In Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz gilt Deutschland nicht zuletzt auf kommunaler Ebene als Musterland. Dazu tragen bürgerschaftliche Aktivitäten sowie die flächendeckende Organisation und Kommunalwahlerfolge der Grünen seit Mitte der 1980er Jahre bei. Auch den Kommunalverwaltungen kommt bei der Umsetzung ein hoher Stellenwert zu, wie etwa bei der im Ausland seit den 1980er Jahren als typisch deutsch geltenden Müllsortierung. Erstaunlicherweise ist bisher wenig bekannt, wie die Akteure aus Bürgerschaft, Politik und Verwaltung mit ihren Aktivitäten auf das kommunalpolitische System sowie die Stadtgesellschaft einwirkten. Wie sahen umweltpolitischer Protest, Engagement sowie die Arbeit der etablierten Kommunalpolitik und -verwaltung im Einzelnen aus? Wie entwickelten sich kommunale Umweltpolitiken, wie institutionalisierten und etablierten sie sich?
Der Darmstädter Umwelthistoriker Lieb untersucht das Umweltengagement in den beiden benachbarten Landeshauptstädte Wiesbaden (Hessen) und Mainz (Rheinland-Pfalz) und vergleicht die Ergebnisse mit der "Green City" Freiburg im Breisgau, einer ähnlich großen und bedeutenden Kommune im deutschen Südwesten. Im Gegensatz zu dem als Sitz des Öko-Instituts bekannten Freiburg sind die beiden Landeshauptstädte nicht als Hochburgen umweltpolitischen Engagements bekannt. Anhand des von Jens Ivo Engels entwickelten methodischen Zugangs des "politischen Verhaltensstils" untersucht Lieb mit Schwerpunkt auf bürgerschaftliche Akteure weniger das "Warum", also die Motive, als vielmehr das "Wie" der Umweltbewegungen in der Stadt. Auf drei Untersuchungsebenen geht es um a. Ziele und Interessen, b. Handlungsformen/Handlungspraxis und c. den Bedeutungsgehalt der "lebensweltlichen Stilisierung" und "selbst zugeschriebener Rollenbilder" [1]. Wesentliche Untersuchungskategorien sind bei Lieb die "Inkorporierung" sowie die "Normalisierung", die das früher bei der Forschung der Neuen-Sozialen Bewegungen gebräuchliche Konzept der "Institutionalisierung" ablösen. Der Vorteil ist, dass anders als bisher nicht nur Bewegungsstrukturen, sondern das lokale und städtische Umfeld in den Blick geraten.
Was sind die Ergebnisse? Erstaunlich ist, dass trotz der lokalen Unterschiede die Handlungsoptionen und Gestaltungschancen in der Umweltpolitik vergleichsweise wenig voneinander abweichen. Freiburg nahm beispielsweise auf institutioneller Ebene keine Pionierrolle ein: Die Etablierung eines Umweltamtes oder eines Umweltdezernates geschah nicht viel eher als in Mainz oder Wiesbaden.
Im Vergleich zu Mainz und Wiesbaden fällt jedoch auf, wie früh und bereitwillig sich der städtische Umweltschutz für bürgerschaftliche Akteure öffnete. Das 1977 gegründete Öko-Institut, die erste "Vollzeit-Denkfabrik der Umweltbewegung", mauserte sich in der 2. Hälfte der 1980er zu einem Partner für Initiativen und Verbände. Eine Umweltkarte für den ÖPNV wurde eingeführt und Öko-Messen ab Ende der 1970er Jahre auf dem Messegelände der Stadt durchgeführt. Zudem wies Freiburg eine für die Größe der Stadt beachtliche Alternativkultur auf. Die Stadt nutzte das damit verbundene Image und konnte sich als wesentlicher Standort der Umweltwirtschaft etablieren.
