Wissenschaftliche Sammlungen sind in den vergangenen Jahren stärker ins Bewusstsein sowohl der sie unterhaltenden Hochschulen als auch der breiteren Öffentlichkeit gerückt. [1] Die vorliegende Studie von Miriam Müller, die sich bereits an verschiedenen Stellen mit dem Thema beschäftigt hat, geht in ihrer von Marian Füssel in Göttingen betreuten Dissertation der Frage nach, wie solche Sammlungen entstanden sind, wie sie an die Universitäten gelangten und auf welche Weise sie ihren Platz in der Wissenschaftspraxis fanden. Es handelt sich dabei um den ersten Band der Teilreihe Wissensgeschichte in der neuen Schriftenreihe "Wissenschaftskulturen" des Franz Steiner Verlags.
Die Frage nach der Materialität universitärer Wissenspraxis im 18. Jahrhundert ist nicht neu, bereits seit den 1980er Jahren wurde sie wiederholt gestellt und für verschiedene Aspekte des materiellen Lebens an Universitäten auch beantwortet. [2] Müller untersucht in ihrer Arbeit die Sammlungen der Universitäten Göttingen, Halle (Saale), Helmstedt, Leipzig, Erlangen, Tübingen sowie der beiden katholischen Universitäten Freiburg i. Br. und Ingolstadt. Dabei geht sie von "Wissensdingen" aus, die sie definiert als materielle Dinge, "denen zeitgenössisch zugeschrieben wurde, ein inhärentes Wissen über ihre eigene Natur zu enthalten sowie dieses erschließbar und vermittelbar machen zu können" (17). Methodisch folgt sie einem praxeologischen Ansatz, das Handeln um und mit diesen Wissensdingen steht im Fokus; eine vergleichende Institutionengeschichte ist weder beabsichtigt, noch erscheint sie der Verfasserin für den Untersuchungszeitraum sinnvoll, da die (noch) nicht institutionalisierten Sammlungen einzelner Professoren mobil und flüchtig waren (21).
Müller gliedert ihre Untersuchung in drei Abschnitte, die Ökonomie der Wissensdinge (34-103), die Wissenskommunikation (103-166) und die Institutionalisierung der Wissensdinge (167-227). In ihrer Untersuchung zeichnet sie folgendes Bild: Um etwa 1700 kamen neben der traditionellen Hermeneutik Ansätze der empirischen Methodik an den Universitäten des Heiligen Römischen Reiches stärker in Gebrauch. Dabei spielten die sich in aller Regel im Privateigentum einzelner Professoren befindlichen Sammlungen an Wissensdingen - etwa chemische Laboratorien oder anatomische Präparate - eine bedeutsame Rolle. Der Nutzen dieser Sammlungen wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts auch von den Finanzträgern der Universitäten erkannt und zum Eigeninteresse entwickelt, bedeuteten viele zahlende Studenten doch immer auch vermehrte Einkünfte und erhöhtes Renommee (Professoren deklarierten beispielsweise Vorlesungen, in denen sie Wissensdinge verwendeten gerne als Privatkollegien, für die die Studenten ein höheres Hörergeld entrichten mussten, 108-111). Landesregierungen und Universitäten bemühten sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts immer häufiger um die Beibehaltung der Sammlungen und institutionalisierten diese. In der Nachfolge frühneuzeitlicher Kuriositätenkabinette erfolgte teilweise die Umwandlung dieser Sammlungen zu Universitätsmuseen (216-222). Den Professoren blieb dabei häufig als Kuratoren der Zugriff, nicht aber die finanzielle Verpflichtung zum Unterhalt erhalten. Es entwickelten sich neue Lehrformen und seminaristische Übungen mit deutlich stärkerer Partizipation der Studenten als bisher. Ende des 18. Jahrhunderts erreichten die Sammlungen einen bis dahin ungekannten Umfang; anatomische Theater, chemische Labore, botanische Gärten oder auch Sternwarten wurden eingerichtet. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren diese Wissensdinge bereits fest etablierter Bestandteil einzelner, teils neuer Fächer, vor allem im Bereich der Naturwissenschaften. Sie trugen auch zur Ausgestaltung neu entstehender Disziplinen wie der Archäologie und der Kunstgeschichte bei.
