Auf den ersten Blick mag es verwundern, dass Kupper seine Einführung in die Umweltgeschichte des modernen Europas der letzten 250 Jahre mit Braudels Geschichte des Mittelmeers in der Epoche Phillip II. beginnen lässt [1]. Doch dem Vordenker der Annales- Schule kommt das Verdienst zu, Umwelt "als maßgebenden Faktor" (24) in die Geschichtswissenschaft eingebracht zu haben. Anfangs war sie noch eher die Bühne, auf der sich das historische Geschehen abspielt -, später jedoch wurde der Wandel von Gesellschaften in der Interaktion mit einwirkenden natürlichen Dynamiken untersucht. Also genau das, was Umweltgeschichte tut, oder in Kuppers Worten: Umweltgeschichte analysiert die Interaktion des "Wandels der sozio-naturalen Verhältnisse" (15).
Danach erläutert der schweizerisch-österreichische Umwelthistoriker grundsätzliche Rahmenbedingungen (Kap. I), zentrale Begriffe und Konzepte (Kap. II) und im Anschluss ausgewählte Themenfelder und Untersuchungsgegenstände (Kap. III). Eine Betrachtung zur Einordnung der europäischen Umweltgeschichte anhand der Frage, warum gerade die europäischen Mächte sich zur globalen Vorherrschaft aufschwingen konnten, sowie ein Literaturverzeichnis zu den einzelnen Kapiteln rundet die Einführung ab. Knappe Schlusskapitel zu den einzelnen (Teil-) Kapiteln fassen die wesentlichen Inhalte präzise zusammen. Kompakt weist Kupper auf die Charakteristika umweltgeschichtlicher Forschung hin, so zeichnet sie sich durch die Methodenvielfalt und den interdisziplinären Zugang aus. Das schließt naturwissenschaftliche Methoden wie etwa die Dendrochronologie oder Ansätze der Geobotanik und Evolutionsbiologie ein. Aber auch quantifizierende Methoden der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften werden in der Kombination der Methoden genutzt. Umwelthistoriker/innen müssen sich also nicht nur die jeweiligen fachspezifischen Methoden aneignen, sondern auch transdisziplinäre Kompetenzen aufbauen sowie den interdisziplinären Austausch pflegen. Wie andere historische Zugänge sich in Theoriebildung an dem Wissensstand beispielsweise von Ökonomie und Soziologie orientieren, muss auch die Umweltgeschichte etabliertes Fachwissen beispielsweise aus der Ökologie miteinbeziehen und sollte ihm nicht widersprechen, es sei denn es wird anhand umwelthistorischer Ergebnisse weiterentwickelt. Darüber hinaus darf natürlich der Austausch in der Geschichtswissenschaft mit Wissenschafts-sowie Medizin-, Technik- und Wirtschafts- und Sozialhistoriker/innen etc. nicht fehlen. Trotz des anhaltenden Booms umweltgeschichtlicher Forschung mag diese Interdisziplinarität einer Institutionalisierung an den europäischen Universitäten entgegenstehen, wo umweltgeschichtliche Lehrstühle selten sind.
Kupper beleuchtet die Begriffsgeschichte von "Natur" und "Umwelt" sowie den "materialistischen" und "kulturalistischen" Zugang zur Umweltgeschichte. An "Umwelthistorischen Zeiten" sowie "Umwelthistorischen Räumen" erklärt er wesentliche umwelthistorische Konzepte wie das "solare" und "fossile" Zeitalter oder das "Anthropozän", das der Chemiker Paul J. Crutzen und der Biologe Eugene F. Stoermer als neue geologische Epoche vorgeschlagen haben, in welcher der Mensch die Welt unwiederbringlich verändert hat. Crutzen unterscheidet dabei mit dem amerikanischen Umwelthistoriker John Mc Neill und dem Klimawissenschaftler Will Steffen zwischen drei Stufen des Anthropozäns: Dem Industriezeitalter (1800 bis 1945), der Großen Beschleunigung (seit 1945) und einer Phase der treuhänderischen Verantwortung des Erdsystems durch die Weltgemeinschaft (zukünftig).
Nach den "Begriffen" und "Methoden" erläutert Kupper wesentliche "Themenfelder" und "Gegenstände" umwelthistorischer Forschung wie "Meliorationen", "Klimawandel", "Naturkatastrophen", "Industrialisierung", "Urbanisierung", "Kolonialismus/Imperialismus", "Naturschutz", "Politische Regime" "Beschleunigung" und "Umweltschutz".
Der "Boom" der europäischen Umweltgeschichte hat viel mit der "Ökologischen Revolution" zu tun: Um 1970 kam es in ganz Europa zu einer "Ökologischen Revolution" oder "umweltpolitischen Wende": In kurzer Folge wurden in den meisten Staaten Umweltministerien oder obere Umweltbehörden gegründet, der Europarat rief das europäische Naturschutzjahr aus, Bürgerinitiativen und Umweltverbände schossen aus dem Boden, umweltpolitische Programme und Bücher wurden geschrieben, Umweltschutzgesetze erlassen und internationale Konferenzen abgehalten (171f.). Das ökologische Denken sah alle Umweltprobleme miteinander vernetzt und hörte auf, Gegenstände einzelnen Fachgebieten zuzuweisen. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass ein unvermindert auf andauerndes Wachstum ausgerichtetes Wirtschaften des Menschen eher früher als später die begrenzten Kapazitäten der Ökosysteme überschreiten würde, wie es der Club of Rome in seinem wirkungsmächtigen Bericht "Limit of Growth" postulierte [2].
