In der alten Bundesrepublik waren bis 1994 mehr als 500.000 alliierte Soldaten anderer NATO-Partner stationiert. Die belgische Armee hatte dabei 40.000 Soldaten und damit nahezu 80 Prozent seines Heeres in Westdeutschland platziert. Diese Truppen waren in die "Vorneverteidigung" eingebunden und hätten im Eventualfall im Harz ihren Gefechtsstreifen an der Schnittstelle der NATO-Heeresgruppen NORTHAG (Northern Army Group) und CENTAG (Central Army Group) verteidigen müssen. Die meisten dieser belgischen Truppen waren im Großraum Köln und im Siegerland stationiert und hätten in den Harz einen langen Aufmarsch bewältigen müssen. Ihre eher weniger State-of-the-art-Ausstattung brachte ihnen den unterschwelligen Ruf, kein starker NATO-Verbündeter zu sein. Die belgische Rolle in der Bündnisverteidigung der NATO wird allerdings im Buch nicht berührt.
Vielmehr widmet sich der Autor unter einem etwas umständlichen Titel der Stationierung belgischer Truppen im Nachkriegsdeutschland und beschreibt ihre Eingliederung und Verflechtung in Deutschland - ein hier sehr weit gefasster Begriff. Es geht ihm um belgisch-deutsche "Fallbeispiele charakteristischer Kooperationsstrukturen". (11) Jonas Springer sucht folglich nach Personen, die institutionelle oder personelle Netzwerke aufbauten, und fragt dazu, ob "die deutsch-belgische Militärkooperation Anknüpfungspunkte für eine Verflechtung auf militärischer Ebene bot". (12)
Ausgehend von der Suche nach einer eigenen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, den Belgien lange als besetztes Land erlebt hatte, bot die britische Regierung auch aus Gründen des Burden sharings Belgien an, einen Teil der britischen Besatzungszone zur eigenen Entlastung mit Truppen zu bestücken. Zudem bot gerade dieses Engagement 1945 noch die Gewähr, dass Belgien und auch Großbritannien vor Deutschland geschützt seien. Dieser Anachronismus sollte sich bald beheben lassen, auch wenn die ersten Militärbündnisse nach 1945 sich explizit gegen Deutschland richteten.
In der Folge kam es zur Ansiedlung belgischer Garnisonen unter anderem in der Wahner Heide, einem seit dem Kaiserreich genutzten Übungsgelände östlich von Köln. Hier war ein bedeutender Standort bis zum Abzug der belgischen Streitkräfte nach 2000, der gleichzeitig mit der Errichtung und Ausweitung des zivilen Flughafens Köln-Bonn nach 1949/55 konkurrierte. Gleichzeitig aber bot dieses Gelände auch für deutsche Truppen Übungsmöglichkeiten, die in einem mehrjährigen Ringen ausgehandelt werden mussten. Dabei war Belgien mehr an der Erhaltung (seiner) militärischen Infrastruktur gelegen, was mit zivilen Entwicklungsmöglichkeiten kollidierte. Letztlich war der schrittweise Rückzug und die Reduzierung militärischer Übungsflächen in der Wahner Heide der Ausweg - und zudem bot der Truppenübungsplatz Vogelsang in der Eifel bessere Trainingsmöglichkeiten. Der Autor vermittelt dabei den Eindruck, dass er die Bedeutung der zivilen Abteilungen des Bundesverteidigungsministeriums in den Aushandlungs- und Kommunikationsprozessen mit den belgischen Streitkräften hoch einschätzt. Militärische Aspekte der Bedeutung der belgischen Streitkräfte für die Bündnisverteidigung gehen dagegen geradezu unter. Aber war das nicht ab 1955 der Zweck der Stationierung? Augenfällig wird dieses bei der Darstellung eines deutschen Verbindungsoffiziers zu den belgischen Streitkräften, der anfänglich noch Sprachdefizite besaß, aber scheinbar zunehmend in die Aufgabe hineinwuchs. Dabei wird den Beurteilungen des Offiziers durch höhere Generale, also dem zweiten oder gar dritten Beurteilenden in der Personalakte, sehr große Bedeutung zugemessen, aber möglicherweise die erste Beurteilungsebene des direkten Vorgesetzten zu wenig beachtet.
Die ausgewählten Untersuchungsgegenstände, wie der Versuch, einen deutschen Verbindungsoffizier auf dem Truppenübungsplatz Vogelsang zu etablieren oder eine Bataillonspatenschaft, die sicher auch mit der Sprachbarriere zu kämpfen hatte und tatsächlich nicht viel mehr als Schießübungen bot, wirken insgesamt nicht besonders glücklich gewählt. Eben weil der Autor die harte militärische Kooperation und Zusammenarbeit bei der Planung des heißen Krieges im Kalten Krieg ausblendet, bietet das Buch wenig Erhellendes zur Rolle Belgiens in der NATO und damit in der Bundesrepublik. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass dem Autor der Zugang zu militärischen Akten verwehrt blieb. Indes bleibt es die wichtige Leerstelle, die die Rolle der belgischen Truppen in Deutschland bedeutender erscheinen ließe, als Patenschaften oder die Nutzung von Truppenübungsplätzen in geographischen Randlagen der Bundesrepublik Glauben machen sollen. Damit bleibt das Werk leider eine Mikrostudie, die einen Blick auf das Große und Ganze, die Bündnisverteidigung der NATO, verstellt. Letztlich war das aber der Grund für die jahrzehntelange Existenz belgischer Streitkräfte in Deutschland.
Jonas Springer: Die Bundeswehr und die Belgischen Streitkräfte in Deutschland. Akteure, Herausforderungen und Verflechtungsprozesse militärischer Zusammenarbeit bis 1990 (= Historische Dimensionen Europäischer Integration; Bd. 32), Baden-Baden: NOMOS 2021, 305 S., ISBN 978-3-8487-8458-5 , EUR 64,00
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