Müller untermauert ihr Narrativ durch eine Fülle von Beispielen aus den genannten Universitäten, meist anhand archivischer Überlieferung. Laut einer ihrer Thesen bedeutete das Vorhandensein dieser materiellen Infrastruktur für die Professoren reales wie soziales Kapital (102). Diese Sammlungsaktivitäten bargen auch das Risiko des Ansehensverlustes, falls der Professor nicht mehr in der Lage war, die Sammlung zu finanzieren. Die Durchführung der Sammlungstätigkeit mit ihren Höhen und Tiefen kann die Verfasserin beispielsweise an den Sammlungen von Gottfried Christoph Bareis (Helmstedt) und Christian Wilhelm Büttner (Göttingen) sowie des Ex-Jesuiten Franz Joseph Lipp (Freiburg) umreißen (78-94, bes. 85-88).
Die Sammlungen wurden in der Lehre verwendet, wodurch Lehrende wie Studierende praktische Fertigkeiten erwarben, etwa Geschicklichkeit beim Gebrauch des Seziermessers im medizinischen Bereich. Studentisches Lernen änderte sich vor allem im Bereich der Medizin und der Naturwissenschaften. Es kündigten sich mehr partizipative Unterrichtsformen an, die im 19. Jahrhundert in allen Fachbereichen an Bedeutung gewannen (146-155). [3] Zeitgenossen kritisierten die zunehmende Praxisnähe universitärer Lehre (165-166). Auch differenzierten sich die an der universitas vorhandenen Berufsbilder weiter aus, etwa durch die Entstehung des Berufs eines Assistenten mit praktischer Erfahrung (121-166).
Für die Untersuchung der fortschreitenden Institutionalisierung, einen Teilaspekt der gesamten Studie, nimmt Müller überwiegend Rekurs auf Beispiele protestantischer Universitäten. Katholische Universitäten verfügten zwar ebenfalls über Sammlungen, besonders dort, wo Jesuiten agierten (87). Diese Sammlungen waren im Untersuchungszeitraum bereits eng mit der Institution, nicht mit dem Sammler verbunden, da Ordensgeistliche der Armut und Bescheidenheit verpflichtet waren, wie Müller ausdrücklich festhält. Eine Ausnahme stellte der Jesuit Ferdinand Orban dar, der in einem Patronageverhältnis mit Kurfürst Johann Wilhelm in Düsseldorf stand (56-62). Die Frage nach der offenbar früher erfolgten Institutionalisierung wissenschaftlicher Sammlungen katholisch-jesuitischer Hochschulen wird nur andeutungsweise gestellt, hätte allerdings auch den Rahmen der Arbeit und die Stringenz der Argumentation gesprengt.
Die Arbeit enthält eine Vielzahl von Details ohne in Detailverliebtheit abzugleiten; der rote Faden in der Argumentation bleibt - auch durch ein Zwischenfazit nach den drei jeweiligen Teilkapiteln - stets erkennbar. Abgesehen davon, dass der theoretische Teil der Einleitung die weitere Argumentation wenig beeinflusst (etwa die Heranziehung des Konzepts der arrangements im Sinne Theodore Schatzkis zur Beschreibung der Sammlungen, 18-19), ist Miriam Müller eine solide Studie gelungen, die die Etablierung der und den Umgang mit den Wissensdingen an Universitäten des 18. Jahrhunderts treffend betrachtet. Müllers Untersuchung bietet einen lebendigen und faszinierenden Einblick in die Frühzeit universitärer wissenschaftlicher Sammlungen.
Anmerkungen:
[1] Überregionale Träger dieser Entwicklung sind die Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland und die Gesellschaft für Universitätssammlungen e.V.
[2] In jüngerer Zeit beispielsweise Elizabeth Harding: Der Gelehrte im Haus. Ehe, Familie und Haushalt in der Standeskultur der frühneuzeitlichen Universität Helmstedt, Wiesbaden 2014.
[3] Johannes Wischmeyer: Theologiae Facultas. Rahmenbedingungen, Akteure und Wissenschaftsorganisation protestantischer Universitätstheologie in Tübingen, Jena, Erlangen und Berlin 1850-1870, Berlin / New York 2008.
Miriam Müller: Der sammelnde Professor. Wissensdinge an Universitäten des Alten Reichs im 18. Jahrhundert (= Wissenschaftskulturen. Reihe I: Wissenschaftsgeschichte; Bd. 1), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2020, 268 S., 8 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-12714-1, EUR 44,00
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs dieser Online-Adresse an.