Die Analyse konkreter Mainzer Umweltschutzprobleme vor Ort beginnt am Fallbeispiel der Geruchsbelästigung durch einen Druckereibetrieb in Mainz-Hechtsheim. Hier handelte es sich um eine klassische Ein-Punkt-Initiative mit geringem Organisationsgrad, die ein Arzt und ein Rechtsanwalt leiteten und die sich auf Mahnschreiben und Unterschriftenlisten beschränkte. Auch der bis Anfang der 1980er in Mainz tätige Heinz Wald war als Einzelkämpfer tätig, dem es um die Reinigung des Waldes von Müll, die Wiederverwertung sowie um den Bau von Kinderspielplätzen ging. Um Natur-, Biotop- und Tierschutz ging es der Ortsgruppe Mainz-Lerchenberg im Deutschen Bund für Vogelschutz (DBV). Anhand der Ortsgruppe (heute NABU-Naturschutzbund Deutschland), die bis heute zur Massenorganisation mit 4.000 Mitgliedern anwuchs, kann die Normalisierung der Themen sowie Prozesse der Inkorporierung nachgezeichnet werden, etwa wenn städtische Räume für die Jugend- und Verbandsarbeit genutzt werden oder wenn die Ortsgruppe in städtischen Gremien vertreten ist.
Im Gegensatz dazu zeigen die Proteste und Demonstrationen gegen das Atomkraftwerk Biblis oder die Stadtbahn-West ein breiteres Aktionsspektrum und andere politische Verhaltensstile. Zum einen ist die Bürgerinitiative Umweltschutz (BIU) zu nennen, die sich thematisch breiter aufstellte, indem sie sich auf allen Ebenen für umweltpolitische Themen einsetzte und sich auf die Gegnerschaft zur Atomenergie konzentrierte. Ihr Verhaltensstil zeichnete sich durch Direktheit und Provokation aus. Neben Podiumsdiskussionen gab es Kirchenbesetzungen, Teilnahme an Anti-AKW-Demonstrationen im In- und Ausland sowie die Finanzierung eines eigenen Laborschiffes. Die Initiative war schnell Teil des linksalternativen Milieus und pflegte einen antihierarchischen und basisdemokratischen Habitus. Eine Interessenvertretung innerhalb der etablierten Kommunalpolitik lehnte sie mehrheitlich ab, ebenso wie der Arbeitskreis Umweltschutz (AKU) Wiesbaden, welcher noch systemkritischer war und einen radikal-alternativen Verhaltensstil bevorzugte. BIU und AKU schlossen sich der Gesamtbürgerinitiative gegen den Bau der Startbahn West an. Zeitgleich setzte eine Radikalisierung des Widerstandes ein und bürgerliche Aktivisten zogen sich zurück.
Es kam zu internen Diskussionen um die Legitimität von Aktionsmitteln und -formen. Diese auch in der norddeutschen Anti-AKW-Bewegung geführte Debatte zum Einsatz von Gewalt thematisiert Lieb vor dem Hintergrund der Todesschüsse auf Polizeibeamte 1987. Nachdem die Startbahn West bereits vier Jahre in Betrieb war, verebbte der Widerstand nach diesem Ereignis.
Insgesamt zeigen die aufgeführten Beispiele aus allen drei Städten, dass sich die Stadtverwaltungen bei umweltpolitischen Themen mehr an die Bevölkerung wendeten und ihrerseits über kommunale Institutionen, Ehrungen und Veranstaltungen zur Normalisierung und Inkorporierung des Themenkomplexes beitrugen. Aus der "Umweltverwaltung" wurde so eine "Umweltpolitik" und die kommunalen Anstrengungen im Umweltschutz ließen und lassen sich als Image- und Standortfaktor nutzbar machen (365).
