sehepunkte 21 (2021), Nr. 10

Thomas Biller: Die Hohkönigsburg im Mittelalter

Die elsässische Hohkönigsburg zählt zu den bekanntesten Burgen in Europa, nach dem Pariser Louvre ist sie die am stärksten besuchte Burg in Frankreich. Ihre Attraktivität verdankt sie nicht zuletzt ihrer Wiederherstellung durch den Burgenkundler Bodo Ebhardt, der 1899-1908 aus einer monumentalen Ruine eine "vollständig erhaltene" Burg im - nach damaligem Stand des Wissens - authentischen Bild des 15./16. Jahrhunderts schuf. Das Erscheinungsbild verleitet aber Besucher, in ihr ein reines Bauwerk des Burgenhistorismus zu sehen.

Das Buch des Bauforschers und Kunsthistorikers Thomas Biller, der sich zusammen mit dem Straßburger Historiker Bernhard Metz seit Jahrzehnten mit den Burgen des Elsass beschäftigt [1], stellt nun bewusst die mittelalterlichen Bauteile ins Zentrum. Ursprünglich war dies als Teil einer Forschungs- und Publikationsreihe der französischen Kulturverwaltung geplant, die aber nach vielversprechenden zwei Bänden dem Rotstift zum Opfer fiel (10-11). [2] Dem Engagement Thomas Billers und dem Alemannischen Institut in Freiburg ist es hoch zu danken, dass seine Forschungen doch publiziert wurden. Schon der erste Blick ist erfreulich: Ein fest gebundenes Buch mit sauberem Layout und reicher, oft farbiger Bebilderung. Der nützliche Gesamtplan wird erst im thematisch passenden Kapitel abgebildet und ist daher leider etwas versteckt (122).

Am Beginn steht eine kompakte Darstellung der Geschichte der Burg aus der Feder von Bernhard Metz (13-42), von der Erstnennung des Berges als "Stophanberch" 774 über die Wandlung des Namens zur "Kunegesberc" 1267 hin zur Hohkönigsburg Mitte des 15. Jahrhunderts, der Zerstörung 1462 mit nachmaligem Wiederaufbau ab 1479 durch die Grafen von Thierstein, die vorderösterreichische Verwaltung und der nachfolgende Pfandbesitz vor allem der Sickinger (1533-1606), schließlich die Zerstörung nach schwedischer Belagerung 1633. Kompliziert wird die Geschichte, da im Mittelalter mehrere Anlagen als Königsburg bezeichnet wurden, darunter auch jene nahe Ruine, die heute als "Oedenburg" bekannt ist. Wichtig für die frühe Baugestalt ist der Nachweis einer Doppelburg auf dem "Estufin" bereits 1147 im Besitz König Konrads III. beziehungsweise Herzog Friedrichs (Barbarossa). Nicht nur hinsichtlich dieser "echt staufischen Burg" und der Zeit in Habsburger Besitz wählt Metz abwägende Worte und relativiert die sonst leicht mitschwingende Bedeutung in wohltuender Weise.

Hierauf schließt sich als Hauptteil die baugeschichtliche Untersuchung durch Thomas Biller an. Im ersten Abschnitt (43-119) widmet er sich der romanischen Anlage, die schon Mitte des 12. Jahrhunderts aus zwei direkt hintereinander liegenden Burgen bestand, jeweils mit Turm und Saalbau, mindestens eine wohl mit einer Kapelle: Im Bereich des heutigen "Hochschlosses" oder im Areal des "Hohen Gartens" und Großen Bollwerks. Biller kehrt hier auf seine eigenen frühen Pfade zurück [3], nun kann er dies präzisieren und ergänzen, wobei er neue Aufmaße der entscheidenden Partien beziehungsweise Detailpläne verwendet (der Rezensent schätzt sich glücklich, dass er an solcher Aufmaßaktion unter Thomas Biller mitwirken konnte). Der folgende, wegen der erhaltenen Bausubstanz umfangreichere Teil widmet sich dem spätgotischen Bau unter den Grafen von Thierstein ab 1479, unterteilt in die Kapitel "Das Hochschloss" (121-211), "Das Große Bollwerk" (213-236) und "Vorburg, Zwinger und 'Tiergarten'" (237-274), dem aufgrund der Bedeutung eine eigene Zusammenfassung folgt (275-279).

Zwei Aspekte seien herausgestellt: Zum einen der Aus- und Umbau des spätgotischen "Hochschlosses", dem herrschaftlichen Wohn-, Repräsentations- und wohl auch Verwaltungsbereich. Hier mussten die Raumfunktionen auf engem Raum gestapelt werden. Es gelingt, diese überzeugend zu rekonstruieren und mit Inventaren in Beziehung zu setzen (178-195). Der leider unbekannte "erfahrene und kreative Baumeister" (275) reagierte auf die Bedrohung durch Beschuss, indem er ein bleigedecktes flaches Steinplattendach wählte (das von Ebhardt rekonstruierte steile Ziegeldach ist eine spätere Zutat), er es unter dem Dach einwölbte und die Pfeiler nach innen legte - eine im Burgenbau einmalige Lösung, die man sonst nur von Wandpfeilerkirchen kennt.

