspunkte für Erfahrungen und Erwartungen, die sich auf unterschiedliche Zeitschichten beziehen." (353).
Ines Langelüddecke: Alter Adel - Neues Land? Die Erben der Gutsbesitzer und ihre umstrittene Rückkehr ins postsozialistische Brandenburg, Göttingen: Wallstein 2020, 379 S., 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3635-3, EUR 39,90
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