Für die Bürgerinitiativen und den Aktionskreis Umweltschutz in den 1970er und 1980er Jahren kommt Lieb zu dem Schluss, dass der Anti-AKW-Protest innerhalb der Aktivitäten im Rhein-Main Gebiet einen geringeren Stellenwert als in Norddeutschland hatte und zeitweise von der Thematik Startbahn-West überlagert wurde. Erstaunlich blass bleibt die Rolle der hessischen und rheinland-pfälzischen Grünen im kommunalen und regionalen Kontext des bürgerschaftlichen Engagements. Die Diskussion um die Beteiligung auf gemeinsamen Wahllisten führte regelmäßig zu Konflikten. Auch wenn die Kommunalwahlerfolge weniger spektakulär als in Freiburg waren, regierten Grüne mit, etwa in Wiesbaden. Alt-Bürgermeister Achim Exner (SPD, 1985-1997) lässt sich jedoch gerne mit dem Ausspruch zitieren, dass die gemeinsame Tochter mit der Grünen-Stadträtin Margarethe Goldmann, die "erste rot-grüne Verbindung [war], bei der etwas herauskam, das Hand und Fuß hatte." (299) Auch in Mainz wurden die Aktivitäten der Grünen von der lokalen Umweltbewegung zwiespältig beäugt.
Lieb weist im Ausblick darauf hin, dass eine Ausweitung des Untersuchungszeitraums auf die 1990er Jahre sehr viel versprechend gewesen wäre, da erst in diesem Zeitraum Ansätze kommunaler Umweltpolitik voll zum Tragen kamen. Dass aufgrund mangelnder Quellenlage und Archivsperrfristen eine Ausweitung nicht möglich war, ist schade, da der Buchtitel (Bürgerschaftliches Engagement für den Umweltschutz in der Stadt seit 1970) nahelegt, dass auch die Fortentwicklung in den 1990er und 2000er Jahre thematisiert wird. Ein weiterer Kritikpunkt ist die mangelnde Einbeziehung von Zeitzeugeninterviews: So wurden zwar Gespräche mit mehr als einem Dutzend Aktivistinnen und Aktiven der verschiedenen Bewegungen geführt, jedoch nur sporadisch herangezogen. Die von Lieb beobachtete Skepsis von Zeitzeugen und die Furcht vor Weitergabe von strafrechtlich relevanten Informationen sind Hindernisse, die zu überwinden sind: Denn der Zugang über die Zeitzeugen ist wichtig, da sich so Netzwerke und Politische Verhaltensstile analysieren lassen, so dass zu den zeitgeschichtlichen Sammlungen, Ratsprotokollen und Fraktionsakten aus den jeweiligen Stadtarchiven weitere Quellen erschlossen werden.
Insgesamt ist festzuhalten, dass bei den Fallbeispielen Wiesbaden stark unterrepräsentiert ist, was an der Quellenlage oder an weniger bürgerschaftlichen Engagement liegen kann, so dass die Einbeziehung von Freiburg als Vergleich in vielen Kapiteln angebracht ist. Liebs quellennahe Darstellung kann viele Fallbeispiele nutzbar machen und die bisher untersuchten Konflikte und Organisationen um viele Beispiele aus dem südwestdeutschen Raum erweitern. Außerdem hat er mit seiner Dissertation eindrucksvoll gezeigt, wie Umweltaktivisten die Maxime "Think global, act local" auch jenseits der großen Konflikte in den 1970er und 1980er Jahren in ihrer Lebenswelt umzusetzen versuchten.
Anmerkung:
[1] Jens Ivo Engels: Politischer Verhaltensstil. Vorschläge für ein Instrumentarium zur Beschreibung politischen Verhaltens am Beispiel des Natur- und Umweltschutzes, in: Natur- und Umweltschutz nach 1945. Konzepte, Konflikte, Kompetenzen, hgg. von Franz-Josef Brüggemeier / Jens Ivo Engels, Frankfurt am Main 2005, 194f.
Matthias Lieb: Bürgerschaftliches Engagement für den Umweltschutz in der Stadt seit 1970. Mainz - Wiesbaden - Freiburg im Breisgau (= Beiträge zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung; Bd. 22), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021, 388 S., ISBN 978-3-515-13016-5, EUR 66,00
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