In gleicher Weise aufschlussreich für die Position der Hohkönigsburg in der Architektur des ausgehenden 15. Jahrhunderts ist das "Große Bollwerk", das die Angriffsseite zum Berggrat deckt. Geringe hochmittelalterliche Reste (eines Turms?) an dieser Stelle hatte Ebhardt notiert und können von Biller gedeutet werden. Der heutige Bestand ist (unterhalb der Brustwehr) vollständig aus der Zeit ab 1479. Biller gelingt es, im größeren der beiden Ecktürme hoch oben ein ursprünglich geplantes Burgtor zu identifizieren - dies hätte den Zugang in die Kernburg um 180 Grad gedreht und von der Ost- auf die Westseite verlegt. Ebhardt hat diesen Befund erkannt (221 mit Planskizze von 1905), aber nicht publiziert - er war eben trotz aller Verdienste kein Bauforscher. Das Große Bollwerk stellt ein bedeutendes Bauwerk aus der Frühzeit der Artilleriebefestigung dar. Die komplexe Ebhardtsche Dachlandschaft verunklärt dies leider, eine neue Gesamt-Längsansicht des Zustands um 1500 (123) macht dies anschaulich. Der Rezensent hätte sich noch mehr Rekonstruktionszeichnungen gewünscht, doch entschied sich Biller für eine sachliche, auf die Vorlage der Befunde und deren Interpretation (etwa durch Baualterpläne) konzentrierte Darstellung. Vorbildlich ist, wie er stets den klaren Befund und die Interpretation unterscheidet und den Spielraum verdeutlicht.

Biller betont, dass rund 80 Prozent der Baumasse aus dem Mittelalter bis 16. Jahrhundert stammen. Zudem arbeitet er heraus, dass Ebhardt die Ruine sehr sorgfältig untersuchte und seine Rekonstruktionen möglichst auf Befunde, Spolien und archivalische Quellen aufbaute. Hier ist der erhaltene umfangreiche Planbestand (vor allem im Europäischen Burgeninstitut in Braubach und Germanischen Nationalmuseum) eine noch nicht ausgeschöpfte Quelle. Stellvertretend sei der achteckige Treppenturm im Hof des Hochschlosses genannt, wegen dem Ebhardt von Kritikern, insbesondere Otto Piper harsch angegangen wurde - dessen Form aber sehr wohl auf Befunden beruht. Den misslichsten "Fehlgriff" machte Ebhardt wohl mit der "Rekonstruktion" einer großen Schmiede im ersten Vorhof, denn kaum war die Ebhardt nur aus Schriftquellen bekannte Schmiede über aufgedeckten dürftigen Fundamenten als großes zweistöckiges Haus inklusive Inneneinrichtung (!) errichtet, entdeckte man nur wenige Meter daneben an der Ringmauer den tatsächlichen Standort. Biller zeigt die Grabungsfotos und Planskizzen aus Ebhardts Baubüro (238, 254-258). Offensichtlich konnte sich Ebhardt nicht die Blöße geben, dies in seinen Publikationen einzugestehen (zumal zeitgenössisch seine Schmiede sogar Ziel der anti-deutschen Satire wurde [4]) und an einer soliden Dokumentation solch wohl als zu banal empfundener Objekte hatte man kein Interesse - dass dies schon wenig später hätte anders sein können, belegen die Untersuchungen des Archäologen Nils Lithberg in der schweizerischen Burg Hallwyl 1910-1918. [5]

Das Buch wird trotz des Fokus auf die mittelalterliche (Bau-)Geschichte abgerundet mit einer Einordnung der Hohkönigsburg "Zwischen Kaiserverehrung und Denkmalpflege - der Wiederaufbau 1899-1908" (281-307). Nicht unerwähnt bleiben soll noch ein - von Bernhard Metz geleisteter - Anhang mit Aufstellung der Vögte der Hohkönigsburg 1391 bis 1633 (309-310). Insgesamt ein Buch, dass mustergültig auch Nichtfachleuten die Bedeutung dieser Burg auch und gerade als mittelalterliches Bauwerk vor Augen führt.


Anmerkungen:

[1] Thomas Biller / Bernhard Metz: Die Burgen des Elsass - Architektur und Geschichte. Hrsg. vom Alemannischen Institut Freiburg/Br., Bd. 1-3, Berlin-München 2007-2018 (Bd. 4 noch nicht erschienen).

[2] Vgl. Bernadette Schnitzler en collaboration avec Jean Favière: 13 mai 1908. Une inauguration mouvemente (Les Cahiers du Haut-Koenigsbourg; vol. 1), 2013; René Kill en collaboration avec Florent Fritsch et Henri Schoen: Le château du Haut-Koenigsbourg et l'eau (Les Cahiers du Haut-Koenigsbourg; vol. 2), 2015.

[3] Thomas Biller: Bemerkungen zu Bestand und Entwicklung der Hohkönigsburg im 12. und 13. Jahrhundert, in: Burgen und Schlösser 1979, Heft 1, 2-10.

[4] Hansi [=Jean Jacques Waltz]: Die Hohkönigsburg im Wasgenwald und ihre Einweihung, Mühlhausen i.E. 1908, Tafel X "Die Schmiede".

[5] Nils Lithberg: Schloss Hallwil, 5 Bde., Stockholm 1924-1932, hier Bd. II: Die Ausgrabungen und Bd. III/1-2: Die Fundgegenstände. Vgl. Peter Frey et al.: Das Stammhaus der Herren von Hallwyl. Die archäologischen Untersuchungen auf dem Wasserschloss Hallwyl 1995-2000, Baden 2007.

Rezension über:

Thomas Biller: Die Hohkönigsburg im Mittelalter. Geschichte und neue Bauforschung (= Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts Freiburg i. Br.; Nr. 87), Ostfildern: Thorbecke 2020, 316 S., 176 Abb., ISBN 978-3-7995-1453-8, EUR 34,00

Rezension von:
Daniel Burger
Staatsarchiv Nürnberg
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Burger: Rezension von: Thomas Biller: Die Hohkönigsburg im Mittelalter. Geschichte und neue Bauforschung, Ostfildern: Thorbecke 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 10 [15.10.2021], URL: https://www.sehepunkte.de/2021/10/35414.html


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