Mit der Frage, warum die umweltpolitische Wende sich gerade zu diesem Zeitpunkt Bahn brach, hat sich die Umweltgeschichte sehr umfassend beschäftigt, ohne letztendlich zu einer schlüssigen Erklärung zu gelangen. Lag es an den Umweltproblemen selbst (so der Bielefelder Umwelthistoriker Joachim Radkau)? Gab es einen nicht zu negierenden Problemdruck, auf den die Akteure reagierten? Oder gab es schlicht keinen zentralen Auslöser? In Anlehnung an das durch den schweizerischen Umwelthistoriker Christian Pfister eingeführte "1950er Syndrom", das die seit diesem Jahrzehnt stark steigende Umweltbelastung beschreibt, schlägt Kupper die "1970er Diagnose" als Erklärungsmoment vor. Wie die Anamnese eines Arztes nicht nur vom Zustand des Patienten bestimmt wird, sondern von den Diagnose- und Therapiemöglichkeiten abhängt, so hängt der wahrgenommene Problemdruck in den Industriegesellschaften um 1970 nicht nur von den Problemen an sich, sondern mindestens im gleichen Maße von der gesellschaftlichen Interpretation ab. Kupper führt weiterhin die seit dem dritten Nachkriegsjahrzehnt auch außerhalb der Umwelt in vielen Bereichen um sich greifende Orientierungskrise an. Im Sinne der betonten Interdisziplinarität wäre an dieser Stelle zusätzlich die Diskussion sozialwissenschaftlicher Erklärungsmuster wünschenswert, wie die Diskussion über postmaterialistische Werte in den 1970er Jahren [3]. Auch bei den neuen sozialen Bewegungen wie etwa der Anti-AKW-Bewegung hätte man sich in einer umweltgeschichtlichen Einführung mehr als nur einige Literaturhinweise auf die aktuelle Forschung gewünscht.
Müll-, Abfall- und Verschmutzungsthemen werden in mehreren Themenfeldern angesprochen, so beispielsweise bei der "Beschleunigung". Zu Recht hebt Kupper die Bedeutung dieser Themen für eine ganze Generation von Umwelthistorikern hervor. Auch in Gegenwart und Zukunft werden Verschmutzungsprobleme weiter eine Rolle spielen, so dass man ihnen zu Recht einen eigenen Untersuchungsgegenstand beispielsweise - etwa anstelle der "politischen Regime" - zusprechen könnte, um die charakteristischen umweltgeschichtlichen Themen noch schärfer zu konturieren. In dem Themenfeld "Politische Regime" konzentriert sich Kupper zudem auf die totalitären Systeme der Zwischenkriegszeit, so dass hier keine die gesamte Moderne umfassende Kategorie vorliegt, was der Leser bei der Begrifflichkeit hätte vermuten können. Das Thema "Globalisierung" kommt nur am Rande und "Digitalisierung" gar nicht vor. Da wir uns mitten in diesem Wandel der sozio-naturalen Verhältnisse befinden, mag hier eine Bewertung aus der Sicht eines Historikers verfrüht erscheinen, erste einordnende Bemerkungen wären aus umweltgeschichtlicher Sicht jedoch reizvoll. Es stellt sich die Frage, ob die "Beschleunigung" in den letzten beiden Jahrzehnten nicht eine neue Negativdynamik erreicht hat, nicht zuletzt durch exponentielle Wachstumskurven, welche Entwicklungen im modernen Leben in immer mehr Bereichen bestimmen [4].
Ein Mangel, den Kupper einräumt, ist, dass er sich in seiner Darstellung überwiegend auf Nord- und Westeuropa stützt, aber Ost- und Südeuropa aufgrund der Sprachkenntnisse zu kurz kommen. Gerade da ist eine Einordnung in die in den letzten beiden Jahrzehnten so dynamische Umweltgeschichte nötig, wie sie die von Kupper zitierten Notepads der European Society for Environmental History bieten. Abgesehen davon legt Kupper eine konzessive, kompakte und stringente Einführung zur modernen europäischen Umweltgeschichte vor.
Anmerkungen:
[1] Fernand Braudel: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Phillipps II. 1. Band. Frankfurt am Main 1990.
[2] Dennis Meadows u.a.: Die Grenzen des Wachstums. Der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Stuttgart 1972.
[3] Ronald Inglehart: The Silent Revolution. Changing Values and Political Styles Among Western Publics, Princeton 1977.
[4] Christian Stöcker: Das Experiment sind wir, München 2020.
Patrick Kupper: Umweltgeschichte (= Einführungen in die Geschichtswissenschaft. Neuere und Neuste Geschichte; Bd. 3), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2021, 237 S., ISBN 978-3-8252-5729-3, EUR 22,00
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